Er will die Leute wütend machen

RETROSPEKTIVE Ken Loach setzt Maßstäbe für das politische Kino der Gegenwart. Auf der Berlinale erhält er jetzt einen Goldenen Ehrenbären, das Lichtblick-Kino widmet ihm eine Reihe

Ken Loach zeigt eine Arbeitswelt, in der jeder sich selbst der Nächste ist

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Ken Loach ist kein Regisseur, der sich mit dem Filmemachen begnügt.

Ken Loach ist in Großbritannien ein „public intellectual“, der sich zum Zeitgeschehen äußert und immer mal wieder für eine Schlagzeile gut ist. Sei es, dass er empfiehlt, das Staatsbegräbnis von Margret Thatcher zu privatisieren, um ihr politisches Andenken zu ehren. Sei es, dass er seine Filme aus Protest gegen die israelische Siedlungspolitik bei einem Festival zurückzieht, weil dieses von der israelischen Botschaft gesponsert wird: Ken Loach gehört zu der Spezies von Regisseuren, die nicht nur politische Filme macht – obwohl er natürlich auch das tut, und zwar in den letzten Jahren mit einer Woody-Allen-artigen Regelmäßigkeit fast jährlich einen neuen –, sondern der auch jenseits seines Metiers politisch denkt und handelt.

Das mag manchen altmodisch erschienen. Aber es macht den 77-Jährigen auf jeden Fall zu einem Maßstab für das politisch-realistische Kino der Gegenwart. „Ich will, dass die Leute wütend werden“, hat er selbst in einem Interview gesagt und sich in seinen Filmen vor allen damit beschäftigt, wie sich die gesellschaftlichen Veränderung Großbritanniens seit Margret Thatcher auf deren schwächste Mitglieder ausgewirkt hat. Das hat er mit einer Systematik getan, die pädagogisch wirken würde, wenn seine Filme nicht so bewegend und aufwühlend wären.

Die Berlinale ehrt Ken Loach für seine Filme und für so viel Unbeugsamkeit in diesem Jahr mit einem goldenen Ehren-Bären und zeigt zehn seiner Filme. Wer sie dort verpasst, kann sie sich auch im Lichtblick-Kino in Prenzlauer Berg ansehen, das in den nächsten Tagen eine eigene kleine Ken-Loach-Retrospektive im Programm hat. Diese konzentriert sich ganz auf die Filme, die er in den letzten zwei Jahrzehnten fürs Kino gemacht hat.

Dabei ist der größte Teil von Loachs Filmen fürs britische Fernsehen entstanden, oft für die Sendereihe „Wednesday Play“ der BBC, die sozialkritische Stoffe bot und bei der er in den 60er Jahren seinen Stil entwickelte. Dem Ruf der ewigen Erfolglosigkeit, der ihm oft nachhängt, geben diese Filme übrigens nicht recht: „Cathy Come Home“ (1966) über eine Landstreicherin wurde damals von einem Viertel aller Engländer gesehen und führte zu einer politischen Debatte über Obdachlosigkeit.

Bis heute nimmt sich Loach gesellschaftlicher Probleme an und bricht sie darauf herunter, wie sie sich auf den Einzelnen auswirken. Die neoliberale Umstrukturierung Großbritanniens hat dafür gesorgt, dass ihm die Themen nie ausgehen: In „The Navigators“ (2001) muss eine Gruppe von Gleisarbeitern mit den Folgen der Privatisierung der britischen Eisenbahnen fertig werden – das führt nicht nur zum Ende ihrer Freundschaft, sondern zeigt nebenbei auch, wie den Profitinteressen der neuen Eisenbahnunternehmen Sicherheit und Wartung geopfert werden. In „It’s a free world“ (2007) macht sich eine Arbeitsvermittlerin selbständig, die selbst arbeitslos geworden ist, und verdingt illegale Arbeitsimmigranten aus Polen und der Ukraine als Bauarbeiter in London. Loach zeigt eine Arbeitswelt, in der jeder sich selbst der Nächste ist und die auch der Protagonistin keine Alternative lässt, als zur skrupellosen Ausbeuterin zu werden.

Wie die meisten Arbeiten von Ken Loach sind diese Filme mit wenig Geld gemacht. Nur selten standen ihm für historische Stoffe größere Budgets zur Verfügung, so für „Land and Freedom“ (1995) über den spanischen Bürgerkrieg oder „The Wind that Shakes the Barley“ (2006) über den Irland-Konflikt.

Auch der Film, an dem er derzeit arbeitet, ist ein Kostümfilm: „Jimmy’s Hall“ handelt von einem irischen Kommunisten, der in den 30er Jahren einen Tanzclub eröffnet. Es könnte sein letzter Spielfilm sein. „Ich weiß nicht, ob ich so einen Kraftakt noch mal hinkriege“, sagt er in einem Interview. Und außerdem werden die Kodierstreifen, die Loach – der immer noch auf Film statt digital dreht – beim Schneiden braucht, nicht mehr hergestellt. Um „Jimmy Hall“ fertigstellen zu können, musste Loach ausgerechnet von dem Hollywood-Trickfilm-Studio Pixar eine Sendung mit Kodierstreifen als Geschenk annehmen.

■ Ken-Loach-Filmreihe: Lichtblick-Kino, 13.–26. 2., Programm unter www.lichtblick-kino.org