: Das Loch im Fußball-Westen
Nordrhein-Westfalen stellt in der Bundesliga Masse statt Klasse. Erneut zählen die NRW-Teams nicht zu den Meisterschaftsfavoriten. Champions kommen meist aus dem Süden oder Norden
VON MARTIN TEIGELER
Die Bundesliga fängt wieder an – und der Fußball-Westen schaut zu. Zumindest bei der Entscheidung über die deutsche Meisterschaft. Bayern München, Werder Bremen, vielleicht noch der Hamburger SV sind die Favoriten auf den Spitzenplatz in der 1. Liga. „Wir wollen auf alle Fälle um den Titel mitspielen“, sagt Schalkes Trainer Mirko Slomka. Aber niemand rechnet ernsthaft mit einem solchen Erfolg der Königsblauen. Und der Rest vom Westen? Borussia Dortmund und Bayer 04 Leverkusen wollen in den UEFA-Cup, Borussia Mönchengladbach wäre wohl mit einem einstelligen Tabellenplatz zufrieden. Bochum, Bielefeld und Aachen spielen gegen den Abstieg – Nordrhein-Westfalens Bundesligafußball ist medioker bis bescheiden, leider schon seit Jahren.
Tatsächlich ist das jetzt laufende Jahrzehnt das erfolgloseste für Westvereine seit den 1920er Jahren. Damals zu Zeiten der Weimarer Republik war in einer ganzen Dekade kein einziger deutscher Meistertitel für einen Westclub herausgesprungen. Nach dem Tiefpunkt in den 20er Jahren gab es in jedem Jahrzehnt große Champions aus dem Rheinland oder dem Ruhrgebiet. In den 30er und 40er Jahren holten Fortuna Düsseldorf und vor allem der FC Schalke 04 deutsche Meistertitel. In den 50er und 60er Jahren zählten Rot-Weiss Essen, Borussia Dortmund, Schalke 04 und der 1. FC Köln zu den Titelträgern. Das goldene Jahrzehnt des NRW-Fußballs aber waren die 70er Jahre. Allein fünf Mal war Borussia Mönchengladbach die Nummer 1 in der Bundesliga. Hinzu kam 1978 ein Meistertitel für den 1. FC Köln sowie zahlreiche Pokalsiege für Westvereine wie Gladbach, Köln, Düsseldorf und Schalke.
Seitdem klafft allerdings ein großes, titelloses Loch im Fußball-Westen. Seit Beginn der 80er Jahre haben fast immer Vereine aus dem Süden und Norden der Republik die „Salatschüssel“ (Kosewort für die offizielle DFB-Meisterschale) gewonnen. Neben dem Rekordmeister FC Bayern München konnten Bremen, Hamburg, Kaiserslautern und Stuttgart (siehe Landkarte mit den deutschen Meistertiteln seit dem Jahr 1980) den Spitzenplatz belegen. Einen Einbruch in die Phalanx der Nord-Süd-Hegemonie gelang nur Borussia Dortmund. Das hochkapitalisierte Fußball-Start-Up-Unternehmen war in den 90er und frühen 00er Jahren insgesamt drei Mal Champion. Ein Sonderfall: Später platzte die Niebaum/Meier-Blase und der schwarz-gelbe New-Economy-Fußball war fast pleite. Als Vorbild für andere NRW-Vereine taugt die kurze BVB-Erfolgsära also nicht.
Nimmt man das unrühmliche Ausnahmebeispiel Dortmund weg, verkörpert NRW spätestens seit 1980 das Mittelmaß der Liga. Dabei stellte das bevölkerungsreichste Bundesland immer die meisten Bundesligavereine. In dieser Saison sind es sieben NRW-Vereine bei insgesamt 18 Bundesligaclubs – in der Saison 80/81 waren sogar zehn NRW-Teams erstklassig.
Warum wird aus der Masse nicht Klasse? Wieso wurden Teams wie Stuttgart und Lautern Tabellenerster, Schalke und Leverkusen aber nur Zweiter? Mit sportlichem Unglück allein lässt sich die Pechsträhne der vielen Westvereine nicht erklären. Eine alte These besagt, dass NRW einfach zu viele Bundesligisten hat. Die regionale Konkurrenz der Vereine verringere etwa die Einzugsgebiete für Clubs wie Bochum oder Leverkusen, die sich mit den populären Nachbarclubs wie Schalke, Dortmund, Köln und Mönchengladbach um Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen balgen müssen. Vieles spricht dafür, dass sich die rheinischen und westfälischen Vereine in den letzten Jahren einen ruinösen Wettbewerb geliefert haben. Einige Beobachter der Liga finden die Arbeits- und Wirtschaftsweise in Bayern und Bremen auch professioneller und seriöser als das Management des einen oder anderen NRW-Vereins. Eine anderer Erklärungsversuch: Der Titelmangel ist kein NRW-Problem, sondern eine strukturelle Folge der wachsenden Übermacht des Branchenführers Bayern München.
Die Buchmacher jedenfalls geben wenig auf nordrhein-westfälische Mannschaften. Das britische Wettbüro „William Hill“ zählt Bayern und Bremen zu den deutschen Meisterschaftsfavoriten für die Saison 2006/2007. Wer auf Schalke als Meister setzt, bekommt im Erfolgsfall das zehnfache der eingezahlten Summe ausgezahlt. Einen Trost gibt es aber für das Fußballland NRW. Andere Landstriche der Republik haben eine noch schlechtere Meisterschaftsbilanz. Im Vergleich zum erfolgfreien Osten etwa steht der Westfußball glänzend da. Glück auf, NRW!