„Wir schauen zu viel auf die Inhalte“

ÖKOLOGISCHER WANDEL Es genügt nicht, Nachhaltigkeit zu propagieren, ihre konkrete Gestaltung muss ständig thematisiert werden, meint Energie- und Ressourcenexpertin Kora Kristof

■ ist: Leiterin des Bereichs „Materialeffizienz und Ressourcenschonung“ am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie;

■ schreibt: „Wege zum Wandel. Wie wir gesellschaftliche Veränderungen erfolgreicher gestalten können“. Oekom, München 2010, 131 S., 19,90 Euro.

INTERVIEW HEIKE HOLDINGHAUSEN

taz: Frau Kristof, die Folgen unseres maßlosen Ressourcenverbrauchs diskutieren wir seit 40 Jahren relativ folgenlos. Warum ist die Ökologiebewegung nicht stärker?

Kora Kristof: Innerhalb der Umweltbewegung ist viel gut gemeint, aber manches nicht gut gemacht. Und es ginge besser, wenn man wichtige Erfolgsfaktoren kennt und aktiv nutzt. Das ist die Hypothese meines Buches. Die Haltung „Die Leute müssen es doch einsehen!“ reicht nicht. Oft kann man beobachten, dass Leute auf verlorenem Posten kämpfen, weil sie 100-Prozent-Lösungen wollten, obwohl 80 Prozent erreichbar wären. Da wird viel Zeit und Energie verschlissen, weil nicht wirklich auf die Erfolgsbedingungen geachtet wird.

In Ihrem Buch „Wege zum Wandel“ nennen Sie Bedingungen für Erfolg. Welche sind das?

Zunächst müssen die Initiatoren für Veränderungen – die Change-Agents – wichtige Qualifikationen mitbringen, müssen beispielsweise kommunikativ sein, gut vernetzt und fachlich kompetent. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie nur über eine begrenzte Zeit und begrenzte Energie verfügen und sorgsam damit umgehen sollten. Sie müssen sich fragen, inwieweit und an welche Zielgruppen ihre Ideen anschlussfähig sind. Dabei ist es wichtig, Widerstände nicht als Ärgernis zu begreifen, sondern als Indikator dafür, wie Veränderungsidee und Prozess verbessert werden können. Oft vernachlässigt wird das Timing: Die Beteiligten brauchen genug Zeit. Auch günstige Zeitfenster sind wichtig.

Es ist klar, dass wir weg vom Öl müssen. Muss man die Autofahrer nicht durch deutlich höhere Benzinsteuern von Spritschluckern abbringen?

Ja schön, das Problem ist nur, dass es keine politische Mehrheit für eine Benzinsteuer in notwendiger Höhe gibt. Hier muss man klug überlegen: Wo setze ich an? Was ist meine Zielgruppe? Ist es die Politik, weil die Leute sowieso nicht wollen? Wenn ich mir die Politik nicht nur unseres Verkehrsminister ansehe, so ist momentan der politische Weg verbaut. Aber junge Menschen definieren sich heute wesentlich weniger über das Auto als früher. Eine kluge Strategie kann es sein, jetzt schwerpunktmäßig mit jungen Leuten zu arbeiten. Ich muss mich immer wieder fragen, wo und wie ich effektiv sein kann. Ist das, was ich vor zehn Jahren anschieben wollte, unter den derzeitigen Rahmenbedingungen überhaupt noch sinnvoll?

Die Konfliktlinien haben sich doch nicht wesentlich geändert, hier eine kleine Zahl Umweltbewegter, dort der überwiegende Teil, der Industrie und unkritischer Verbraucher …

Das stimmt nicht ganz. Zum Beispiel im Energiebereich. Vor Jahren saßen wir immer wieder mit Managern zum Thema Energiewende auf Podien, die haben uns nicht einmal die Hand zur Begrüßung gegeben. Dann haben die Energieversorger begonnen, eher als Alibi kleine Abteilungen für erneuerbare Energien aufzubauen. Nach und nach haben die dort Beschäftigten angefangen, sich mit ihnen zu identifizieren, sie haben ihre Abteilungen schrittweise ausgebaut. Heute kann man mit den Leuten aus der Energiewirtschaft, die sich mit erneuerbaren Energien beschäftigen, meist gut zusammenarbeiten.

Sie leiten am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie den Themenbereich Materialeffizienz und Ressourcenschonung, haben auch zu Energie- und Klimathemen gearbeitet. Warum führen Sie in Ihrem Buch keine Beispiele auf?

Weil es mir um Prozesse geht. Wir schauen alle intensiv auf das, was wir Richtung Nachhaltigkeit verändern wollen, und viel zu wenig, wie wir das auch erfolgreich umsetzen können. Ich will Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Veränderungen aufzeigen. Dabei richte ich mich sowohl an Menschen aus der Politik als auch aus dem NGO-Bereich oder an Initiativen, die auf kommunaler Ebene etwas auf den Weg bringen wollen. Veränderungsprozesse laufen immer nach ähnlichen Mustern ab. Wenn man sie kennt, kann man professioneller handeln.

Veränderungsprozesse laufen immer ähnlich ab. Wer sie kennt, kann professioneller handeln

Da bietet der Energiebereich doch ein gutes Beispiel: Initiativen gegen neue Stromleitungen verhindern den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wie geht man damit um?

Zuerst wäre es wichtig, bei beiden Seiten Verständnis für die Konsequenzen und die vielfältigen Argumente zu wecken. Dann sehen einerseits die Bürger und Bürgerinnen nicht nur den Masten vor ihrer Haustür, sondern auch, dass ihre Kinder dank der Leitung weniger vom Klimawandel betroffen sein werden. Andererseits kommt die wichtige Funktion der Widerstände zum Tragen. Denn die Energiebranche versucht Netzstrukturen durchzusetzen, die sie nicht für die Erneuerbaren braucht, sondern dazu, große Kohle- oder Kernkraftwerke europaweit zu verbinden. Nötig wäre also auch die Debatte, welche Energieversorgung nachhaltig ist, wie dezentral sie sein sollte und welche Rolle das Energieeinsparen spielen muss. Aus diesem Prozess könnte schließlich eine sinnvolle Lösung entstehen.

Und – wie lautet Ihre Prognose: Finden wir rechtzeitig Wege zum Wandel?

Das ist die falsche Frage. Es liegt nahe zu sagen, es geht alles viel zu langsam. Aber wichtiger ist doch: Was passiert, wenn wir nichts tun? Wir arbeiten an Ideen und verbreiten sie, und wenn es so weit ist – darum ist das Zeitfenster so wichtig –, müssen wir umsetzbare Vorschläge haben.