Privatisierung war ein Rückschlag

Das Stromnetz in den USA ist nicht auf den wachsenden Energiebedarf des 21. Jahrhunderts eingestellt

BERLIN taz ■ Die New Yorker stellen gerade einen Rekord nach dem anderen auf. Am Dienstag haben sie so viel Strom verbraucht wie noch nie zuvor und damit ihren eigenen gerade mal zwei Wochen alten Rekord gebrochen. Während in Deutschland im Winter am meisten Strom verbraucht wird, ist in den USA die Spitzenzeit im Sommer, wenn kein Raum unklimatisiert bleibt. Die Folge: Die Stromversorgung ist wackelig.

„Das Elektrizitätssystem des Staates funktioniert sehr gut angesichts dieser schwierigen Bedingungen“, beruhigte dagegen Mark Lynch, der Chef der New Yorker Elektrizitätsbehörde NYISO, die hitzegeplagten Städter. Sicherheitshalber forderte er dennoch Unternehmen auf, ihren Stromhunger zu zügeln, und reduzierte die Lieferungen an einige Großverbraucher. Privathaushalte wurden angewiesen zu tun, was in den USA keineswegs selbstverständlich ist: etwa die Klimaanlage nicht auf ganz arktische Temperaturen einzustellen oder das Licht beim Rausgehen auszumachen. Die Stadt geht beim Stromsparen voran und verzichtet auf die hübsche nächtliche Beleuchtung der Brooklyn Bridge.

Noch ist dank der Vorsichtsmaßnahmen nichts passiert – von einem einwöchigen Stromausfall in ein paar Ecken des New Yorker Stadtteils Queens im Juli abgesehen. Aber gerade die New Yorker wissen, wie fragil das System ist. Die älteren von ihnen erinnern sich mit Schaudern an den drückend schwülen Sommer 1977, den berüchtigten „Summer of Sam“, benannt nach einem damals wütenden Serienmörder. Am 13. Juli 1977 fiel dann auch noch der Strom aus. Pendler mussten zu Fuß nach Hause gehen, es gab viele Plünderungen. Sie ließen New York wie eine unregierbare Dritte-Welt-Metropole aussehen.

Doch New York hat sich verändert. Nicht etwa, dass die Technik besser geworden wäre. Im August 2003 gab es den nächsten Mega-Blackout, der hoch bis nach Kanada reichte. Doch diesmal kam es statt zu Plünderungen zu ausgelassenen Partys vor den Kneipen bei Kerzenlicht und lauwarmem Bier.

Der damalige Energieminister Spencer Abraham erklärte : „Wir haben ein Leitungsnetz, das größtenteils zu einer Zeit gebaut wurde, als noch ein einzelnes Kraftwerk einen kleinen Bezirk versorgte. Jetzt haben wir einen Stromhandel über lange Distanzen hinweg. Das Netz ist nicht auf diese Herausforderungen des 21. Jahrhundert eingestellt.“ Kosten für die nötige Modernisierung: mindestens 50 Milliarden Dollar.

Vor allem seit der Deregulierung der Elektrizitätsmärkte in den USA – so verkaufte New York 1998 seine Kraftwerke an private Betreiber – klappt vieles nicht mehr so, wie es sollte. Nun haben zwar die Energieerzeuger einen wirtschaftlichen Anreiz, immer mehr Strom zu erzeugen und zu verkaufen. Der Stromverbrauch stieg tatsächlich seit den Neunzigerjahren um fast ein Drittel, Tendenz: stark steigend. Es ist, als käme jedes Jahr eine Stadt von der Größe Baltimores dazu, erklärte einer der großen Netzbetreiber im Nordosten. „Es gibt mehr Leute, mehr Häuser, und diese Häuser werden immer größer. Sie sind voll mit immer mehr elektrischen Geräten, und sie haben immer größere Klimaanlagen“, seufzte der Sprecher der New Yorker Energiebehörde.

Doch während der Stromkonsum wächst, haben die Stromversorger keinen Anreiz, in entsprechend mehr neue Leitungen zu investieren. Sie stehen nämlich weiter unter staatlicher Aufsicht und dürfen die Kosten dafür nicht an die Verbraucher weitergeben. Das Leitungsnetz ist deshalb längst an seine Kapazitätsgrenze gestoßen.

Allerdings wurde aus dem Stromausfall von 2003 die Lehre gezogen, dass die Deregulierung womöglich zu weit gegangen ist. Die Kommunikation zwischen Kraftwerken und Netzbetreibern wurde inzwischen verbessert. Es gibt jetzt sogar eine Organisation, die bundesweit verbindliche technische Standards setzen darf. Vergangenes Jahr verabschiedete der Kongress nach ewigem Tauziehen ein neues Energiegesetz, in dem Mindeststandards für das Stromleitungsnetz, Energiesparen und regenerative Energien vorkommen. Aber in erster Linie setzt die US-Regierung auf Altbewährtes: Kohle, Öl und noch mehr Kraftwerke, nicht zuletzt atombetriebene. „Amerika begegnet Energieproblemen weiter mit Verdrängung“, lautete der knappe Kommentar der britischen Financial Times. NICOLA LIEBERT