: Amerikas kleiner Bruder
VERJÜNGUNG Jimmy Fallon übernimmt die „Tonight Show“ von Jay Leno und will so albern weitermachen wie bisher
VON ANNE HAEMING
In dem Trailer, der jede Nacht um halb eins seine Talkshow eröffnete, sprintete Jimmy Fallon wie ein Bekloppter durchs dunkle New York. Sekunden, die ziemlich gut demonstrieren, was der neue Moderator der legendären „Tonight Show“ für ein Typ ist: Fallon wirkt immer wie elektrisch aufgeladen vor lauter überschäumender Energie und ist sich für nichts zu schade, was albern aussieht.
Viraler Hitlieferant
Damit ist der 39-Jährige das komplette Gegenteil des so lahmen wie unkritischen Talkers Jay Leno, den er von Montag an auf dem begehrten Sendeplatz um halb 12 beerbt. Fallon verkleidet sich als Bruce Springsteen, um mit Springsteen zusammen zu rocken, er lässt sich von Harrison Ford ein Ohrloch stechen, führt mit Brad Pitt einen Jodeldialog über den Dächern New Yorks oder singt sich mit seinem Kumpel Justin Timberlake durch die Geschichte des Rap. Was Fallon auch macht, es wird meist ein viraler Hit. Mehr noch als gute Quoten ist seine Präsenz und die Resonanz in den sozialen Medien der Trumpf des Jimmy Fallon.
In den USA gilt die „Tonight Show“ spätestens seit der 30-jährigen Amtszeit von Johnny Carson mit seinem unvergleichlichen Basstimbre als begehrtester Spot für Late-Night-Talker. Die Presse schlagzeilte: „Kann Fallon die Late Night retten?“, seit im April 2013 bekannt wurde, dass er Lenos Nachfolger wird, wenn der nun mit 63 in Rente gegangen wird: Auch wenn er seit 22 Jahren die besten Quoten hat, bezahlte ihm NBC angeblich 15 Millionen US-Dollar, damit er nicht erst Ende 2014 aufhört.
Mit Argusaugen verfolgten alle, wie freundlich-kumpelhaft Leno und Fallon miteinander umgehen, sie sangen ein Duett, Fallon war in Lenos letzter Woche zu Besuch, alles Friede-Freude-Eierkuchen. Einen weiteren „Late Night“-Krieg will niemand riskieren: 2009 wurde Leno schon mal in Rente geschickt – sein Nachfolger, der nerdige Conan O’Brien, hielt sich ein paar Monate, dann wurde Leno reaktiviert.
Schon vor zwei Jahren winkte Jimmy Fallon in einem Interview ab, die „Tonight Show“ sei kein Heiliger Gral mehr, totaler Quatsch. Und damit hat er völlig Recht. Denn das, was Carson damals als One-Man-Show schaffte, verteilt sich nun auf viele Köpfe: David Letterman gibt den jovialen Grandseigneur, der den Talk aus dem Ärmel schüttelt und zwischen selbstironisch, subtil kritisch und ernsthaft alles kann; Jimmy Kimmel kichert sich durch seine Interviews und beglückt mit wahnwitzigen, starbesetzten Einspielern; und Stephen Colbert und Jon Stewart decken die politisch-aufgeladene Ecke der Szene ab.
Fallon ist eher der verrückte kleine Bruder, Stefan Raab nicht unähnlich. Dem Schulabbrecher merkt man an, dass er in der Comedy-Show „Saturday Night Live“ groß wurde. Er kann wahnsinnig witzig sein, verdammt gut Stars nachmachen und ist eine Spielernatur, die keine Scheu vor Albernheiten hat. Der hintergründige Talker ist er nicht. Aber er schafft es, mit seinen Gästen zu plaudern wie kaum ein anderer, weil er nahbar ist. Er wolle einfach seine Show weitermachen, wie die fünf Jahre und 996 Sendungen zuvor, verkündete er. Auch seine Showband, keine geringeren als The Roots, blieben. In den ersten Tagen besuchen ihn U2, Michelle Obama, Arcade Fire, Jerry Seinfeld und, logo, sein Buddy Justin Timberlake.
Genius loci
Am Ende seiner letzten alten Show vor einer Woche jammte Fallon mit den Muppets: „The Weight“, ein Rocksong aus dem Jahr 1968, nach dem Motto: Nehmt mir bitte die Last von den Schultern. In der Stille nach dem letzten Ton marschierte er von einem Studio ins nächste, auf der Tür stand schon groß „The Tonight Show starring Jimmy Fallon“, sie ging auf, seine Mannschaft empfing ihn jubelnd, Fallon ging rein, die Tür fiel zu. Dieses Studio ist schon seine halbe Miete für den Erfolg: Aus 6B sendete einst Johnny Carson.