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Archiv-Artikel

Renaissance der Kopfnote

Demnächst führen auch Nordrhein-Westfalen und Brandenburg die umstrittenen Verhaltenszensuren ein

HAMBURG taz ■ Gut rechnen und lesen zu können, reicht in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg bald nicht mehr aus. SchülerInnen in diesen Bundesländern müssen künftig auch zeigen, dass sie sich benehmen können. Denn unter dem Namen „Arbeits- und Sozialverhalten“ werden dort die so genannten Kopfnoten wieder eingeführt.

Die brandenburgischen Dritt- bis Zehntklässler müssen sich bereits zum nächsten Halbjahreszeugnis auf die Beurteilung von Tugenden wie Fleiß und Ordnung gefasst machen. In dieser Woche soll Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) eine entsprechende Verwaltungsvorschrift absegnen. Das neue NRW-Schulgesetz sieht die Kopfnoten für 2007 vor. Sowohl in Brandenburg als auch in NRW sollen die beiden Verhaltensnoten, die oben – im Kopf – des Zeugnisses erscheinen, nicht über die Versetzung entscheiden.

Die Beurteilung des Verhaltens ist nicht neu in deutschen Klassenzimmern. In beinahe allen westlichen Bundesländern wurden die Kopfnoten jedoch in den Sechziger und Siebzigerjahren abgeschafft. Nur Baden-Württemberg hat von jeher an den Tugendzensuren „Verhalten und Mitarbeit“ festgehalten.

Die Eltern in der DDR konnten halbjährlich lesen, wie sich ihre Kinder in Mitarbeit, Ordnung, Fleiß und Betragen machten. Nach der Wende schafften erst alle neuen Länder die Kopfnoten ab. Brandenburg ist nach Sachsen und Sachsen-Anhalt nun das dritte ostdeutsche Land, das die Noten wieder einführt: Es ist eine Renaissance der Kopfnoten in Ost und West und als Vorbilder gelten Bayern und Sachsen.

In Brandenburg soll ab diesem Schuljahr eine Ziffernnote für das Arbeits- und Sozialverhalten zwischen eins und vier vergeben werden. So kann das Verhalten zwischen „hervorragend ausgeprägt“ und „wenig ausgeprägt“ bewertet werden. Beim Arbeitsverhalten sollen dem Entwurf zufolge etwa „Zuverlässigkeit und Sorgfalt“ sowie „Ausdauer und Belastbarkeit“ bewertet werden, beim Sozialverhalten „Verantwortungsbereitschaft, Kooperations- und Teamfähigkeit“ sowie „Konfliktfähigkeit und Toleranz“.

Bildungsexperten kritisieren an den Kopfnoten vor allem, dass solche Kriterien ungenau und subjektiv sind. „Selbst bei so vermeintlich eindeutigen Fächern wie Mathematik ist die Notengebung höchst subjektiv“, sagte der renommierte Schulforscher Klaus Klemm von Universität Dusiburg-Essen der taz. Beim Sozialverhalten sei eine Benotung daher nicht sinnvoll.

Dass Kopfnoten wenig exakt und subjektiv sind, bestätigt eine Hauptschullehrerin aus Niedersachsen, die nicht namentlich genannt werden möchte. Dort wurden die Verhaltenszensuren 2001 wieder eingeführt. „Wir vergeben die Kopfnoten so Pi-mal-Daumen“, sagte sie.

Schulforscher Klemm sieht genau darin die Gefahr. Denn was ist schon ein „gut ausgeprägtes“ Arbeits- und Sozialverhalten? „Es kann sein, dass ein Lehrer das Verhalten eines Schülers als besonders positiv bewertet, wenn der nicht zu Widerspruch neigt“, sagte Klemm. So ziehe man „angepasste Streber“ heran.

Auch der Bundeselternrat lehnt die Kopfnoten ab. Der Vorsitzende, Wilfried Steinert, sagte der taz: „Das wird als Disziplinierungsmaßnahme von den Lehrern missbraucht.“ Zudem verstärkten die Kopfnoten die soziale Selektion. „Die größten Probleme haben beim Verhalten diejenigen, die aus sozial schwachen Elternhäusern kommen.“ Die Handwerkskammern in Brandenburg dagegen freuen sich auf die Kopfnoten. Sie würden den ausbildenden Betrieben wertvolle Hinweise geben, sagte ein Sprecher. SASCHA TEGTMEIER