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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Klar trage ich im Sommer kurze Hosen“

Mario Galla nennt seine Prothese ein „Gimmick“. Sie hat ihn weder vom Basketball noch vom Modeln abgehaltenPOSE ODER POLITIK Der Hamburger Mario Galla arbeitet seit vier Jahren als Model. In Shorts sorgte er bei der Berliner Fashionweek für Aufsehen. Denn Galla trägt wegen einer Oberschenkel verkürzung eine Prothese. Die findet er überbewertet

Mario Galla, 24

■ hat sich nach dem Abitur an Jura versucht und dann stattdessen beim NDR eine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation gemacht.

■ Er wurde vor vier Jahren als Model entdeckt, unter anderem hat er für Designer wie Hugo Boss, Alexis Mabille und Michael Michalsky gearbeitet.

■ Nebenbei jobbt er nach wie vor als Redaktionsassistent beim NDR in Hamburg und beginnt im Oktober sein Studium „Medien und Information“. Foto: dpa

INTERVIEW KATHARINA GIPP

taz: Herr Galla, wie hätten Sie reagiert, wenn Ihnen jemand vor zehn Jahren erzählt hätte, dass Sie mal bei der Fashion-Week in Berlin über den Laufsteg gehen würden?

Mario Galla: Mal abgesehen davon, dass ich vor zehn Jahren noch nicht mal gewusst habe, was das ist, hätte ich das auf jeden Fall nicht für möglich gehalten. Wer auch immer mir das erzählt hätte, den hätte ich wahrscheinlich ungläubig angeguckt und gelacht.

Hätten Sie sich also gar nicht vorstellen können, mal als Model zu arbeiten?

Nö. Bis zu dem Tag, als ich meinen ersten Job hatte, definitiv nicht.

Und wie kam es dann schließlich dazu?

Ich wurde vor vier Jahren in einem Imbiss im Grindelviertel von einem Modelscout von PMA Models angesprochen. Ich habe ihm meine Nummer gegeben und wurde ein, zwei Tage später angerufen. Ich hatte dann ein Casting, wurde genommen und hatte plötzlich eine Agentur hier in Hamburg. Eine ganz typische Geschichte.

Wusste Ihre Agentur von vornherein, dass Sie eine Beinprothese haben?

Nein. Erst nachdem sie ein paar Polaroids von mir gemacht haben, habe ich ihnen meine Beinprothese gezeigt. War für sie aber kein Problem. Und ich hatte tatsächlich schon nach wenigen Monaten meinen ersten Job für Hugo Boss.

Stört es Sie, von den Medien vor allem wegen Ihrer Behinderung angesprochen zu werden?

Ich habe damit nicht so ein großes Problem. Ich habe halt eine Behinderung und arbeite als Model. Natürlich ist das ein interessantes Thema, aber ich will nicht darauf reduziert werden. Sonst könnte man ja jeden x-Beliebigen interviewen, der eine Behinderung hat. Ich bekomme ja auch nicht nur deswegen Jobs, sondern vor allem wegen meines Looks. Meine Prothese ist halt so ein Gimmick, den ich da habe.

Und seit wann haben Sie diesen Gimmick?

Schon seit meiner Geburt. Ich habe rechts eine Oberschenkelverkürzung. Ich habe zwar Zehen und alles ist dran, aber es ist alles extrem verkürzt. Mit zwei oder drei Jahren habe ich meine erste Prothese bekommen, als der Unterschied zwischen den Beinen zu groß wurde.

Gab es Situationen, in denen Ihre Prothese Sie behindert hat?

Nee, eigentlich überhaupt nicht. Ich war immer zu hundert Prozent integriert und habe auch nie Hänseleien erlebt. Im Sport hatte ich immer eine Eins, und das in Konkurrenz zu nicht-behinderten Menschen. Ich hab auch in einer Leistungsklasse Basketball gespielt. Allerdings darf ich keine Autos mit Schaltgetriebe fahren. Und ich wollte mich mal als Kriminalkommissar bei der Polizei bewerben und da durfte ich gar nicht erst beim Sporttest mitmachen. Obwohl ich sicher davon ausgegangen bin, dass ich den einen oder anderen hinter mir gelassen hätte.

Der Designer Michael Michalsky hat Sie in kurzer Hose auf den Laufsteg geschickt. Würden Sie die auch privat tragen?

Klar trage ich im Sommer auch kurze Hosen. Natürlich zieht das Blicke auf sich, aber das ist mir egal. Ich würde auch gucken, wenn ich jemanden mit Prothese und kurzer Hose sehen würde. Das ist halt was anderes und da guckt man eben. Das geht mir genauso wie allen anderen Menschen auch. Aber deswegen möchte ich nicht darauf verzichten, im Sommer eine gute Lüftung an den Beinen zu bekommen. Oder zumindest an einem Bein.

Waren Sie nach der Berliner Fashionweek im vergangenen Monat besonders gefragt?

Es war eher ein medialer Hype. Viele fragen mich nach einem Interview. Kundentechnisch hat sich aber nicht viel verändert. Es gibt aber natürlich auch Kunden, die ein politisches Statement abgeben wollen, wenn sie mich buchen.

Inwiefern können Sie ein politisches Statement sein?

Ich bin halt eine Person mit Behinderung. Kunden überlegen sich, ob sie das darstellen möchten oder nicht. Das ist ja schon eine andere Aussage, wenn man mich bucht, um mich mit Prothese zu zeigen, als wenn man nur mein Gesicht ablichtet.

