: Chinesen mögen Hunde
Freund oder Delikatesse? In China sind Hunde beides. Während Tiere aller Art nach wie vor gerne verspeist werden, wächst gleichzeitig die Zahl der Haustierfreunde. Tierquälerei ist allerdings noch immer weit verbreitet
AUS PEKING JUTTA LIETSCH
Angel Chai ist viel beschäftigt: Ihr Telefon im Pekinger „Verein zum Schutz kleiner Haustiere“ klingelt am laufenden Band. „Mein Arzt hat gesagt, ich muss meine Katze weggeben, weil ich schwanger bin“, klagt eine Frau am anderen Ende der Leitung. „Kann ich sie bei Ihnen lassen?“
Der nächste Anrufer möchte wissen, was mit den streunenden Hunden in seiner Straße geschehen soll. „Bringen Sie sie zur Tierklinik, die kümmert sich darum!“, rät Chai, eine fröhliche 25-Jährige im grauen Mickymaus-T-Shirt mit Glitzerpailletten. „Wir unterstützen die Kampagne der Stadtregierung zur Sterilisierung herrenloser Tiere“, sagt die junge Frau, die sich den englischen Vornamen „Angel“ gewählt hat.
Mao gegen Haustiere
Der 1999 gegründete Tierschutzverein im dritten Stock einer Pekinger Hochhaussiedlung ist ein Symbol des neuen China. Jahrzehntelang gab es im Reich der Mitte nichts zu schützen: Haustiere waren verpönt. Goldfische etwa, Singvögel, Katzen oder Hunde zu besitzen, galt während der Kulturrevolution als Zeichen bourgeoiser Dekadenz und politischer Unzuverlässigkeit. Erst in den Achtzigerjahren, lange nach dem Tode Mao Zedongs, fiel schließlich das Verbot, Hunde in Wohnungen zu halten. Mit wachsendem Wohlstand entdeckten immer mehr Chinesen ihre Liebe zu den Tieren. Die ehemalige Buchhalterin Angel Chai und ihre Kollegen vom Tierschutzverein wollen nun dafür sorgen, dass „die Leute mit ihnen vernünftig umgehen“.
Der Hund des Tages
Neckisch blinzeln Angorakätzchen in Weihnachtsmann-Kostümen von einem Plakat an der Wand. Gegenüber blickt ein strammer Schnauzer vor sonniger Alpenkulisse in die Ferne. Auf dem abgeschabten Sofa des Büros döst ein zahnloser Kater. Der Verein hat mittlerweile über 700 Mitglieder aller Altersgruppen, die jährlich rund 20 Euro Mitgliedsbeitrag zahlen. Er unterstützt Kampagnen – zum Beispiel die Sterilisierungsaktion – und veranstaltet vier bis fünf Tierschauen im Jahr. Im nördlichen Vorort Changping unterhält der Verein außerdem ein Tierheim. Die meisten der Katzen, Hamster, Mäuse, Hunde und Vögel, die dort abgeliefert werden, „finden bald wieder neue Besitzer“, sagt sie. Die Tierschützer veröffentlichen ihre Fotos im Internet und in Zeitschriftenkolumnen wie „Hund des Tages“.
In den Parks und an den Straßenecken versammeln sich mittlerweile nicht nur, wie schon zu Zeiten des Kaisers, die Rentner mit ihren Vogelkäfigen, um gemeinsam dem Gesang zu lauschen – die Pekinger sind längst „auf den Hund gekommen“. Mehr als eine Million Hunde leben inzwischen in der Hauptstadt. Heerscharen von Männern und Frauen aller Altersstufen schlendern allabendlich mit ihren Hündchen durch die Hutongs, Geschäftsstraßen und Wohnanlagen. Damit die dicht besiedelte Metropole nicht in Hundehaufen versinkt, lässt die Regierung im Zentrum nur Tiere zu, die nicht größer sind als 35 Zentimeter. Deshalb sind bei den Pekingern vor allem Pekinesen, Spitze und Chihuahuas beliebt.
Siebzig Tierkliniken in Peking
Das Geschäft rund ums Tier blüht: Mehr als 50 Millionen Euro geben allein die Pekinger jährlich für ihre Haustiere aus. Über siebzig Tierkliniken, mehr als 300 Friseur- und Schönheitssalons sowie Spezialgeschäfte für Tierzubehör haben mittlerweile in Peking ihr Pforten geöffnet. An den Kiosken hängen Zeitschriften mit Namen wie Welt der Haustiere. Dass die Liebe bei den Chinesen – wohl stärker als in anderen Ländern – durch den Magen geht, erklärt vielleicht, warum Hundefleisch nach wie vor zu den beliebten Spezialitäten gehört. Es hat nach dem chinesischen Verständnis von Yin und Yang „wärmende“ Eigenschaften, die den Körper vor zu starker Auskühlung schützen sollen. Bis zu zehn Millionen Hunde werden jährlich geschlachtet, schätzen Experten.
Angeregt von ausländischen Tierfreunden versuchen einige chinesische Hundefreunde neuerdings, ihren Landsleuten den Spaß an diesen traditionellen Speisen zu verderben. Die Zeitschrift Haustier-Leben etwa verteilte im Frühjahr eine Diskette mit Songs zum Thema: „Ist der Hund ein Freund fürs Leben oder nur ein leckeres Essen?“ Angel Chai findet solche Kampagnen übertrieben: „Die Leute essen ja nicht ihre Haustiere, sondern Hunde, die speziell zum Essen gezüchtet werden“, sagt sie. „Das ist doch etwas ganz anderes!“ Manche Schlachtungen – wie derzeit in der Südwestprovinz Yunnan, wo in jüngster Zeit 50.000 Hunde vernichtet wurden, wie die Zeitungen berichten (siehe Kasten) – sind allerdings eine Reaktion auf die Ausbreitung der Tollwut in dieser Region.
Todeskampf im Internet
Nicht nur Krankheiten, sondern auch Gleichgültigkeit, besonders auf dem Lande, sind der Grund dafür, dass Tiere oft grausam behandelt werden und der Ruf Chinas unter Tierfreunden in der Welt schlecht ist. Berichte über gezielte Tierquälereien werden aber auch in China nicht ungerührt hingenommen: So tauchte im Internet in diesem Frühjahr zum Beispiel ein Video auf, das den Todeskampf eines Kätzchens unter dem Stiletto-Absatz einer unbekannten Frau zeigte. Der Film war gegen eine Gebühr von umgerechnet 1,50 Euro auf einer Webseite anzuklicken, die sich auf solche Bilder spezialisiert hatte, und löste einen Sturm der Entrüstung aus. Der Fuß der Sadistin gehörte, wie Internet-Spürnasen schnell herausfanden, einer nordchinesischen Krankenschwester. Sie soll mittlerweile ihren Job verloren haben.
„Leider“, sagt Angel Chai, „haben wir in China noch kein Tierschutzgesetz. Wir können solche Tierquäler nicht verklagen.“ Dennoch ist sie überzeugt, dass sich die Haltung vieler Chinesen zu Tieren in den letzten Jahren verbessert hat. Als „Wendepunkt“ bezeichnet sie das Frühjahr 2003, als die tödliche Lungenkrankheit Sars China erschütterte. Seither hält sich das Gerücht, berichtet Angel Chai, das Sars-Virus stamme von Tieren, „die sich bei uns Menschen dafür rächen, dass wir grausam zu ihnen gewesen sind“.