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Archiv-Artikel

„Ich bin ein NRW-Patriot“

Für Fritz Pleitgen ist der Bindestrich zwischen Nordrhein und Westfalen weg. Der WDR-Intendant über Schwarzfunk, CDU-Tickets und andere dämliche Lügen

INTERVIEW: LUTZ DEBUS

taz: Herr Pleitgen, wie haben Sie die Geburtsstunde von Nordrhein-Westfalen erlebt?

Fritz Pleitgen: Ich befand mich im zarten Alter von acht Jahren. Deshalb habe ich dieses historische Ereignis leider nicht mitbekommen.

Wie war Ihr Leben mit acht?

Mühselig. Meine Familie hatte den Krieg in Essen mitgemacht. Wir waren ausgebombt, wurden nach Schlesien evakuiert. Dort mussten wir unter dramatischen Umständen flüchten und sind nach Ostwestfalen gelangt. 1946 herrschte Hunger, es war hart, es konnte nur aufwärts gehen. Und es ging nur aufwärts.

Sie starteten als Gerichtsreporter in das Berufsleben. Erinnern Sie sich noch an Fälle?

Ich erinnere mich an einen hoch angesehenen Mann, der vor Gericht seine Souveränität verlor und an einen Angeklagten – ein einfacher Mensch –, der zu großer Form auflief. Das war für mich, ich war ja noch Schüler, eine wichtige Bestätigung, Menschen nicht nach gesellschaftlichem Stand zu beurteilen.

Hörten Sie Radio, als der Westdeutsche Rundfunk 1956 auf Sendung ging?

Sicher. Wir hatten in Bünde sogar Besuch vom WDR – der hieß damals noch NWDR. Hans Jesse hat eine Reportage gemacht und schwang sich mit den letzten Worten seines Beitrages auf den anfahrenden Zug. Das hat mich beeindruckt. So ein Reporterleben wollte ich auch gern führen. Ich ahnte nicht, dass ich auch beim WDR lande.

Das war einige Jahre später.

Richtig, 1963 kam ich zum WDR. Wichtig war die Begegnung mit Hanns-Joachim Friedrichs, der schon ein Star war im Westdeutschen Rundfunk. Er sah mich Neu-Ankömmling allein an einem Tisch sitzen in der Teestube, der legendären Kantine im Funkhaus am Wallrafplatz. Er setzte sich zu mir. Vielleicht habe ich deshalb junge Menschen später ähnlich aufmerksam behandelt.

Wie haben Sie die jungen Menschen der Studentenbewegung erlebt?

Darüber habe ich als Reporter berichtet. Die Bewegung war inspirierend und hat der Gesellschaft auch gut getan. Mit alten Vorstellungen wurde zwar manchmal zu rigoros umgegangen. Aber der 68er Geist hat zur weiteren Emanzipation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beigetragen. Vorher waren wir staatstragender, danach kesser und insgesamt unabhängiger.

Doch Formate mit echter Bürgerbeteiligung – wie „Radiothek“ oder „Hallo Ü-Wagen“ – wurden wieder eingestellt oder auf WDR 5 verbannt.

Es gibt wenige Formate, die sich auf Dauer gehalten haben. Der Ü-Wagen ist immer noch da und spielt eine wertvolle Rolle. WDR 5 ist für mich eine wichtige Welle. Ich habe sie mit eingerichtet, und zwar nach dem Vorbild von ‚BBC Radio Four‘. Das ist für mich ein Eliteprogramm. Dort passt auch der Ü-Wagen mit zwei Stunden Dauer gut hin. Für WDR 2 wäre die Sendung zu lang.

Mich hat die Absetzung der Radiothek persönlich gekränkt.

Von der Absetzung habe ich wenig mitbekommen. 1980 war ich Korrespondent in Ostberlin und habe mich in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik nicht eingemischt. Im Ernst, ich hatte damals andere Sorgen. Die Radiothek konnte ich in Ostberlin nicht hören.

Damals wurde der WDR oft als „Rotfunk“ bezeichnet. Zurecht?

Das war doch nur ein Kampfbegriff.

Das ist schließlich ein taz-Interview.