Ist dieser Medienrummel um Sie ein Segen oder ein Fluch?

Vielleicht mehr Segen als Fluch. Über Aufmerksamkeit will ich mich nicht beschweren. So sehen mich mehr Menschen und auch Kunden, die mich vielleicht buchen wollen. Ich gebe gerne Interviews, aber manchmal reicht es auch. Aber lange wird dieses Interesse ja wahrscheinlich auch nicht anhalten. In einer Woche interessiert das keinen mehr.

In einer Woche?

Naja, wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Bis jetzt ist ja alles noch ganz entspannt. Bald wird es eine Dokumentation über mich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geben, mit dem Titel „Mario Galla – mit einem Bein im Modelbusiness“. Ich finde es schon cool, eine eigene Doku zu haben. Auch wenn die Idee dazu nur wegen meiner Behinderung entstand. Ist aber in Ordnung. Die Prothese ist ja schließlich ein Teil von mir.

Wussten Sie, dass in Ihnen ein Talent zum Modeln schlummert?

Gar nicht. Ich weiß auch bis heute nicht, ob ich tatsächlich ein Talent dafür habe. Ich scheine wohl fotogen zu sein, aber eigentlich fand ich mich immer ganz schrecklich auf Fotos.

Haben Sie sich verändert, seitdem Sie modeln?

Ich habe höchstens äußere Veränderungen bemerkt. Ich kleide mich bewusster als früher und bin offener für neue Styles. Ich mochte mich als Kind immer schon gerne verkleiden und jetzt kann ich es ausleben. Vom Charakter her habe ich aber noch keine Veränderungen festgestellt.

Können Sie Freundinnen jetzt Schminktipps geben?

Nee, Schminktipps nicht. Da bin ich voll der Loser. Eyeliner und Kajal kann ich immer noch nicht auseinanderhalten. Aber mit dem Haar kann ich ein paar Tipps geben. Wenn meine Freundin mehr Volumen in ihren Haaren braucht, kann ich ihr helfen.

Wie viel Geld haben Sie bislang mit dem Modeln verdient?

Ach, ich spreche nicht über Zahlen. Manche Jungs werden dadurch reich, die anderen können davon gut ein paar Jahre leben. Ich hab’ mir für mein Studium ein bisschen was zur Seite gelegt, aber noch nicht die erste Villa gekauft. Ich bin eigentlich ein ziemlich genügsamer Mensch. Dabei muss man aber erwähnen, dass männliche Models nur ein Drittel von dem verdienen, was Frauen bekommen.

Sie haben ja noch einen anderen Job.

Momentan arbeite ich beim NDR als Redaktionsassistent im Hörfunk. Das ist meine normale Tätigkeit. Hin und wieder gehe ich dann auch in meine Agentur, aber das Modeln bestimmt nicht meinen Alltag. Ich bin eigentlich ein ganz normaler Typ, der auch ganz normal arbeitet, und nebenbei eben modelt. Es ist nicht so, dass ich jeden Tag gebucht bin. Auch wenn das schön wäre. Ab Oktober werde ich aber anfangen zu studieren, „Medien und Information“. Da wird sich mein Alltag wieder ein bisschen verändern.

Warum fangen Sie jetzt noch mit einem Studium an?

Ich habe beim NDR meine Ausbildung gemacht als Kaufmann für Bürokommunikation. In dem Beruf arbeite ich wegen des Modelns aber schon lange nicht mehr, sondern zeitlich flexibler als Redaktionsassistent. Wir mussten das ja irgendwie regeln, dass ich ab und zu mal weg sein kann, aufgrund des Modeljobs. Nach dem Studium will ich dann auf jeden Fall nicht in der Redaktion landen, auch wenn ich mich da in letzter Zeit aufgehalten habe. Ich glaube einfach, ich wäre kein guter Redakteur. Ich sehe mich eher im Bereich Unternehmensberatung und Öffentlichkeitsarbeit für Medienunternehmen, oder im Bereich Markenkommunikation.

Das ist dem Modeln ja nicht ganz unverwandt.

Ja, genau. Ich finde es interessant, wie Produkte nach außen kommuniziert werden.

Könnten Sie sich das Modeln auch als Vollzeitjob vorstellen?

Ja, prinzipiell schon. Aber jetzt steht für mich primär das Studium im Vordergrund. Aber wenn es sich so entwickeln sollte, dass ich so oft gebucht werde, dass ich mich kaum noch retten kann, muss ich das Studium halt nach hinten schieben. Oder wenn ich einen Modelvertrag für mehrere Jahre bekommen würde, würde ich auf jeden Fall woanders hinziehen.Wann, wenn nicht jetzt?Gibt es etwas, was Sie als Model nie tun würden?

Ich hatte mal Mega-Stress, als ich bei einem Shooting Pelz tragen sollte. Davon wusste ich vorher nichts. Und ich hatte auch noch eine super lange Anreise von etwa vier Stunden. Das ist auf jeden Fall etwas, was ich überhaupt nicht mag. Und so ganz nackt ist auch eher nichts für mich. In der Hinsicht bin ich vielleicht ein etwas konservativer Typ. Ich brauche auf jeden Fall immer noch meine Unterhose. Es sei denn, es ist chic und gut in Szene gesetzt.