: Altmodisch in die Zukunft
JUBILÄUM Sie hatten keine Chance, aber sie nutzten sie: „Kontext“, die Onlinezeitung mit Papierableger aus Stuttgart, kommt zum 150. Mal heraus
■ Erscheint: mittwochs im Netz (kontextwochenzeitung.de), samstags als unabhängige Beilage in der taz.
■ Finanziert: über Spenden.
■ Ziel: hochwertiger, unabhängiger, investigativer Journalismus
■ Getragen: vom Verein für ganzheitlichen Journalismus
■ Adr.: Hauptstätterstr. 57, 70178 Stuttgart, (07 11) 66 38 65 48.
VON SUSANNE STIEFEL
Es waren einmal vier Journalisten, die fuhren von Stuttgart nach Berlin, um bei der taz anzuklopfen und zu fragen: Wie wär’s mit uns? Wir machen eine Onlinezeitung mit Hintergrundreportagen und investigativen Geschichten aus Baden-Württemberg, ihr habt viele GenossInnen und LeserInnen im Musterländle – warum also nicht mal den umgekehrten Weg gehen. Also: Journalistisches erst online im Netz, dann vier Seiten gedruckt in der taz? Das war vor drei Jahren.
Inzwischen wird die 150. Ausgabe von Kontext in der taz.am wochenende gedruckt. taz-Geschäftsführer Kalle Ruch hat eingeräumt, dass ihn Kontext glücklich macht. Chefredakteurin Ines Pohl, gebürtige Mutlangenerin, schaut auf eine Butterbrezel und einen Kaffee bei uns vorbei, wenn sie auf Heimaturlaub ist und belehrt uns schon mal, „gendermäßig noch was draufzupacken“. Und taz-Chefreporter Peter Unfried erhält nicht nur Schreibasyl in der Hauptstätterstraße, wenn er sich mal wieder der baden-württembergischen Landespolitik annimmt, sondern ist auch Mitinitiator des Kontext-Polit-Comics „Der Ökodiktator“. Es ist viel passiert in diesen drei Jahren, und uns in Stuttgart ist nie langweilig geworden.
Wir haben diskutiert und viele Zigaretten vernichtet, uns die Köpfe eingeschlagen und manches Mal die Haare gerauft, wenn es mal wieder finanziell auf der Kippe stand. „Das schafft ihr nie“, sagten Skeptiker. Denn: Spendenfinanzierter Journalismus, keine Anzeigen, kein Verkauf – wie soll das funktionieren? Es hat! Weil es Menschen gibt, die überzeugt sind, dass eine Demokratie eine kritische, unabhängige Presse und engagierte Journalisten braucht. Heute haben wir rund 1.400 UnterstützerInnen in ganz Deutschland. Mit ihrer monatlichen Spende geben sie uns das Rückgrat von Kontext, uns unabhängig von Anzeigen zu machen. Sie bestärken uns darin, dass es doch geht.
Stiftungs- und spendenfinanzierter Journalismus wird inzwischen als Alternative zur privaten Presse breit diskutiert. Und unsere Parole „Altmodisch in die Zukunft“ (lange Texte ohne Ploppen und Blinken) wurde von der Realität eingeholt. Inzwischen ist Kontext in Mode. In den Zeiten des Zeitungssterbens fragen mehr und mehr KollegInnen nach: Was können wir von euch lernen?
Wir haben es geschafft, auch weil wir mit dem taz-Genossen Andreas Schairer einen großzügigen Anschubsponsor hatten. Und wir haben einen Vereinsvorstand, der uns nach Kräften unterstützt.
Wir können also aufatmen und die RaucherInnen dürfen inzwischen nur noch ein Zimmer zuqualmen.
Voriges Jahr haben wir unseren Webauftritt verbessert. Wir wurden für unsere „Schlecker“-Berichterstattung mit dem Willi-Bleicher-Preis ausgezeichnet und der Spiegel hat Kontext gar als „Eliteprodukt“ gelobt. Seit April 2013 verbreitet uns die taz.am wochenende bundesweit. Über alledem haben wir noch unser erstes Buch publiziert, gemeinsam mit der Stuttgarter Bürgerstiftung „Die Anstifter“. Es beschäftigt sich mit der politischen Justiz im Lande, die zweite Auflage ist bereits gedruckt.
Und weil in einer Werkstatt wie Kontext viel probiert wird, haben wir auch noch „Kontext – der Film“ produziert, rechtzeitig zum zweiten Geburtstag im April 2013. Und haben uns über die Glückwünsche gefreut. „In einer Zeit der Dauerempörung und des aufgeregten Stichflammenjournalismus brauchen wir Medien des zweiten Gedankens, die eine Aktualität hinter der Aktualität sichtbar werden lassen“, schrieb etwa der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen
Das werden wir weiterhin tun. Viel haben wir noch vor, und das können wir nur mithilfe unserer Unterstützerinnen erreichen.
Und über alledem das Lachen nicht vergessen. Denn wer lacht, verliert seine Angst und bringt die Verhältnisse zum Tanzen.