Wandern aus dem Tal der Asche

HIPPEN EMPFIEHLT „Hans im Glück“ von Peter Liechti ist ein dokumentarischer Selbstversuch, in dem der Regisseur versucht, durch Wandern und Filmen vom Rauchen wegzukommen

Am besten ist der Film immer dann, wenn Liechti abschweift und seine Bilder und Gedanken ins Kraut schießen lässt

VON WILFRIED HIPPEN

Wenn die Zigarette fehlt, wird die Laune mies. Diese Mechanik kennen wohl fast alle, die je versucht haben, mit dem Rauchen aufzuhören - und erst recht ihre Partner, Arbeitskollegen und Freunde. Peter Liechti wird zum Beispiel bei seinem selbst verordneten Nikotinentzug zu einem üblen Kotzbrocken – und da er mit diesem Film seine drei Versuche dokumentiert, vom Rauchen wegzukommen, lernen wir ihn nie als einen eventuell ja freundlicheren rauchenden Mitmenschen kennen. Zum Glück, denn sein ewiges Nörgeln hat hohen Unterhaltungswert und erreicht in inspirierten Momenten beinah die literarischen Höhen der Schimpfkanonaden von Thomas Bernhard.

Der Schweizer Dokumentarfilmer Peter Liechti versucht hier, aus seiner Selbsttherapie Kunst zu machen. Um seine Nikotinsucht zu überwinden, wandert er durch seine Heimat. Von seinem Wohnort Zürich nach St.Gallen, wo er aufgewachsen ist, läuft er immer mit einer Digitalkamera und einem Notizblock bewaffnet, und da er zweimal rückfällig wurde, machte er die einsame Pilgerreise gleich dreimal auf verschiedenen Routen und in verschiedenen Jahreszeiten. 150 Stunden Filmmaterial und 90 Seiten Tagebuch sind dabei entstanden, und als erstes muss man schon mal seine Disziplin als Filmemacher loben, denn er ist nicht der Verführung der Überlänge erlegen und hat statt dessen sein Material auf das schöne, klassische Maß der 90 Minuten Spielzeit verdichtet.

Dennoch sieht man vielleicht ein paar Einstellungen zu viel von seinen wandernden Füßen, aber die filmt man halt immer wieder gerne, wenn man sich beim Gehen mit einer Kamera in der Hand langweilt. Interessant ist auch, dass Liechti bei diesem Selbstportrait das gleiche filmtechnische Problem hat wie die wenigen Spielfilmregisseure, die versucht haben, einen gesamten Spielfilm mit der sogenannten subjektiven Kamera zu drehen: Wenn der Blick des Protagonisten zugleich der Blick der Kamera ist, ist er selber so gut wie nie zu sehen. Die obligatorische Spiegelszene vermeidet der gewitzte Liechti, indem er einmal Fotos von sich macht und diese in die Kamera hält, aber wenn er etwa bei der zweiten Reise behauptet, er haben zugenommen (auch das ein Folgeschaden des Nichtmehrrauchens), bleibt er uns das passende Bild schuldig.

Liechti hat ein zwiespältiges Verhältnis zu seiner Heimat, der Ostschweiz, und so zeigt er immer da, wo sonst der touristische Blick herrscht, das Hässliche. Im Alltäglichen findet er dagegen Erstaunliches und Poetisches, wie einen Sänger, der auf dem Fahrrad ein Lied singt oder einen Almhirten, der so in sich ruhend vor seiner Hütte sitzt, dass in diesem Moment Sen und Zen nicht nur ähnlich klingen. Wie einer Reise angemessen hat auch der Film keine strenge Struktur und schweift statt dessen oft und gerne ab. So besucht Liechti unterwegs seine Eltern und eine Freundin seiner Großmutter, die in ein paar Sätzen so hellsichtig und plastisch die Misere ihres Daseins im Altersheim schildert, dass diese kurzen Sequenzen für sich einen perfekten, berührenden Kurzfilm abgeben würden.

Fast scheint es, als würde Liechti sich selber ermahnen, beim Thema zu bleiben, wenn er auch Patienten in der Krebsstation eines Spitals besucht, aber am besten ist der Film immer dann, wenn er seine Bilder und Gedanken ins Kraut schießen lässt. Der titelgebende „Hans im Glück“ ist übrigens für ihn jener, dem es gelingt, auf einer Reise allen Ballast abzuwerfen. Zumindest Liechtis Laune bessert sich langsam, und wenn er mit der Kamera einen besonders schönen Moment einfängt, sagt er: „Nikotin ist eine kalte, vulgäre Droge, die einem den Zugang verwehrt zu delikateren Realitäten.“