Ich nehme den Sender selbst gelegentlich auf die Schippe: Wenn wir von konservativer Seite gelobt werden, sage ich, dass es schön ist, dass der Rotfunk so gut ankommt. Aber der Begriff hat nie gestimmt. Die Programm-Macher haben sich damals nicht vor einen parteipolitischen Karren spannen lassen, und tun es auch heute nicht.

Aber es gab politische Einflussnahme. Der Bayrische Rundfunk hat mal den „Scheibenwischer“ abgeschaltet...

Das ist lange her. Ich habe beim Bayrischen Rundfunk viele herzerfrischende Sachen gesehen, die der bayrischen Obrigkeit sicher nicht passten. Denken Sie nur an Lindlau und Brebeck.

Will der WDR ein Landessender sein oder ein großer öffentlich-rechtlicher Fernsehsender in Deutschland?

In Adenauerscher Kürze: ein weltoffener nordrhein-westfälischer Sender. Wir brauchen die feste Verankerung in NRW, sind aber auch Bestandteil der föderalen Republik. Den föderalen öffentlich-rechtlichen Rundfunk halte ich für das beste und unabhängigste, was es im Rundfunk geben kann.

Hätte der WDR mehr tun müssen, um das Bindestrich-Land NRW zu homogenisieren?

Dass der Bindestrich gedanklich weg ist, ist auch ein Verdienst des Westdeutschen Rundfunks. Es gibt keine andere Institution, die so wirkungsvoll für eine nordrhein-westfälische Identität sorgt.

Es gibt die sozialdemokratische Dolchstoßlegende, dass der WDR 2005 Peer Steinbrück gestürzt habe. Ist da was dran?

Ich kenne diese Dolchstoßlegende nicht. Der damalige Ministerpräsident Peer Steinbrück und ich waren in wichtigen rundfunkpolitischen Fragen unterschiedlicher Meinung. Im Februar 2005 haben wir uns getroffen und die Punkte, die uns trennten, klar angesprochen. Damit war die Sache erledigt.

Und doch wurde – auch in der taz – behauptet, dass Sie als SPD-Mitglied jetzt auf CDU-Ticket fahren. Ist das böse formuliert?

Das ist nicht böse, das ist schlimmer, ist dämlich und eine Lüge sowieso. Geschenkt! Mir ist wichtig, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, dass ich völlig unabhängig bin. Abhängig bin ich höchstens von meiner Frau. Das allerdings seit 37 Jahren.

Jürgen Rüttgers wird den WDR also nicht zum Schwarzfunk machen?

Ganz sicher nicht. Der WDR wird unabhängig bleiben. Auch auf die Gefahr, dass das wieder missverstanden wird: Ministerpräsident Rüttgers vertritt vom Rundfunk ein Verständnis, das ich sehr zu schätzen weiß. Seine Vorgänger haben auch nie in den Sender hinein regiert. Rüttgers macht das auch nicht. Als Intendant musste ich nie Held sein. Im übrigen würde unser weiser Rundfunkrat sich nicht für jemanden entscheiden, der auf allen Vieren läuft. Sie merken schon: Ich bin ein nordrhein-westfälischer Patriot! Ich bin mit den Verhältnissen hier sehr zufrieden.

Geht Ihnen das Gezerre um die WDR-Intendanz auf die Nerven?

Nein. Ich hab nur nicht geglaubt, dass die Diskussion zeitweise in unteren Schubladen landen könnte.

Es gibt ein Leben danach?

Klar. Mein Leben nach dem 1. Juli 2007 ist bestens vorbereitet, wenn meine zweite Amtszeit endet. Ich habe immer gesagt: Bloß kein öffentliches Streiten und parteipolitisches Gezerre über meine Nachfolge! Wenn wider Erwarten keine Einigung zustande kommen sollte, wäre ich bereit, meine persönlichen Pläne zurück zu stellen. Jetzt ist der Ball in der Ecke des Rundfunkrates. Er darf ihn nur nicht dem WDR ins Gesicht schießen. Aber die große Mehrheit des Rundfunkrates ist sehr verantwortungsbewusst.

Auf anderen Sendern läuft Stern-TV oder Spiegel-TV. Wäre der WDR nicht die richtige Heimat für ein taz-TV?

(lacht) Also, ich würde das prüfen lassen.