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Archiv-Artikel

„Die Auswahl wird aufwendiger“

DER BÄCKER Karsten Berning führt das Unternehmen fort, das sein Urgroßvater begründete. Bewerbungen erhält er viele – nur wenige eigneten sich für den Job

„In der Backstube trainieren wir Kopfrechnen, da ist der Praxisbezug gleich da“

Zwei Lehrlinge haben ihre Ausbildung in der Backstube bisher abbrechen müssen, 2 von 16 in den letzten zehn Jahren. „Sie haben gegen ihre innere Uhr gearbeitet“, sagt Bäckermeister Karsten Berning. „Das war kein böser Wille von den Jugendlichen, sie konnten es nicht.“ Berning weiß genau, wovon er spricht: Der 37-Jährige, der den Familienbetrieb „Johann Mayer“ in vierter Generation fortführt, steht selbst jede Nacht um eins auf und schmeißt die Öfen in der Backstube an. Die Anforderungen an den Beruf des Bäckers sind deutlich gestiegen – was die Auswahl der Bewerber erschwert.

Auf die Stelle in der Backstube, die im September im Schöneberger Hauptsitz frei wird, haben sich 85 Jugendliche beworben. Berning hält sich bei der Auswahl an die Strategie seines Vaters: Zuerst schaue er im Zeugnis auf die Zahl der unentschuldigten Fehltage in der Schule. „Das ist der beste Indikator, da hatte mein Vater leider recht.“ Vier bis fünf unentschuldigte Fehltage übermehrere Zeugnisse hinweg seien einfach zu auffällig. Dann warte er ab, ob Unterlagen auf Anfrage nachgereicht werden, und liest sich die Bemerkungen zum Sozialverhalten im Zeugnis durch. 70 Bewerber waren damit ausgeschieden, nur 15 blieben übrig.

Bäckermeister Berning ist keiner, der auf auf die Jugend schimpft. Er lebt das Familienunternehmen. Wenn um zwei Uhr die Angestellten kommen und die Lehrlinge über 18, arbeitet er mit. Um zehn Uhr wechselt er ins Büro, schläft danach ein wenig, abends erledigt er die Buchhaltung und legt sich um 22 Uhr aufs Ohr. Er wohnt mit Frau und Sohn über der Bäckerei in der Innsbrucker Straße in Schöneberg, das erleichtert die Organisation.

Sieht er, dass Auszubildende Probleme beim Rechnen und Abmessen haben, bietet er persönlich Nachhilfe an. „Und in der Backstube trainieren wir Kopfrechnen, da ist der Praxisbezug gleich da.“ Dass die Jugend immer dümmer wird, glaubt er nicht. „Mein Großvater wird auch genug lernschwache Auszubildende in der Backstube gehabt haben“, sagt er. Früher hätten dort aber mehr Menschen gearbeitet. „Vielleicht sind die schwächeren eher aufgefangen worden.“ Heutzutage müssten die Lehrlinge selbstständiger sein. Berning beschäftigt insgesamt 26 Mitarbeiter in fünf Filialen. Dazu kommen vier Azubis.

Den verbliebenen 15 Bewerbern schickte Berning eine E-Mail mit der Aufforderung, zum Einstellungstest in die Bäckerinnung zu gehen. Er habe eine Anfahrtskizze mitgeschickt und um Anmeldung gegeben, erzählt er. Fünf seien dem nachgekommen. „Wenn man den Rest anruft und fragt: ‚Warum wart ihr nicht da?‘, kommt nur Erstaunen.“ Berning schüttelt den Kopf. „Eine gewisse Selbstständigkeit sollte ein 16- bis 17-Jähriger schon haben.“

Von den fünf, die Berning schließlich zum Gespräch einlud, wussten einige nichts über das Unternehmen oder den Beruf, den sie ergreifen wollten. Der Meister wird zornig, wenn er daran denkt. „Dieses Null-Interesse bringt mich auf die Palme.“ Welchen Abschluss ein Bewerber hat, sei ihm egal. Für den Bäcker zählt, wie die Leute wirken – sie müssen fit sein und ins Familienunternehmen passen.

Bei einem von den 85 hat alles gepasst. „Ein echter Lichtblick.“ Berning ist zufrieden, er macht sich auch keine Sorgen über den Nachwuchs. „Aber die Auswahl wird aufwendiger, das treibt mich um.“ Inzwischen schreibt die Bäckerei Stellen fast ein Jahr im Voraus aus. KRISTINA PEZZEI