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Archiv-Artikel

„Alles ziemlich verkeimt hier“

Morgens um sechs ist die Welt noch orange: Von Ruhleben bis ins Märkische Viertel herrscht die BSR über den Müll der Stadt. Unterwegs mit Peter 1 und Peter 2, zwei Müllmännern, die bereits seit 25 Jahren ihre Knochenarbeit gemeinsam erledigen

Die Farbe hat Kultstatus, doch zu Hause tragen die BSR-Männer kein Orange

VON ANDREAS BECKER

Kurz vor sechs, morgens, auf dem Parkplatz des BSR Betriebshofs Malmöer Straße in Prenzlauer Berg. Die letzten Müllmann-Motorräder ziehen ein, einige Müllkutscher hocken da und rauchen die Zigarette vor der Schicht. Drin treffe ich zwei altgediente BSRler. Mit denen will ich auf Tour gehen – ein kleiner Traum geht für mich in Erfüllung. „Noch ’nen Kaffee vorher?“ Die zwei führen mich zur Kantine, grüßen Kollegen. Ein großer Raum, über hundert Leute. Und zwar in Orange, alle in Orange. Sogar die angejahrten Plastikschalen-Sitze vor den hellgelben Wänden sind orange.

Die Müllmänner scheinen sich nicht gerade auf ihre Touren zu freuen, wirken aber trotzdem locker und gut gelaunt. Meine „Kollegen“ an diesem Tag heißen beide Peter mit Vornamen. Sie sind seit 35 Jahren bei der Müllabfuhr. Bis zur Wende sind sie in Westberlin gefahren, meist auf den damals üblichen Fünf-Mann-Wagen, durch Reinickendorf und Umgebung. Erst 1995 hat man Peter 1 und 2 – wie sie sich gegenseitig nennen – in den Osten versetzt. „Die Kantine sah damals viel ostiger aus als heute.“ Sie mussten dann zu dritt – die neuen, heute üblichen Fahrzeuge haben nur noch drei Plätze vorn – durch den noch nicht fertig sanierten Prenzlauer Berg. „Überall Gerüste, du kamst nirgendwo richtig durch. Es gab noch alte Tonnen, viel Ofenstaub. Oft standen die Tonnen dritter Hof.“

Nach weiteren fünf Jahren „Straßenkampf“, wie sie diese Zeit nennen, bekamen die beiden Peter dann ihre heutige Tour zugeteilt. Bei den jüngeren Orangen gilt sie als „Schwächlingsstrecke“ oder auch „Rentnertour“. Immerhin sind sie nun Ende fünfzig, gehen auf den Ruhestand zu und „wollen in drei Jahren möglichst Schluss machen.“ 35 Jahre, 25 davon zusammen, seien ganz schön auf die Knochen gegangen.

Ich bin also heute der dritte Mann auf „ihrem Wagen“. Am Rückspiegel hängt ein Wackel-Elvis, links immer noch die Deutschlandfahne im Fenster. Beide sind Fußballfans, aber nicht von Hertha. Peter 2 ist für Werder. Manchmal gehen sie zusammen ins Stadion. Beckenbauer finden zum Glück beide doof.

Der Müllwagen, ein HA 221, hat Gasantrieb. Das ist zwar umweltfreundlich, hat aber nicht so viele PS. Als wir „leer“ über die Behmstraßenbrücke übers Nordkreuz der Bahn fahren, merken wir das noch nicht. Schön ist die Aussicht aus dem Müllauto – obwohl man so hoch auch wieder nicht sitzt, weil die Stufen zur Arbeitserleichterung reduziert wurden.

Der erste Stopp kommt abrupt. Eine Kleingartensiedlung, irgendwo neben einer Straßenbahnwendeschleife. Peter 2 öffnet mit einem mitgebrachten Schlüsselbund eine Tür. „Das mit den Schlüsseln gab’s früher im Westen gar nicht. Überall waren die Türen auf, oder wir haben geklingelt.“ Es gab mehr Hausmeister. „Jetzt haben viele Kollegen hunderte Schlüssel dabei.“ Peter 1 setzt zurück, steigt aus und geht zum Hebel rechts an der Seite. Drei, vier Tonnen mit Gartenmüll, nicht sonderlich überfüllt. Die erste hakt nicht sofort in die Hebeschiene. Mit einem Schubs rastet sie ein, hebt sich, der Deckel öffnet und es kracht leise. Hinter dem Müll erscheint eine Stahlwand, greift den Kram und presst ihn ins Innere.

