„Das Baby ist der wichtigste Parasit“

VAGHEIT Mutterschaft, Nachbarschaft, Einsamkeit – um diese drei Dinge dreht sich „Huba“ von Anka und Wilhelm Sasnal (Forum). Ein Gespräch darüber, eine Geschichte ohne Dialog zu erzählen

■ Anka Sasnal (geb. 1973 in Tarnów, Polen), Drehbuchautorin und Cutterin, Wilhelm Sasnal (geb. 1972 in Tarnów), Künstler und Filmemacher, betraten mit „It Looks Pretty From a Distance“ (2011) die Filmszene. Nach sechs Monaten San Francisco kehren sie via Berlinale nach Europa zurück.

INTERVIEW BARBARA WURM

taz: „Huba“ – ist das das polnische Wort für Parasit?

Wilhelm Sasnal: Wir haben lange überlegt, wie wir den Titel übersetzen sollten. Huba bedeutet nicht direkt Parasit, ist auch kein wirklich polnisches Wort. Es ist ein Pilz, der auf Bäumen wächst.

Also steht „Parasit“ nur in Beziehung zu „Huba“?

Anka Sasnal: Genau, es ist das Parasitäre, das uns an dieser Idee interessiert.

An welcher Stelle kam denn der Titel überhaupt ins Spiel?

AS: Von Anfang an.

WS: Wir mochten irgendwie den Sound des Wortes, Huba, so ein überhaupt nicht polnisch klingendes Wort. Vielleicht ist es sogar weniger die Bedeutung des Wortes als vielmehr dieser spezielle Sound, der auch so eine Abstraktion reinbringt.

Ein Wort, das das Konzept des Films gewissermaßen repräsentiert – immer gleichzeitig konkret und abstrakt zugleich zu funktionieren?

AS: Genau. Als ich das Drehbuch schrieb, suchte ich nach so einem Wort, so einer Relation. Das andere Konzept wäre das „Verschlingen“. Huba – das Parasitäre und das Verschlingen.

Teilen Sie die Aufgaben auf? Idee – Bild?

WS: Eigentlich nicht. Wobei Anka mehr am Skript arbeitet. Sie kommt aus der Literatur. Wir kommen gemeinsam zu bestimmten Szenen, aber das Ins-Wort-Bringen ist ihr Teil.

AS: Der Film ist enigmatische Poesie. Der erste Satz im Buch ist relevant für den ganzen Film.

Sie meinen „only a fragment“?

AS: Ja, das Fragmentarische. Es gibt die Form vor.

In „Huba“ wird kaum gesprochen.

AS: Wir wollten eine Geschichte ohne Dialog erzählen. Nur Bilder. Wir haben das gemacht. Es ist also möglich.

WS: Gesprochene Wörter in so einem Film wie unserem sind problematisch, sie ziehen die Bedeutung der Bilder herunter. Man braucht sie nicht. Das Sprechen auf der Leinwand hat viel mit dem Schauspielern zu tun, das wäre zu künstlich gewesen, in Bild und Ton. Wir wollten vom Schauspielern wegkommen, Charaktere kreieren, die natürlich erscheinen. Was mit Profis schwer ist, die wollen immer spielen.

Sie arbeiten in „Huba“ mit einer Schauspielerin und zwei Laien, dem Mann und dem Baby.

WS: Ja, die Frau ist von einer Schauspielerin gespielt.

Wie entstehen die Szenen konkret, das Fragmentarische und diese Gleichzeitigkeit des Universellen und Konkreten?

WS: Genau das interessiert uns wirklich. Man kann das aber nicht einfach abrufen. Der Schauspielerin kann man Regieanweisungen geben. Den anderen nicht. Also muss man warten. Das ist ziemlich anstrengend.

Worauf genau warten?

WS: Auf den einen Moment.

Und wie weiß man, dass er gekommen ist?

WS: Ich glaube, es ist eher ein Gefühl: So sollte er sein, dieser Moment. Aber unsere Möglichkeiten waren begrenzt.

Inwiefern?

WS: Jerzy Gajlikowskis Gesundheitszustand war schlecht, er war krank. Müde. Wir konnten ihn nicht immer wieder eine Szene wiederholen lassen.

Könnten Sie sich seine Figur mit einem Schauspieler vorstellen?

AS: Wir haben das ausprobiert, viele Schauspieler gecastet. Aber es war zu künstlich, zu gespielt.

WS: In diesem Film ist es wichtig, dass die Szene allein von der Präsenz einer Person getragen wird. Als wir Jerzy sahen, wussten wir, der ist es. Seine Präsenz erfüllt diesen Raum, diese Leere.

Die Offenheit der Beziehung zwischen dem Mann und der Frau – ist die Prinzip? Sie könnten ja ein Paar sein, Vater und Tochter oder zufällig aufeinandergetroffen sein.

AS: Das ist zentral, diese Offenheit der Interpretation. Uns ging es darum, Biografien durch Fragmente zu erzählen. Wir wissen von diesen Menschen nicht alles, aber wir sind ihnen nah.

Und das Parasitäre?

Eine Fabrik. Ein älterer Mann. Eine jüngere Frau. Ein Baby. Das – und der Ton dieses weitgehend dialogfreien Films – sind die Protagonisten in „Huba“ (Parasite) von Anka und Wilhelm Sasnal. Ein Puzzle unterschiedlicher Biografien und Körper, ein sensorisches und dabei emotional überwältigendes Kino. Ein Film, in Polen gedreht, der die Grenzen des Humanen im Subjektiven auslotet. Ein Film über Mutterschaft, Babysein, Altwerden.

■ 15. 2., Kino Arsenal 1, 12.30 Uhr

AS: Es ist überall. Das Baby ist der wichtigste Parasit. Der Ausgangspunkt des Films. Auch die Fabrik ist ein Protagonist, ein Lebewesen, ein Organismus. Der Mann steht mit ihr in einer biologischen Relation. Immer saugt einer dem anderen die Energie ab. Das Baby verzehrt die Mutter. Die Mutter das Essen. Die Krankheit den Mann.

Sie sprachen von einer umgekehrten Heiligen Familie.

WS: Da ging es um die Dreiheit, und auch unsere Begeisterung für Bruno Dumont, diese biblische Metaphorik, die als Idee dem Film zugrunde liegt.

Ist „Huba“ ein Experiment, im Narrativen wie im Visuellen eine Vagheit zu erzeugen?

WS: Ganz genau. Die Sprache des Kinos ist uns wichtig. Wir sind von Mainstreamkino umgeben, von permanentem Story-Tellling.

Nicht alle …

AS: Neben Dumont mögen wir Seidl, Haneke. Von den polnischen Regisseuren Konwicki, Skolimowski, Królikiewicz. Das dokumentarische Kino, die polnische Schule.

Und der aktuelle polnische Film?

WS: Nicht unsere Welt. Aber wir hätten den Film nicht in San Francisco drehen können, es ist ein polnischer Film. Geprägt von Erfahrungen mit einer bestimmten Realität. Die gibt dir einen Kick, gut oder schlecht.

Kann man diesen Kick erzeugen?

WS: Anka glaubt daran, dass man bestimmte Emotionen triggern kann, auch dass man mit einem Film die Welt ändern kann. Ich bin eher skeptisch.

AS: Mir ging es um Mutterschaft, um Nachbarschaft, um Einsamkeit. Diese drei Dinge. Um Mutterschaft in Polen, aber auch allgemein. Dieses Leben in der Verzweiflung, das Füttern, Essen, Müdesein. Der Zeitverlust.