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Archiv-Artikel

Massengutfrachter in mildem Licht

Thomas Kunadt verbringt sein Leben damit, die Schiffe zu fotografieren, die Hamburg anlaufen. Nebenbei versucht er eine Liste aller Schiffe anzulegen, die jemals die Meere befahren haben. Während des grauen Winters an der Elbe arbeitet er in Hongkong. Reeder und Schiffsfonds als Kunden

Einen Datenspeicher von acht Terabyte hat er in einem schallisolierten Kabuff hinter der Wand verstaut. Als Musikwissenschaftler reagiert er sensibel auf das Surren der Lüfter

von GERNOT KNÖDLER

Thomas Kunadt ist einer, der den Abglanz von Schiffen sammelt. Kommt eines die Elbe heraufgebrummt, schnappt er sich eine Kamera, ein 100/300er Zoom-Objektiv und steigt aus dem Treppenviertel des Elbdörfchens Blankenese hinab zum Strom. Mehr als 40.000 Fotos hat er an und auf der Elbe gemacht, weitere 6.000 im Hafen von Hongkong. Bilder von 12.000 Schiffen stecken in seinem Rechner, dazu kommen die Daten weiterer 110.000 Schiffe, die noch illustriert werden wollen. Er katalogisiert und fotografiert alle Schiffe bis hinab zum Hafenschlepper und – vielleicht einmal – bis zurück ins Mittelalter.

„Man sitzt hier in Hamburg gar nicht schlecht“, sagt Kundadt. Der Hafen gehört zu den größten der Welt. Rund 11.500 Schiffe laufen ihn jährlich an. Es kommen nicht nur Containerschiffe, sondern auch Erz und Saatgutfrachter, Öltanker, Bagger, Sauger, Autotransporter, Dreimastsegler und Flugzeugträger. Weil der Hafen 120 Kilometer tief im Binnenland liegt, müssen sie alle ganz sachte die Elbe hinaufschippern und bieten dabei Thomas Kunadt prächtige Gelegenheiten, sie abzulichten.

Der junge Mann, Jahrgang 1967, ist über das Fotografieren zum Shipspotting gekommen. „Ich kam nach Hamburg, um Musikwissenschaft zu studieren“, erzählt er. Aus seiner Hinterhofwohnung in Elbnähe musste er „immer wieder raus, damit man mal was mitkriegt“, sagt er. Und er kriegte mit: das bisweilen mehrfach täglich wechselnde Wetter, die vielen Lichtstimmungen am Strom, mal Mittelmeer, mal Nordsee.

Kunadt fing an zu fotografieren. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich beim Fotografieren mehr über mich erfahre als bei einer Studienarbeit“, sagt er. Irgendwann ist die Frage aufgetaucht: „Was ist mein Thema? Kann ich davon leben?“ Die Schiffe, die er zunächst nur als Requisiten benutzte, hatten sich mehr und mehr ins Zentrum seiner Bilder gedrängt. „Sie schafften einen Kontrast zum Studium“, sagt Kunadt. „Man hat das Gefühl, Teil zu haben, an etwas, das passiert.“ Jetzt verfolgt er Schiffe.

Der technische Aufwand dafür hat nach zehn Jahren Shipspotting ein Achtung gebietendes Ausmaß erreicht: Kunadt verfügt über vier Kameras und knapp zwei Dutzend Objektive. Das größte, ein Teleobjektiv mit 2.000 Millimetern Brennweite ist so groß wie anderthalb Badezimmer-Mülleimer und wiegt acht Kilogramm. Mit dem Teleobjektiv kommt die Massivität der Schiffe besonders zur Geltung. Weil Kunadt schon so viele Schiffe fotografiert hat, steigt er nur noch bei besonderen Gelegenheiten die 80 Höhenmeter zur Elbe hinab: Wenn Schiffe kommen, die noch nie in Hamburg waren. Oder wenn sich besondere Perspektiven bieten. Einen solche seltenen Anblick versprach die „Paradise N“ als sie, noch unter dem Namen „Peene Ore“, zum Dock von Blohm+Voss geschleppt wurde. Der Erzfrachter musste nach einer Havarie entladen werden und zeigte so viel von seinen 23 Metern Tiefgang wie nie. Bei seiner Arbeit komme es darauf an, zu merken, „welche Klischees besetzt sind, und wo es etwas Neues zu entdecken gibt“, sagt Kunadt.

Um nicht stundenlang sinnlos an der Elbe rumzuhängen, hat der Fotograf den Schiffsmeldedienst abonniert. Für 250 Euro im Monat erfährt er übers Internet, welche Schiffe an den Kais liegen, welche kommen und welche auslaufen. Kunadt hat zwei Flachbildschirme auf dem Schreibtisch stehen. Auf dem kleineren ruft er Schiffsbilder aus seiner Datenbank auf. Der andere, so groß wie ein Familienfernseher, zeigt den Schiffsmeldedienst, dazu eine Hafenkarte mit den Positionen der Schiffe und die Schiffstabelle, lange Zeilen mit dem Wesentlichen, das es zu einem Schiff zu recherchieren gibt. Einen Datenspeicher von acht Terabyte hat er in einem schallisolierten Kabuff hinter der Wand verstaut. Als Musikwissenschaftler reagiert er sensibel auf das Surren der Lüfter.

Kunadt bezieht zwar viel Wissen von Lloyd‘s Schiffsregister. Einige Bände, darunter einen von 1858, hat er im Regal. In seiner Tabelle verknüpft er die Informationen zur Lebens und Familiengeschichte eines Schiffes, möglichst mit Fotos. „Es ist spannend, zu verfolgen, was mit einem Schiff passiert, das man kennt“, sagt Kunadt.

Selbstverständlich weiß er, dass das Schwesterschiff der „Kuga Ace“, des Autotransporters, der kürzlich vor Alaska kenterte, schon in Hamburg war. „Es gibt einen Punkt, wo wir mit unserer Zivilisation Spielball der Natur sind“, sagt Kunadt.

Bilder von Schwesterschiffen sind eine Möglichkeit, mit Schiffsfotos Geld zu verdienen. Mit Fotos baugleicher Schiffe werben Schiffsfonds Geld für Neubauten ein. Dann gibt es die Klassifikationsgesellschaften, die ihre Hochglanz-Selbstdarstellungen gerne mit Schiffsmotiven illustrieren. Und es gibt die Reeder, die gerne sehen, in welcher Gestalt ihr Kapital ferne Gestade bereist. „Ich hab‘ hier Kunden, die küssen mir die Füße für aktuelle Bilder aus Asien“, sagt Kunadt. Werden in Hamburg die Tage zu kurz zum Fotografieren, fliegt er für ein paar Wochen nach Hongkong.

In diesem und im vergangenen Jahr hat Kunadt seine Fotos zum ersten Mal zu Büchern verarbeitet. Im vergangenen Jahr erschien der Bildband „Shipspotting“ mit den besten Fotos aus seiner Sammlung. In diesem Jahr „Die Schiffe in Hamburg und auf der Elbe“, ein bebildertes Register der Schiffe, die immer wieder Hamburg anlaufen. Die im Murmann-Verlag erschienenen Bücher kosten 28,50 und 9,50 Euro.