„MTV? Das klappt nie!“

Heute wird die Mutter aller Musiksender 25 Jahre alt. Dabei spielt MTV kaum noch sehenswerte Videos und kaum eine relevante Rolle mehr auf dem Markt der Popkultur. Warum eigentlich?

Nein, MTV feiert nicht. Offiziell, weil die Zuschauer mit 20 Jahren zu jung sind, um sich an die Anfänge des Senders zu erinnern. Oder auch nur an seine große Zeit. Denn damals, bevor sich der Clipkanal endgültig in den PR-Kreislauf der Musikindustrie eingespeist hatte, da leistete er sich sogar einen Nachrichtenmoderator. Nachrichten bei MTV? Sieben fette Jahre lang, von 1987 bis 1994, war dafür der Brite Steve Blame zuständig – bevor er als Programmchef zu Viva 2 wechselte. Heute entwickelt Blame TV-Formate in Köln, wo wir ihn zu seinem früheren Arbeitgeber befragten, vor allem:

taz: Was war anders als heute?

Steve Blame: In den ersten Jahren ging es bei MTV nicht ums Geld. Die wussten noch nicht einmal, wie viel Zuschauer sie hatten. MTV Europe konnten am Anfang nur wenige sehen. Es war alles ganz anarchisch. Wir Mitarbeiter konnten fast alles machen, was wir wollten. Und obwohl das Studio in London war, konnten wir selbst MTV zuhause nicht empfangen. Wir sind dann sogar zum Sender gefahren, um uns einmal selbst im Fernsehen zu sehen, und dachten damals: Das klappt nie, uns will niemand sehen.

Aber dann wurden Sie, mit Ray Cokes und Kristiane Backer, Anfang der Neunziger zu Kultmoderatoren. Was denken Sie über die Generation, die dort heute ihren Job macht?

Ich denke, heute ist es ganz schwierig, für MTV zu arbeiten, wenn du deine eigene Meinung hast. Du musst das präsentieren, was dir gesagt wird, oder du verlierst deinen Job. Damals war es ganz, ganz wichtig für uns, dass wir unsere eigenen Sachen machen konnten und auch eine andere Perspektive haben durften. Wenn es nur um die Playlist geht und darum, was die Plattenfirmen haben wollen, dann ist das natürlich ein ganz anderer Musiksender. Wir haben MTV Anfang der Neunziger auch ein bisschen politisch gemacht, uns um Aids, Umweltschutz und Rassismus gekümmert und versucht, die Leute dafür zu interessieren. Für mich war das eine wichtige Zeit, weil ich immer gedacht habe, dass Musik eine Verbindung zur ganzen Kultur hat, dass man das nicht getrennt voneinander sehen kann.

Als MTV in den Achtzigerjahren angefangen hat, welche Bedeutung hatten Musikvideos damals?

Das war ein ganz neues Ding! Ich kann mich noch erinnern, dass ich 1984 in einen trendigen Club gegangen bin, um das Thriller-Video von Michael Jackson zu sehen. Wenn man sich heute überlegt, man geht in einen Club, um ein Video zu sehen … dann ist das total bescheuert.

Heute gilt das Musikfernsehen als tot, Sender wie MTV und Viva sind längst Unterhaltungskanäle, Videos haben an Bedeutung verloren. Woran liegt das?

Meiner Meinung nach haben sich die Musiker früher für ihre Videos viel mehr interessiert und viel stärker ihre eigenen Ideen eingebracht, um es umzusetzen. Heutzutage schreibt ein Regisseur im Auftrag der Plattenfirma ein Konzept, wie das Video zu einem Song aussehen kann, und die Plattenfirma entscheidet dann, wie sie diesen Musiker promoten will. Das kreative Potenzial von Videos wird heute nur noch von Musikern genutzt, die auch wirklich fantasievoll und risikofreudig genug sind.

Aber das Video bleibt ein Marketing-Instrument?

Absolut. Madonna zum Beispiel hat ihr ganzes Image über Videos aufgebaut und verkauft. Wenn man das bedenkt, versteht man, wie wichtig ein Video für einen Künstler sein kann …

Im Fernsehen steht MTV seit ein paar Jahren für Klingeltöne und Trash. Bei MTV Overdrive sollen nun Videos im Internet angeboten werden. Ist das ein Schritt in die Zukunft?

Als MTV angefangen hat, hat es eine vollkommen neue Form von Fernsehen erfunden und damit den Markt revolutioniert. Mit seinen Programmformaten ist MTV immer noch einer der führenden Impulsgeber in der Welt, aber im Internet einfach nur mehr Videos zu spielen, das wird nicht die Lösung sein. Wenn MTV erfolgreich sein will, dann sollten sie eine Idee entwickeln, wie man Videos wieder während der Primetime anbieten kann.INTERVIEW: FARID GARDIZI