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Archiv-Artikel

Nordkoreas Kim pfeift auf die letzten Freunde

Einen Monat nach den nordkoreanischen Raketentests ist das Regime von Kim Jong Il isolierter denn je. Nachdem auch die Regierungen in Peking und Seoul verhalten Kritik übten, hat sich das Regime in Pjöngjang weiter zurückgezogen

PEKING taz ■ Nordkorea schlittert in diesen Tagen in eine neue innere Krise und schottet sich zugleich stärker von der Außenwelt ab. Die Folgen für die 23 Millionen Bewohner, die in den 90er-Jahren bereits eine Hungersnot mit Millionen Toten durchlitten haben, könnten katastrophal sein. Die Militärs der Nachbarstaaten sind alarmiert und befürchten weitere Raketentests.

An der nordkoreanischen Ostküste sollen weitere Abschussrampen errichtet worden sein, auf denen derzeit 200 Rodong-Raketen mit einer Reichweite von 2.200 Kilometern und 50 SSN-6-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 4.000 Kilometern installiert werden, berichteten südkoreanische Medien am Donnerstag. Sollten diese angeblich gemeinsam mit dem Iran entwickelten Geschosse tatsächlich abgefeuert werden und anders als die unmittelbar nach dem Start im Juli abgestürzte Taepodong-2-Rakete auch funktionstüchtig sein, könnten sie Japan treffen.

Ein neuer regionaler Rüstungswettlauf ist abzusehen. Besonders frustrierend ist die Entwicklung für Chinas Regierung, die sich seit 2003 vergeblich um eine diplomatische Lösung des Konfliktes um Pjöngjangs Atomprogramm bemüht – als Gastgeber der so genannten Sechsergespräche mit den USA, Nord- und Südkorea, Japan und Russland.

Inzwischen ist Pekings Verhältnis zu Pjöngjang deutlich abgekühlt. Nachdem Nordkorea seine Raketen am 5. Juli gegen Pekings ausdrücklichen Wunsch testete, brüskierte Kim Jong Il China gleich noch einmal: Eine hochrangige Delegation mitsamt Vizepremier und Vizeaußenminister wartete in Pjöngjang tagelang vergeblich auf eine Audienz bei Kim und musste schließlich wieder nach Hause fahren, ohne ihn gesprochen zu haben. Daraufhin platzte Chinas Führung der Kragen: Mitte Juli stimmten sie im Weltsicherheitsrat gegen Nordkorea. Obwohl die UNO-Resolution keine Sanktionen gegen Pjöngjang vorsieht, war dies eine Premiere in Chinas Diplomatie.

Ein weiteres Zeichen für Pekings Ärger auf den Nachbarn: Erstmals gestattete Chinas Regierung drei geflohenen Nordkoreanern kürzlich die Ausreise direkt in die USA – ohne sich um Pjöngjangs Empfindlichkeiten zu kümmern, das die Deportation nach Nordkorea verlangt hatte. Auch wurde bekannt, dass die staatliche Bank of China in der Casinostadt Macao mehrere nordkoreanische Konten eingefroren haben soll. Die Chinesen verdächtigten Pjöngjang, nicht nur gefälschte Dollarnoten, sondern auch Yuan-Blüten in Umlauf zu bringen, berichteten US-Medien. Eine offizielle Bestätigung in Peking gab es nicht.

Die Volksrepublik China, die 1.400 Kilometer Grenze mit Nordkorea teilt, hat Kims Regime in den letzten Jahren mit Nahrungs-, Öl- und Düngerlieferungen über Wasser gehalten und noch im Juni die gemeinsame Ausbeutung von Ölvorkommen vor der Küste im Grenzgebiet verabredet. Trotzdem denken die Nordkoreaner nicht dran, sich dankbar zu zeigen. Kim setzt weiter darauf, dass Peking einen Zusammenbruch seines militarisierten Reichs aus Angst vor schweren Unruhen in der Region um jeden Preis verhindern will.

Eisiger wird Pjöngjangs Beziehung auch zu Südkorea: Nach den Raketentests hatte die Regierung in Seoul Kim Jong Ils Wunsch nach zusätzlicher Hilfe von 500.000 Tonnen Reis, mehreren hunderttausend Tonnen Düngemitteln, Schuhen und anderen Gütern abgeschlagen. Darauf erklärte Pjöngjang beleidigt, es werde überhaupt keine offiziellen Gaben aus dem Süden mehr akzeptieren – und wies sogar die Hilfe des südkoreanischen Roten Kreuzes für die Opfer der schweren Überschwemmungen Mitte Juli zurück, bei denen über 150 Menschen starben und zahlreiche Häuser und Felder zerstört wurden. Militärs und Machthaber glaubten, dass sie „die Bevölkerung weiterhin isolieren, disziplinieren und hungern lassen können“, kommentierte ein langjähriger Beobachter die Haltung des Regimes.

Eine gemeinsame Feier des Unabhängigkeitstags am 15. August mit Delegierten aus Südkorea sagte Pjöngjang ebenfalls ab. Sogar das diesjährige Arirang-Massenspektakel im Stadion mit tausenden Akrobaten und Schülern, das in den nächsten Tagen beginnen und viele zahlende Touristen aus Südkorea und anderen Staaten anlocken sollte, wurde nun gestrichen.

So besorgt sind Südkoreas Militärs über die Entwicklung im Norden mittlerweile, dass sie ihr Raketenabwehrsystem in aller Stille verstärkt und ein neues Kommandozentrum gegründet haben. JUTTA LIETSCH