Die Zusammenarbeit funktioniert fast wortlos. Peter 2 fährt nur im Notfall das Fahrzeug. Dessen Dimensionen sind eigentlich zu groß für die schmalen Gassen vor den Hochhäusern. „Der Dicke“, er meint Nr.1, „kennt die Ecken besser“. Außerdem ist Peter 1 mit 58 ein Jahr älter, „der hat Vorrechte“ grinst Nr. 2. Sie haben am gleichen Tag Geburtstag, feiern manchmal zusammen.

Weiter geht’s Richtung Märkisches Viertel. Peter 2 winkt jemandem an der Bushalte zu: „Meine Frau.“ Die fährt zur Arbeit bei UPS. Das Ehepaar wohnt im „Märkischen“. „Zweimal die Woche leeren wir quasi meine eigene Mülltonne.“ Dann endlich, es ist nach sieben, die ersten Hochhäuser. „Gleich kommen die ganz Großen, 1.100-Liter-Tonnen. Die Häuser haben alle Müllschlucker, da saust der Dreck aus dem zehnten Stockwerk direkt in die Tonne.“

Ein stummer Türke öffnet uns die Metalltür zum Müllraum. Peter 2 zieht die ersten Behälter raus, zeigt mir den Ausgang des Müllschluckers. Wenn jetzt jemand was einwirft, knallt das hier auf den Boden? Nein, denn Peter 2 schiebt eine Metallplatte vor die Öffnung. „Alles ziemlich verkeimt hier“, sagt er. Die Tonnen sind am Rand mit Speiseresten bedeckt. „Manchmal putzen wir die selber, müsste eigentlich einer von der Wohnungsbaugesellschaft machen.“ Später meint einer der beiden Peter: „Natürlich ist der Job stupide, immer die gleichen Häuser. Aber auch wenn sie uns drei Urlaubstage und Samstagszuschläge gestrichen haben, ist die Bezahlung noch ganz okay. Bei den Privaten sieht es viel schlimmer aus.“ Beide sind in der Gewerkschaft und lachen über CDU-Plakate in Reinickendorf, die allen Rot-Rot-Opfern Hilfe versprechen.

Beide tragen an diesem Tag die neuen BSR-Shorts. Darum habe man jahrelang gekämpft. Aus Arbeitsschutzgründen wurden knielange Hosen erst jetzt angeschafft. Wie finden sie die Imagekampagne „Orange macht Putz“, die seit einer Loveparade der Neunziger Kultstatus hat? Peter 2 zupft verschwitzt an seinem „Der 12. Mann“-T-Shirt. Die wurden extra zur WM ausgeteilt. „Manche Leute quatschen uns schon mal auf die Klamotten an. Vielleicht werden wir eher respektiert als früher.“ Zu Hause tragen beide kein Orange.

Als wir über zehn Tonnen Müll hinter uns im Gepäck haben, geht’s Richtung Stadtautobahn, zur Müllverbrennungsanlage Ruhleben. Hier werden sie heute nach der nächsten Runde noch einmal hinmüssen. Wir fahren auf eine große Waage, die Müllmenge wird in ein Formular eingetragen. Peter 2 geht schnell zur Kantine, bringt Kaffee und eine leckre Krautwurst mit. Ich kann heimlich den Blick in den Schlund der MVA werfen, neben mir fegt jemand in Orange still die Reste in den Abgrund der Stadt. Leider sieht man das grellorange Feuer nicht. Nach der nächsten Runde durchs „Märkische“ werde ich mit dem HA 221 extra zur U-Bahn gebracht. Peter 2 klopft mir väterlich auf die Schulter. Hätte nicht wenig Lust, bei diesem Duo anzuheuern. Aber lieber zur Spätschicht.