: Feuer und Gas
ERDBEBEN Der Wieder-aufbau kommt nicht voran – und nun soll durch das Katastrophengebiet in den italienischen Abruzzen auch noch eine Gaspipeline verlaufen
AUS L’AQUILA RICCARDO VALSECCHI
Ein abgeerntetes Feld mit gelben Strohballen, rundherum die Berge des Nationalparks Majella in den italienischen Abruzzen: Es sieht wirklich schön aus, hier, wo die Firma SNAM eine Kompressorstation für ihre neue Gaspipeline errichten will, mitten im Erdbebengebiet.
Nur eine Autostunde entfernt liegt L’Aquila. Am 6. April 2009 zerstörte ein Beben der Stärke 6,3 die Stadt. 308 Menschen starben, 1.500 wurden verletzt. 11.000 Gebäude waren zerstört, etwa 65.000 Menschen blieben wohnungslos.
Der damalige Premierminister Silvio Berlusconi entschied, den bevorstehenden G-8-Gipfel in die Hauptstadt der Region Abruzzen zu verlegen, um die internationale Aufmerksamkeit zu erhöhen, finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau zu erhalten – und natürlich nicht zuletzt, um für sich selbst als Kümmerer und Führer der Nation zu werben.
Fünf Jahre später ist von der künstlichen Aufgeregtheit nichts mehr übrig, nur die Verzweiflung ist noch da. Das mittelalterliche Zentrum von L’Aquila ist ein Schutthaufen zwischen Gerüsten und heruntergekommenen Wohncontainern. Die Geschäfte, die Restaurants, fast alle Orte, die gesellschaftliches Leben ermöglichen, sind geschlossen. Aus einer der wichtigsten Kunst- und Unistädte des italienischen Südens sind Studenten und Touristen verschwunden. Es ist sehr still in L’Aquila, abgesehen vom röhrenden Lärm der Militärkonvois, die bezeugen, dass sich die Stadt weiterhin im Ausnahmezustand befindet.
Doch während an der Oberfläche alles an eine Geisterstadt gemahnt, ist L’Aquilas Untergrund wieder in Bewegung geraten: nicht so sehr, weil man Angst vor neuen Erdstößen hätte, sondern wegen des Gaspipeline-Projekts der Firma SNAM. Und weil Bürgerinitiativen dagegen protestieren und Fragen stellen: „Nachdem wir das Erdbeben gerade überlebt haben – wollt ihr uns jetzt lebendig verbrennen?“
SNAM ist die Abkürzung für Società Nazionale Metanodotti. Es ist der italienische Fernleitungsnetzbetreiber für Erdgas. Obwohl die Gesellschaft rechtlich ein Privatunternehmen ist, gehört es tatsächlich zu fast 90 Prozent dem italienischen Ministerium für Wirtschaft und Finanzen. Die Pipeline durch die Abruzzen ist Teil des Brindisi-Minerbio-Projekts: 687 Kilometer Gasleitungen auf italienischem Boden, die Nordafrika mit Nordeuropa verbinden sollen. Die Kompressorstation ist nahe der Stadt Sulmona geplant. Nur wenige Kilometer von Sulmona befindet sich die Falte des Monte Morrone.
„An dieser Verwerfung“, sagt Professor Fabrizio Galadini vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie in Rom, „ist es seit 1900 Jahren ruhig. Aber das kann sich jederzeit ändern.“
Das Projekt Brindisi-Minerbio wurde im Jahr 2004 erstellt und am 8. April 2009 beim Ministerium für Kulturgüter und Naturschutz zur Prüfung vorgelegt: „Mit kaltschnäuziger Pünktlichkeit – nur zwei Tage nach dem Erdbeben“, sagt Giovanna Margadonna vom Comitato No Tubo, einer Initiative gegen die Pipeline: Die kleine Frau mit Sonnenbrille und eleganten Sandaletten zeigt das Feld, wo die Kompressorstation stehen soll. Am 7. März 2011 wurde das Projekt verabschiedet. Sowohl das Regionalparlament der Abruzzen als auch das der Region Apulien stemmten sich gegen die Gasleitung. In den Abruzzen verabschiedete man ein Gesetz gegen große Öl-und Gaspipelines in Erdbebengebieten. Doch dieses Gesetz hat die italienische Regierung im Juni 2013 aufgehoben: Es liege nicht in der Kompetenz einer Regionalregierung, darüber zu befinden.
