: Die Generation der Hilfslehrer
Im Zuge der Umstellung auf Master- und Bachelor an den Hochschulen wird auch das Lehramtsstudium abgeschafft. Das Problem: Für den Bachelor-Abschluss gibt es noch kein Berufsbild. Zudem wissen die Unis noch nicht, wie der Master aussehen soll. Eine Chance für inhaltliche Reformen?
von MIRJAM MEINHARDT
Das haben sich Tine und Simone anders vorgestellt – von wegen Studentenleben. Die vorlesungsfreie Zeit hat gerade an der Freien Universität Berlin (FU) begonnen, und die beiden 24-jährigen Studentinnen sitzen gestresst im ersten Stock der Philosophischen Bibliothek. „In drei Wochen sollten wir fünf Arbeiten schreiben“, erzählt Tine. „Jetzt haben sie gemerkt, dass es beim besten Willen nicht klappt, deshalb bekommen wir ein bisschen mehr Zeit.“
Tine und Simone gehören zur ersten Generation des Studiengangs „Bachelor mit Lehramtsoption“ an der FU. Das klassische Lehramtsstudium wurde vor zwei Jahren abgeschafft. Im Zuge des so genannten Bologna-Prozesses soll bis 2010 Diplom, Magister und das Lehramt vollständig durch Bachelor- und Masterstudiengänge ersetzt sein. Das soll die Studienzeiten verkürzen, die Berufsorientierung stärken und die Abschlüsse international vergleichbarer machen. Für die Lehrerausbildung bedeutet die Umstellung: Zuerst sollen die Studenten in sechs Semestern den Bachelor mit Lehramtsoption abschließen. Dann müssen sie sich neu bewerben – für den aufbauenden und vertiefenden Master. Im letzten Schritt folgt, wie bisher, das Referendariat in der Schule.
Kein Konzept für Master
Für Tine und Simone kann das bedeuten, dass sie nach den ersten sechs Semestern mit leeren Händen dastehen. „Für den Bachelor-Abschluss gibt es noch gar kein Berufsbild“, erklärt Simone. „Vielleicht machen sie uns dann zu schlecht bezahlten Hilfslehrern.“
Zudem wissen bisher weder Studenten noch die Uni, wie der Masterstudiengang überhaupt aussehen wird. „Es gibt nur vorläufige Pläne“, bestätigt auch die Studierendenberatung. Inhaltlich könne noch nichts Verbindliches gesagt werden. Selbst der Bachelor läuft nach zwei Jahren immer noch chaotisch. „Die ganze Umstrukturierung ist leider überhaupt nicht ausgereift“, meint Tine. Die Lehrpläne müssten ständig nachgebessert werden. „Manchmal kommen wir uns vor wie Versuchskarnickel.“ Bisher bedeutet der Lehrer-Bachelor für Tine und Simone ein verschulter Studienplan, mehr Vorschriften, mehr Anwesenheitspflicht und mehr Lernstoff – und das alles in kürzerer Zeit. „Wenn wir durch eine Prüfung fallen oder die Noten nicht im sehr guten oder guten Bereich liegen, haben wir kaum noch eine Chance, für den Master zugelassen zu werden“, erzählt Simone.
Auch die Dozenten sind alles andere als zufrieden. „Die Leute studieren eigentlich ins Blaue hinein“, meint eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sprachwissenschaften, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Außerdem sinke das fachliche Niveau immens. „Die Themen werden nur noch oberflächlich behandelt, für mehr ist keine Zeit“, meint die Wissenschaftlerin.
Chance: neue Inhalte
Problematisch ist zudem die Vergleichbarkeit der Abschlüsse, die ein wichtiges Ziel der Bachelor-Master-Umstellung ist. Selbst innerhalb Berlins unterscheiden sich die Abschlüsse. Der Grund dafür ist, dass die Unis zwischen zwei komplett gegenläufigen Modellen wählen können. Entweder die Uni legt den fachwissenschaftlichen Schwerpunkt im ersten Studienabschnitt, also im Bachelor. Dann stehen Fachdidaktik und Bildungswissenschaften im Master auf dem Programm. Oder die Hochschule entscheidet sich für das komplette Gegenteil und legt den „lehrerspezifischen“ Schwerpunkt im Bachelor und den fachlichen im aufbauenden Master.
So kann es passieren, dass auf einen fachlich ausgerichteten Bachelor bei einem Universitätswechsel ein fachlich ausgerichteter Master folgen würde. „Dann müssen die Universitäten im Einzelfall prüfen, welche Studienelemente bereits abgeleistet sind und welche noch fehlen“, meint die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) dazu. Die Studenten müssten dann eben die fehlenden Qualifikationen nachholen.
Die Chance der Umstellung auf Bachelor und Master vom althergebrachten Lehramtsstudium ist eine inhaltliche Überarbeitung des Studiums. An der Johannes-Gutenberg-Universität im rheinland-pfälzischen Mainz etwa soll sich die Lehrerausbildung mit der Umstellung auf Bachelor zum Wintersemester 2007/08 auch grundsätzlich ändern. Die Neuausrichtung besagt: mehr Bildungswissenschaften, Theorie und Praxis frühzeitig verzahnen, mehr Praktika mit einbeziehen, die Fachdidaktik ausbauen und einheitliche Standards schaffen.
Solche Reformen fordern Bildungsexperten wie Ewald Terhart von der Uni Münster und Heinz-Elmar Tenorth von der Humboldt-Uni Berlin schon lange. Bisher war die Ausbildung „zu unkoordiniert, zu wenig praxisbezogen und zu unspezifisch“, sagt Tenorth. Lehrer müssten viel individueller auf ihre Schützlinge eingehen. Finnland sei eines der viel zitierten Beispiele. Aber auch von den asiatischen Ländern könne Deutschland lernen. „Wenn man sich den Unterricht anschaut, sieht es aus wie klassischer deutscher Unterricht“, sagt Tenorth. Es gehe darum, nicht nur die Fehler der Schüler auszumerzen, sondern daraus zu lernen. Die pädagogischen Konzepte müssten demnach zuallererst auf den Prüfstand. Vielleicht stehen also in Zukunft mehr Fachdidaktik und Bildungswissenschaften auf dem Stundenplan der Bachelor-Studierenden.
„Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob es auch gelehrt wird“, meint die 24-jährige Lena. Sie studiert in Mainz Biologie und Deutsch. Ihre Vorlesung in Fachdidaktik hat nur auf dem Papier stattgefunden. „Der Professor hat uns gesagt, dass er mit Fachdidaktik nichts zu tun habe und deshalb nur sein Fach unterrichten könne“, erzählt die Studentin. „Die meisten Dozenten haben seit ihrer eigenen Schülerzeit keine Schule mehr von innen gesehen“, sagt die angehende Lehrerin. Bei Praktika hat sie gemerkt, wo die Defizite liegen. „In der Uni heißt es, das würden wir im Referendariat lernen. In der Schule meinen sie, wir hätten es an der Uni lernen müssen.
Bei der Einführung von neuen Inhalten gibt es jedoch ein Problem: Natürlich müssen sie mit den vorhandenen Mitteln und den vorhandenen Dozenten umgesetzt werden. Zwar ist auch die HRK beispielsweise der Meinung, dass der Anteil der Bildungswissenschaften und der Fachdidaktik in Bachelor und Master insgesamt „nicht unter einem Drittel“ liegen dürfe. „Jedoch erlauben die Ressourcen der Hochschulen es kaum, zusätzliche lehrerbildungsspezifische Lehre in den Fachwissenschaften anzubieten“, so die Hochschulrektorenkonferenz.