: Die jüdische Berghütte
ÖSTERREICH Das 1932 in den Zillertaler Alpen eröffnete Friesenberghaus war auch für jüdische Wanderer offen
■ Herberge: Die Hütte liegt auf 2.500 Meter Höhe in den Zillertaler Alpen. Talort ist Ginzling. Der dreistündige Aufstieg erfolgt vom Schlegeisspeicher oder, etwas länger, vom Gasthaus Breitlahner. Die Hütte ist vom 7. Juni bis 27. September bewirtschaftet. Eine Reservierung wird dringend empfohlen: Tel: 00 43-6 76-7 49 75 50; www.friesenberghaus.at
VON MARTIN KRAUSS
Als ich die Hütte vor 14 Jahren übernahm, war hier noch Geschirr von der Wehrmacht, mit Hakenkreuzen auf den Tellern und Tassen“, erzählt Hubert Fritzenwallner. Er ist Hüttenwirt in den Zillertaler Alpen, und sein Friesenberghaus gilt, hört man sich im Tal um, als „jüdische Hütte“. Der 59-Jährige nimmt sich Zeit, um über seine Hütte zu reden. „Dr. Tilly Moses“ ist auf dem Rücken des Stuhls eingraviert, auf dem er sitzt. „Gretel Neumann“ steht auf einem anderen, „Alfons Jaffee“, „Dr. Otto Heusler“ oder „Wilhelm Durant“.
Die Namen verweisen auf die Geschichte des Friesenberghauses. Eröffnet wurde die in einer Scharte unter dem 3.231 Meter hohen Hohen Riffler gebaute Hütte im Jahr 1932. Sie war notwendig geworden, denn in den meisten Hütten der Umgebung hingen schon die Schilder „Juden sind hier unerwünscht“.
„Ich bin stolz, hier Wirt zu sein“, erzählt Fritzenwallner. „Stolz wegen der Geschichte, aber auch, weil dieses Haus früher eine besondere Ausstattung hatte: Hier gab es hölzerne Badewannen, und jedes Zimmer hatte ein eigenes Waschbecken.“
Bauherr war der Deutsche Alpenverein Berlin (DAVB). Der hatte mit dem großen Dachverband, dem Deutsch-Österreichischen Alpenverein (DÖAV), nichts zu tun, denn der mühte sich redlich, „judenrein“ zu werden.
Schon zu Beginn der 20er Jahre duldeten immer weniger DÖAV-Sektionen jüdische Mitglieder. 1921 hatte etwa die Wiener Sektion Austria alle Juden hinausgeworfen. Die taten sich dann, zunächst noch unter dem Dach des DÖAV, als neue Sektion zusammen und nannten sich Donauland. 1924 flogen sie auch aus dem DÖAV hinaus.
„,Donauland‘ ist wegen ihrer volksfremden Zusammensetzung und Eigenart für die Gesamtheit der österreichischen Sektion unannehmbar“, hieß es damals. Zu den wenigen Sektionen, die für Donauland votierten, gehörte die Sektion Berlin.
Sechs Sektionen gab es damals in Berlin; die Antisemiten sammelten sich eher in „Mark Brandenburg“, wo seit 1899 nur „christlich getaufte, deutsche Staatsbürger“ bergsteigen durften. Die Berge „judenrein“ zu machen, war ein strategisch wichtiges Projekt für die folgende Machtergreifung der NSDAP, analysiert der Münchner Alpinschriftsteller Nicholas Mailänder. Das Projekt war erfolgreich.
Nachdem 1924 der Ausschluss von Donauland nicht verhindert werden konnte, verließen über 600 Mitglieder die bis dahin liberale Sektion Berlin und gründeten einen neuen Verband: Das war der DAVB, völlig eigenständig und außerhalb des DÖAV.
Die Ausgestoßenen, DAVB aus Berlin und Donauland aus Wien, arbeiteten eng zusammen und gaben auch ein gemeinsames Mitteilungsblatt heraus. Doch die Alpen wurden stetig braun.
1931 hatte der DAVB schon 1.502 Mitglieder, und trotz der Anfeindungen wurde das Friesenberghaus 1932 mit einem großen Festakt eingeweiht. Doch 1933 schon kamen die Nazis an die Macht, und 1934 teilte die Gestapo dem DAVB mit, dass er aufgelöst sei. Weil er damit gerechnet hatte, schenkte der DAVB 1933 die Hütte an die Freunde vom österreichischen Donauland. Die betrieben sie noch weiter, bis 1938 der „Anschluss“ auch für ihr Verbot sorgte.
Nach 1938 rückte die deutsche Wehrmacht in das Haus. „Während des Kriegs war eine Funkerkompanie drin“, berichtet Klaus Kundt. Der frühere Journalist hat sich sehr mit der Geschichte des Antisemitismus des Alpenvereins beschäftigt. Und als Funktionär kämpft der mittlerweile 80-jährige Berliner bis heute darum, dass die Geschichte aufgearbeitet wird. Die Wehrmacht kümmerte sich nicht um die Pflege des Hauses, es drohte zu zerfallen.
„Nach 1945 hat es Donauland-Wien versucht zu bewirtschaften“, erzählt Kundt, aber der Sektion fehlten die Ressourcen. „Das Haus ging dann 1968 an die Sektion Berlin“, erzählt Kundt. Die war Nachfolgerin der alten DÖAV-Sektion Berlin, die von vielen Juden 1924 verlassen wurde. Die Berliner sind also nicht die Nachfolger des 1934 verbotenen DAVB.
„1968, als die Sektion Berlin das Haus von den Österreichern übernommen hat, war es eine Ruine, da waren die Schafe drin“, erinnert sich Kundt. Er war lange Zeit Einzelkämpfer, was die Aufarbeitung dieses braunen Kapitels alpiner Geschichte anging. Erst in den 90er Jahren begannen deutsche und österreichische Forscher sich des Themas anzunehmen. Rainer Amstädter, ein Historiker und Bergführer, schrieb das Werk „Der Alpinismus“ (1997). Der Zeitungswissenschaftler und Alpenvereinsfunktionär Helmuth Zebhauser legte „Alpinismus im Hitlerstaat“ (1998) vor. Beides sind bis heute Standardwerke zum Thema.
Die Sektion Berlin unter ihrem damaligen Vorsitzenden Klaus Kundt drang 1999 erfolgreich darauf, dass ein Ehrenmal, das an die Opfer von „Intoleranz, politischer, religiöser, weltanschaulicher oder rassischer Verfolgung“ erinnerte, errichtet wurde. 2003 wurde die Berghütte zu einer „Bildungs- und internationalen Begegnungsstätte gegen Vorurteile“ ernannt.
„So richtig erfüllt das Haus diese Funktion nicht“, kritisiert Klaus Kundt. Er denkt an historische Seminare oder Lehrgänge – „oder man könnte für Annäherung etwa zwischen den Südtiroler Bergsteigern und dem CAV, dem italienischen Verband sorgen: Die österreichisch-italienische Grenze ist nicht weit, und da gibt es immer Spannungen.“