: Heilsbringer widerfährt Kontrollverlust
ERWARTUNGEN Der HSV und Schalke 04 wollen beide dringend mal wieder eine Meisterschaft gewinnen: Der 2:1-Erfolg der Hamburger deutet aber darauf hin, dass zumindest das Schalker Ansinnen unrealistisch ist
HAMBURG taz | Der Hamburger SV und Schalke 04 haben mehr gemeinsam, als ihnen lieb ist. Niemand wartet verzweifelter auf eine Meisterschaft. Und niemand hat momentan so viel Ärger im Verein: Auf Schalke protestieren die Fans gegen den autokratischen Heilsbringer Felix Magath, beim HSV mischt sich ein profilierungssüchtiger Geldgeber ein. Außerdem hat HSV-Trainer Armin Veh, der den Offensivfußball bevorzugt, bislang schon zweimal eine Mannschaft von Kontrollfreak Magath übernommen: in Stuttgart mit Erfolg, in Wolfsburg eher nicht. Am Samstag, beim 2:1-Sieg des HSV, konnten die Schalker den direkten Vergleich der Systeme lediglich eine halbe Stunde offen gestalten. „Dann haben wir die Kontrolle verloren“, so Magath.
Die Unterschiede wurden am deutlichsten bei einer weiteren Gemeinsamkeit: den von Real Madrid gekommenen Altstar in der Sturmspitze. Der eine, Schalkes Raúl, blickte entgeistert in die Runde, weil er bis zu seiner Auswechslung in der 63. Minute zu ganzen 16 Ballkontakten gekommen war und festgestellt hatte, dass er in eine Mannschaft geraten war, die nach Aussage ihres Trainers, gar nicht allzu oft in den gegnerischen Strafraum gelangen wollte. Sein Exkollege und Widerpart Ruud van Nistelroy dagegen wurde mit Traumflanken gefüttert, von denen er zwei trocken verwandelte.
Dennoch war dies kein Sieg des besseren Systems, des besseren Trainers oder gar des besseren Exmadrilenen. Es war einfacher: Hier traf eine eingespielte Mannschaft auf einen Torso. Während der HSV mit dem Exschalker Heiko Westermann in der Defensive viel stabiler geworden ist, hat Schalke 04 mit Rafinha, Bordon und Westermann fast eine komplette, sattelfeste Abwehr verkauft. Der einzig Verbliebene, Benedikt Höwedes, ließ sich von der Schwäche seiner neuen Nebenleute Metzelder, Hao und Matip so anstecken, dass er nach zwei Fouls die gelb-rote Karte kassierte.
Ähnlich weit klafft der Entwicklungsstand in der Offensive auseinander. Während Magath fleißig Verstärkungen im Kreativbereich ankündigt, dürfen die Hamburger unter Veh endlich das spielen, was sie am besten können. Im neuen 4-2-3-1-System explodierten Elia und Pitroipa auf ihren Lieblingsflügeln. Und van Nistelroy musste sich nicht die Bälle von der Mittellinie abholen, sondern konnte im Zentrum auf seine Chancen lauern. Lediglich Petric moserte noch ein bisschen über seine neue Rolle hinter der Spitze, erledigte die Aufgabe aber effektiv.
Der Sieg beschert dem neuen Hamburger Sportchef Bastian Reinhardt, dessen Verpflichtung mit viel Skepsis begleitet wurde, erst einmal Ruhe. In den kommenden zehn Tagen, in denen der Transfermarkt noch geöffnet ist, kann er sich darauf konzentrieren, die Interessenten für Eljero Elia auf Abstand zu halten. Auf Magath und Sportvorstand Horst Heldt wartet dagegen noch viel Arbeit, um die Mannschaft für Meisterschaft und Champions League konkurrenzfähig zu machen. RALF LORENZEN