Käßmanns Seligsprechung

LEGENDENBILDUNG „Engagiert evangelisch“, die gerade erschienene Vita Margot Käßmanns, eiert unfreiwillig komisch zwischen Fiktion und Fakten. Bei der Buchpräsentation in der Hannoverschen Marktkirche war die Exbischöfin selbst zugegen – und gerührt

Käßmanns Dienstjahre erscheinen im Rückblick als wirre Dekade einer hyperaktiven Berufsmoralistin

Es war eine bizarre Veranstaltung. „Keine Lesung“ aus dem neuen Margot-Käßmann-Buch avisierte Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann in der vollbesetzten Hannoverschen Marktkirche, sondern „eine Begegnung“ mit dem Gegenstand des Buches selbst: eben jener Dr. Margot Käßmann, Ex-Bischöfin von Hannover und Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen.

Fragen waren keine zugelassen, das Reden übernahm Tobias Glawion, Chef des evangelischen Kichenfunks Niedersachsen. Der Rundling bat einen noch runderen Menschen namens Jörn Sürborg auf die Bühne, der als Vorsitzender des Landessynodalausschusses und „Erstleser“ vorgestellt wurde. Sagen durfte der aber vorerst nichts, denn das Wort erhielten die Herausgeber und Eheleute Silvia Mustert und Christof Vetter – sie Käßmanns ehemalige Referentin, er Geschäftsführer des Lutherischen Verlagshauses in Hannover – sowie Käßmann herself.

Das Trio war wahlweise „gerührt“, „betroffen“ und „schwer bewegt“, als es auf „Entdeckungsreise durch das Buch“ (Kirchenfunker Glawion) ging. Das Machwerk verhandelt grob gesagt den Lebens- und Leidensweg Käßmanns, der sie nach Gottes unergründlichen Ratschlüssen 1999 erst auf den hannöverschen Bischofsstuhl, 2009 an die Spitze der evangelischen Kirche, dann promillesatt über eine rote Ampel ins berufliche Abseits führte. Ihr sei wichtig, sagte die 52-Jährige, „dass nicht nur der Rücktritt in Erinnerung bleibt, sondern auch das, was wir hier angestoßen haben.“

Angestoßen, das kann man wohl sagen. Käßmanns Dienstjahre erscheinen im Rückblick als die wirre Dekade einer hyperaktiven, rastlos gutmenschelnden Berufsmoralistin. Legendär ihr Wüten wider Theatermann Kresnik, der im Bremer Dom nackerte Rentner tanzen lassen wollte, oder gegen im Spätsommer aufmarschierende Schokoweihnachtsmänner.

Bei all dem Firlefanz haben die Herausgeber samt der „frechfrommen“ (Emma) Käßmann anscheinend öfter mal den Unterschied zwischen Fiktion und Fakten aus den Augen verloren. Verblüfft vernimmt man, Käßmann habe nicht nur beinahe Nordkorea bekehrt und dem Kommunismus entrissen, überdies mithilfe hunderter Blechbläser und Gospelsänger die Expo 2000 vor dem Ruin bewahrt, sondern anlässlich der Olympiade 2008 quasi im Alleingang auch die Menschenrechte in China auf die Agenda gesetzt.

In ihrem Drang, ein paar Buchseiten mehr und dem Verlag mit locker flockigem Gedöns das Säckel zu füllen, schreckten Mustert und Vetter nicht mal davor zurück, die Vita ihrer Heroine mit Schlagerweisheiten von Mary Roos („Aufrecht gehn“) bis Westernhagen („Ich bin wieder hier“) zu pflastern. Käßmann selber findet’s gut und nichts dabei, dass neben Artikeln über ihr ehrenwertes Engagement gegen den Afghanistan-Krieg und für Babyklappen ein brotdummes Interview mit Bild der Frau-Chefin Sandra Immoor über Mode abgedruckt ist.

Dass die Exbischöfin während ihre gesamten Karriere mit dem Hause Springer paktierte – eine zeitlang schrieb sie sogar Kolumnen in der Bild – wird wie andere Peinlichkeiten lieber gar nicht erst erwähnt. Anders als Käßmanns notorischer Drang in die elektronischen Medien, den sie und die Herausgeber schlicht so rechtfertigen: „Weil Gottes Wort sich medial kommuniziert.“

Nun denn, „geistig Leiten ist eine Stilfrage“, schreibt Käßmann auf Seite 129. Und hat damit ausnahmsweise den Nagel auf den Kopf getroffen.

MICHAEL QUASTHOFF

„Engagiert evangelisch – Zehn Jahre einer Bischöfin“, Lutherische Verlagsanstalt Hannover, 222 S., 19,90 Euro