WIE BRITISCHE WERBER MIT IHREN SUBTILEN SLOGANS VON DER QUALITÄT DER PRODUKTE ABLENKEN
: Die feinen Unterschiede

JULIA GROSSE

Kurz bevor ich nach Berlin umgezogen bin, fragten mich meine Londoner Freundinnen mit ernsthaften Mienen: „Berlin ist cool. Aber was ist mit Londons Understatement, dem feinen Humor? Das wird doch in Berlin die reinste Einöde.“

Ich kann nun sagen: Dass Berlin nicht wie London tickt, ist ein Segen. Die britische Metropole kam mir aus der Distanz plötzlich vor wie ein arroganter, leicht zynischer Gastgeber, sprachlich brillant und permanent quasselnd: Die ganze Stadt ist voll von Schrift und Sprache, auf jedem kostbaren Quadratzentimeter schreit einen (leider!) gut gemachte Werbung an. Kluge Sprüche, coole Slogans, so forsch und kumpelhaft, dass man sich in der Masse und Redundanz irgendwann kaum noch davon distanzieren kann. Britische Werbung ist schlau und irgendwie zum Totlachen.

So stand auf einer Anzeige für Kartoffelchips in der Londoner U-Bahn: „Hey, der Typ dir gegenüber jodelt immer unter der Dusche?“ Die Anzeige war direkt über dem Kopf eines Mannes, der ahnungslos seine Zeitung las. Was für ein perfekter Oberstufen-Joke, ich hatte Tränen in den Augen.

Die Drüsen blockieren

Direkt daneben hing die Anzeige für ein neues Deo. Es wirke 48 Stunden und blockiere die Drüsen nun ganz neu und gezielt bei „stressbedingtem“ Schwitzen! Londoner Werber arbeiten wie Analytiker des Grauens: Statt sich über den Fakt Sorgen zu machen, dass man in einem Job steckt, der einem tagtäglich den Angstschweiß unter die Achseln treibt, betexten sie die Chemiekeule zum Aufsprühen wie eine Waffe auf dem Schlachtfeld: Be in control! 48 hours! Nach dem Motto: Gib deinem cholerischen Chef erst gar nicht die Chance, zu riechen, dass du Angst hast und kurz vorm Burn-out bist!“

Vielleicht ist der hohe Grad an Subtilität und Humor in britischer Werbung nicht zuletzt eine Taktik, von der oftmals eher bescheidenen Qualität der Produkte abzulenken. Briten sind Verpackungskünstler. Deutsche Produkte dagegen bürgen hölzern und humorlos „mit ihrem Namen“, sind „aus Erfahrung gut“, verlassen sich auf „Vorsprung durch Technik“ und wissen, dass ihre Konsumenten keine kessen Sprüche brauchen. Wenn es gut ist, kaufen sie es eh. Warum aber ist es bei den Briten genau umgekehrt? Sie lassen sich schlechte Dinge kunstvoll unterjubeln! Hat alles mit der Monarchie zu tun, versicherte mir ein Brite. Bereits damals sei ein irrsinniger Aufwand betrieben worden, um dem in Geduld geübten Volk den eher mangelhaften Status quo schmackhaft zu machen.

Und das funktioniert bis heute: Das Prinzenpaar heiratet und schenkt seinen Untertanen gnädig einen neuen „Feiertag“ im Kalender, der demütig bejubelt wird, als befände man sich im 17. Jahrhundert. Der nächste Feiertag, auf den sich viele Deutschen freuen, ist der Rosenmontag. Hat auch was mit Prinzen zu tun und mit der feinen Kunst, tagelang nur von Frohsinn zu reden, dabei aber überhaupt nicht lustig zu sein. Ganz großer Humor. Den müssen die Briten erst mal nachmachen.

■  Julia Grosse ist freie Publizistin in Berlin