„Das Projekt war zunächst an der Küste geplant“, sagt der Stadtrat von L’Aquila, Alfredo Moroni. „Später würde es auf den Apenninkamm verschoben, durch Gebiete mit eindeutiger Erdbebengefahr; noch dazu quert die Gasleitung den Nationalpark der Abruzzen. Und das beeinträchtigt natürlich einerseits die Landschaft und den Tourismus, andererseits können einige Dörfer der Gegend kein neues Bauland und keine Gewerbegebiete ausweisen, weil die dann genau an der Pipeline lägen. Und schließlich würde auf dem Gebiet der Stadt L’Aquila die Leitung einige dörfliche Stadtteile durchlaufen, in denen nicht nur das Erdbeben enormen Schaden verursacht hat, sondern wo auch von Wiederaufbau noch gar keine Rede sein kann.“
SNAM lehnt eine offizielle Stellungnahme ab. In einem Positionspapier heißt es lediglich: „Das Projekt Adria Netzwerk hat eine strategische Bedeutung für das nationale Gasfördersystem.“ Nur so könne auf mittel- bis langfristige Sicht der Energiebedarf Italiens sowie die Integration in das europäische Gasnetz gesichert werden.
Die Kompressorstation in Sulmona hat dabei zentrale Bedeutung: In ihr soll das Gas den Schub für seine Reise durch die Pipeline bekommen. „Die notwendige Fläche – etwa 12 Hektar – wurde von den Eigentümern einvernehmlich erworben“, erklärt SNAM. „Im Gegenteil“, sagt Giovanna Margadonna, „Bauern und alte Leute wurden schlicht enteignet, um ein Ökomonster hinzusetzen, das unsere Gegend verschandeln und Natur und Landwirtschaft schweren Schaden zufügen wird.“
„Die SNAM kontaktierte durch ihre Angestellten all jene Menschen, deren Land von dem Projekt betroffen ist, und das tut sie immer noch“ sagt Stadtrat Moroni.
Die Taktik sei einfach: „Sie ziehen ungebildete, oft sehr alte Menschen bei den Verträgen über den Tisch mit lächerlichen Abfindungen zwischen 500 und 2.000 Euro. Diese Leute sind zudem oft gar nicht die Eigentümer des Landes, sondern bewirtschaften es nur im Sinne des Gemeindenutzungsrechts.“
Was die Gefahren angeht, hat die Firma keine Bedenken: „Bei der Auswertung der Schäden durch die schwersten Erdbeben in Italien in den letzten dreißig Jahren ergibt sich, dass unsere dort befindlichen Anlagen nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden.“ Für den Fall der Fälle, sagt ein Sprecher der SNAM dann doch am Telefon, seien die Leitungen mit Kontrollmechanismen ausgestattet. Falls Schäden aufträten, würden die betroffenen Leitungen sofort blockiert.
So aber war es nicht immer. Am 11. Februar 2010 ließ die Explosion einer SNAM-Gasleitung in Kalabrien 50 Meter hohe Flammensäulen aufsteigen, die stundenlang brannten. Und obwohl der italienische TÜV 2010 das Projekt in den Abruzzen nur mit der Auflage genehmigt hatte, dass SNAM weitere seismische Studien über die Umweltauswirkungen erstellen ließe, ist seitdem nichts geschehen.
Der Sprecher der SNAM sagt, diese Analysen seien bereits vor geraumer Zeit durchgeführt worden. Doch Prof. Galadini, der im Juli 2013 von der Firma nach L’Aquila gesendet wurde, um abschließende Untersuchungen vor Ort durchzuführen, hat von diesen Studien noch nie gehört. Der Seismologe bestätigt die sehr hohe Gefährdung der Region. Zu Schäden an Gasleitungen, die direkt auf Erdbeben zurückgeführt werden könnten, läge allerdings kein wissenschaftliches Material vor.
Die seit April 2013 amtierende und gerade abgelöste Regierung unter Ministerpräsident Enrico Letta hat sich offiziell noch nicht zu dem Projekt geäußert, lässt aber durchblicken, dass die nationalen Interessen Vorrang hätten. Und der Staatssekretär beim Umweltminister der vorhergehenden Regierung Monti hatte eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung der Bürgerinitiativen, der Region und der SNAM versprochen. Bis heute ist nichts geschehen.
In L’Aquila will man mit Journalisten nichts mehr zu tun haben. Von den Medien, die das Erdbeben wie einen Katastrophenfilm dargestellt haben, fühlt man sich verraten. Nur eine alte Frau will dann inmitten der wie zerbombt wirkenden Altstadt doch noch etwas loswerden: „Alle reden vom nationalen Interesse, unsere Ängste tut man als Hysterie ab. Niemand hat Zeit, uns zuzuhören. Aber nach dem Erdbeben und nachdem sie uns imStich gelassen haben, haben wir das Recht, vor einer unter unseren Füßen verlaufenden Gasleitung Angst zu haben – oder etwa nicht?“