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Archiv-Artikel

Herrenlose Koffer jetzt hochverdächtig

Nach den Bombenfunden in zwei Koffern sind Bahnbegleiter alarmiert. Bundesanwaltschaft ermittelt „in alle Richtungen“. Terroristischer Hintergrund, Kleinkriminelle oder Erpressungsversuch von Einzeltätern? Bahnsprecher warnt vor Panikmache

AUS DÜSSELDORFPASCAL BEUCKER

Die Passagiere wurden evakuiert, der Schienenverkehr umgehend gesperrt, starke Polizeikräfte riegelten weiträumig den Dormagener Bahnhof ab. Angespannt durchleuchteten die angeforderten Spezialisten der Bundespolizei am Dienstagabend den verdächtigen Koffer-Trolley im Bordrestaurant des Regionalzuges von Köln in Richtung Krefeld. Und sahen – Kleidungsstücke.

Nach gleich zwei Bombenfunden Anfang der Woche liegen die Nerven blank bei den Zuständigen für die Bahnstrecken an Rhein und Ruhr. Die weitgehend identischen Sprengkonstruktionen befanden sich in herrenlosen Rollkoffern, die am Montag in den Regionalexpressen von Aachen nach Hamm und von Mönchengladbach nach Koblenz aufgefunden und in den Fundbüros der Hauptbahnhöfe von Dortmund und Koblenz abgegeben worden waren. Dort entdeckten Bahnangestellte das explosive Gemisch: Beide Gepäckstücke enthielten je eine Propangasflasche, mehrere mit Benzin gefüllte Flaschen, Zündvorrichtungen und Batterien, wie die Bundesanwaltschaft gestern mitteilte.

Sie hat mittlerweile die Ermittlungen an sich gezogen – allerdings alleinig aufgrund der auffälligen „Parallelität“ der beiden Funde, wie Behördensprecher Ullrich Schultheis betonte. Denn auch wenn die Bundesanwaltschaft nun gegen unbekannt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt, ist bislang völlig unklar, wer und was hinter den Bombenkoffern steckt. Politisch motivierte Straftäter, eine kriminelle Gruppe oder „nur“ ein Einzeltäter, wie jener Bombenleger vom Dresdner Hauptbahnhof, der 2003 die Deutsche Bank hatte erpressen wollen? „Wir ermitteln in alle Richtungen“, so Schultheis.

Das Bundesinnenministerium äußerte sich denn auch nur sehr zurückhaltend. Der Hintergrund der Taten könne sowohl „staatsschutzrelevant als auch allgemeinkrimineller Natur sein“, sagte eine Sprecherin.

Während die Dortmunder Polizei, die eine Sonderkommission eingerichtet hat, mit einer Flugblattaktion auf den betroffenen Zugstrecken gestern auf Zeugensuche ging, hat die Deutsche Bahn ihre Mitarbeiter zu verstärkter Aufmerksamkeit aufgerufen. Die Zugbegleiter, das Bahnhofspersonal und die Sicherheitsleute in den Bahnhöfen würden ihr „besonderes Augenmerk“ auf allein stehende Gepäckstücke legen, so ein Bahnsprecher. Allerdings warnte er vor Panikmache: „Es muss das richtige Maß gewahrt werden“, sagte der Sprecher zur taz und erinnerte daran, dass nach dem versuchten Anschlag im Dresdner Hauptbahnhof unzählige unbeaufsichtigte Koffer gemeldet wurden. Gefährliches gefunden wurde indes nichts.