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Archiv-Artikel

Renovieren gegen das Vergessen

GEDENKEN Wenig erinnert an das Jugend-KZ Uckermark zwischen Fürstenberg und Himmelpfort. Ein antifaschistisch-feministisches Bau- und Begegnungscamp arbeitet jeden Sommer an der Erhaltung des Ortes – und thematisiert auch heutige Formen der Diskriminierung

„Wir machen hier in zehn Tagen die Arbeit einer Gedenkstätte“

HENRIKE, BAUCAMP-TEILNEHMERIN

VON ZOÉ SONA

Wer in Fürstenberg mit der Bahn ankommt, wird von fröhlich-blauen Auskunftstafeln begrüßt, die die idyllische Seenlandschaft der Umgebung preisen. Auch auf den Nachbarort Himmelpfort – staatlich anerkannter Erholungsort – weist die Touristeninformation hin. Hier geht zur Weihnachtszeit die „Weihnachtspostfiliale“ der neuen Bundesländer in Betrieb. Was nicht erwähnt wird: Zwischen beiden Orten liegt das ehemalige Jugendkonzentrationslager Uckermark.

In der gleißenden Mittagshitze hocken mehrere junge Frauen im Sand. Sie jäten Unkraut, setzen Steine, graben die Erde um. Es sind Teilnehmerinnen des diesjährigen internationalen Bau- und Begegnungscamps, das auf dem Gelände des einstigen Jugend-KZs für Mädchen und junge Frauen und späteren Vernichtungslagers Uckermark stattfindet. Seit 1997 kommen jeden Sommer junge Frauen, darunter Lesben und Transgender-Personen, in das feministische, antifaschistische Camp, um die Geschichte des Lagers zu erforschen und das Gelände zu erhalten. „Wir machen hier in zehn Tagen die Arbeit einer Gedenkstätte“, erklärt Henrike, eine der TeilnehmerInnen. Die 22 Frauen kommen mehrheitlich aus Deutschland, aber auch aus der Schweiz und aus Serbien. Sie arbeiten hier alle ehrenamtlich, ohne regelmäßige und ausreichende finanzielle Unterstützung.

Das Jugend-KZ wurde 1942 für Mädchen und junge Frauen im Alter von 14 bis 21 errichtet. In unmittelbarer Nähe befand sich das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, dessen Häftlinge das Jugend-KZ aufbauen mussten. Bis Anfang 1945 hatte das Lager ungefähr 1.200 InsassInnen, auch einige Jungen gehörten dazu. Eingewiesen wurden Jugendliche, die als „asozial“ galten. Der Begriff bezog sich auf Jugendliche mit wechselnden Wohnorten, Mädchen, die den Dienst beim Bund Deutscher Mädel verweigerten oder lesbische Beziehungen hatten. Auch „Herumtreiberei“ und „sexuelle Verwahrlosung“ als Bezeichnung für Promiskuität, Verhältnisse mit Nichtdeutschen oder Juden führten zur Einweisung. Ab Januar 1945 wurde ein großer Teil des KZs zum Vernichtungslager umfunktioniert. Etwa 5.000 Frauen aus dem KZ Ravensbrück wurden hier ermordet.

Ein wichtiger Bestandteil der Baucamps ist die theoretische Weiterbildung über die geschichtlichen Hintergründe des KZs und über Formen der Diskriminierung. Grundlage sind Filme, Vorträge sowie Diskussionen über den Nationalsozialismus, über die Bedeutung des Stigmas „asozial“, über Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus. Auch Gespräche mit KZ-Überlebenden werden geführt, ihr Wissen und ihre Interessen sollen in der Arbeit besonders berücksichtigt werden.

„Wir gingen zu Fuß von Ravensbrück nach Uckermark. Wir wünschten, dass es ein so schöner Ort sei, wie er aussah, aber das erwies sich als Illusion“, berichtete die slowenische Partisanin Stanka Simoneti. Ihre Worte wurden auf einem Gedenkpunkt verewigt, dort, wo sich früher das Tor zum Lager befand.

Vom ursprünglichen Lager ist fast nichts erhalten, weil das Gelände nach 1945 von der sowjetischen Armee als Militärbasis genutzt wurde. Deshalb wird im praktischen Teil des Camps der ehemalige Lageraufbau sichtbar gemacht. Rote Farbmarkierungen, auf Steine und Mauern gemalt, weisen auf frühere Wege und KZ-Gebäude hin. Auch Hinweis- und Gedenktafeln, die die Lagergeschichte erklären, werden errichtet oder ausgebessert. Nicht nur natürlicher Verfall und Wildwuchs, auch mutwillige Zerstörungen machen die Renovierungen nötig. In diesem Jahr wurde eine Infobox an einem Zugangsweg zum Gelände demoliert, das Gästebuch darin völlig zerstört.

Eingerahmt wird die Arbeit der einzelnen Baucamps seit 1997 von der Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark. Sie organisierte im Jahr 2001 archäologische Ausgrabungen auf dem Gelände, veranstaltet die seit 2005 jährlich stattfindenden Gedenkfeiern mit Überlebenden und kämpft seit Jahren für eine Betreuung des Geländes durch bundes- oder landeseigene Institutionen, die auch einen öffentlichen Zugang zum Gelände ermöglichen soll. Im April konnte sie einen ersten Erfolg verzeichnen: Das Land Brandenburg erklärte sich bereit, ab 2011 die Bauten der Roten Armee auf dem Gelände abzureißen.

■ Am heutigen Samstag findet um 13.30 Uhr ein öffentlicher Rundgang über das Gelände statt, der einen Einblick in die Geschichte des Lagers bieten soll. Um 16.30 Uhr gibt es die Möglichkeit eines Gesprächs mit einer Überlebenden. Treffpunkt für die Begehung ist die Infobox am Radfernweg Berlin–Kopenhagen, zwischen Himmelpfort und Fürstenberg. Das anschließende Gespräch findet im Pfarrhaus Himmelpfort (Eichberg 11) statt