: Raus, aber sofort!
SCHWIMMEN Deutschlands einziges Freibad nur für Frauen steht in Freiburg im Breisgau. Von einem Ort der Diskriminierung wurde es zu einem Ort der Emanzipation – für Männer bedeutet es unstillbare Neugierde
VON PAULA SCHEIDT
Für das Wort Stammgast gibt es keine weibliche Form. Deshalb heißen Frauen wie Hildegard Hummel-Kupfer im Freiburger Lorettobad Stammdamen. Die 72-Jährige kommt fast täglich ins Damenbad, und das bereits ihr ganzes Leben. „Ich habe im Mai Geburtstag, und als Kind war das wichtigste Geschenk für mich eine blaue Dauerkarte“, sagt sie. Früher ist sie vom Sprungbrett ins Becken gehüpft, bis ihre Lippen so blau waren, dass die Bademeisterin sie aus dem Wasser rief, heute schwimmt sie am liebsten auf dem Rücken ihre Bahnen und schaut dabei in die Blätter des Nussbaums, dessen Zweige über das Becken ragen. Ein bedeutender Teil ihres Lebens hat sich auf den 1.500 Quadratmetern Liegefläche und im Schwimmbecken des Freiburger Damenbads abgespielt.
Die Geschichte von Hildegard Hummel-Kupfer und die vieler anderer Stammfrauen im Damenbad des Freiburger Lorettobads hat Silvia Cavallucci in dem Buch „Sommer, Sonne, Damenbad. Eine Reise durch Deutschlands einziges Freibad nur für Frauen“ aufgeschrieben. Sie ist selbst treue Besucherin des Bads, in dem bei gutem Wetter die Wiese vor lauter Handtüchern kaum noch zu sehen ist. Nicht nur ältere Damen wie Hildegard Hummel-Kupfer kommen hierher, sondern auch viele junge Frauen. Und das, obwohl sich direkt nebenan, nur getrennt durch eine Hecke, ein großzügiges Familienbad befindet. Cavallucci hat Archive durchstöbert, Interviews geführt und beim Schwimmen fünf Sommer lang Augen und Ohren offen gehalten, um herauszufinden, was Frauen im 21. Jahrhundert an einem Damenbad fasziniert.
Als Johann Nepomuk Stadler Mitte des 19. Jahrhunderts das erste Freibad in Freiburg eröffnete, wurde das Becken durch den nahe gelegenen Hölderlebach gespeist und der Zugang war für Frauen verboten. Erst sein Schwiegersohn Oskar Heim, der 1873 das Schwimmbad übernahm, entdeckte die Frauen als lukrative Kundinnen und ließ neben dem Herrenbad eine Frauen-Badeabteilung errichten – allerdings nur ein Schwimmbecken, das auf allen Seiten von Mauern und Umkleidekabinen umgeben war. Bis aus dem eiskalten, schattigen Wasserbecken ein Ort wurde, an dem Frauen sich gern aufhalten, hat es gedauert: 1926 kaufte die Stadt das Bad und renovierte es grundlegend. Das Becken wurde vergrößert und eine Liegewiese angelegt. Die Freiburger Zeitung schrieb am 3. Mai 1927: „Beim Betrachten des Damenbads empfängt uns ein ganz neues Bild. (…) Der Besuch wird beweisen, dass die Badegäste zufrieden sind.“
An anderer Front brauchten die Frauen allerdings noch etwas Geduld: bei den Bekleidungsvorschriften. Laut der Badeordnung für das städtische Lorettobad vom 2. Mai 1933 mussten Frauen einen Badeanzug und während des Aufenthalts im Schwimmbecken eine Badehaube tragen. Frau Zeitz, ebenfalls eine der älteren Stammfrauen im Damenbad, kann sich an Zeiten erinnern, als die Bademeisterin noch streng überwacht hat, dass Frauen höchstens auf dem Bauch liegend „oben ohne“ sind. „Irgendwann legten wir uns die Gummiblumen von den Bademützen auf die Brust und sonnten uns auf dem Rücken – im Wasser mussten wir aber weiterhin ein Oberteil tragen“, erzählt sie im Buch von Cavallucci. Einen Sommer später kam der Durchbruch: Die Damen hätten sich gesagt: „Jetzt ist Schluss“ und die Badeanzüge heruntergerollt. Heute ist „oben ohne“ im Damenbad ein gewohnter Anblick.
Nicht alle Schwimmerinnen sind so freizügig. An den Wochenenden besuchen oft muslimische Frauen das Bad und nehmen dafür sogar lange Anfahrten in Kauf. „Als Muslimin ist für mich das Bad im Sommer die einzige Möglichkeit, schwimmen zu gehen“, sagt Samara. Die Schülerin kommt gern und regelmäßig in das Bad, auch wenn sie feststellt, dass hier Gegensätze aufeinanderprallen. „Unser Glaube sagt, dass Frauen vom Bauchnabel bis zu den Knien bedeckt sein sollen, wenn sie in der Öffentlichkeit schwimmen, deshalb ziehen viele muslimische Frauen eine Radlerhose oder Leggins an. Ich gehe zwar ohne schwimmen, ziehe aber, sobald ich aus dem Wasser bin, mein Kleid über“, hat Samara der Autorin erzählt. Während einige Musliminnen sich von den nackten Brüsten der Stammfrauen gestört fühlen, ärgert sich so manche Stammfrau über die ihrer Meinung nach unhygienischen Radlerhosen der Musliminnen. Für ernsthafte Streitigkeiten reichen solche Meinungsverschiedenheiten aber selten aus, denn eigentlich wollen alle dasselbe: ein paar Runden schwimmen und die Sonne genießen.
Mehrfach schon drohte dem Bad die Schließung. 1970 überlegte die Stadt Freiburg, die Fläche an das gegenüberliegende Lorettokrankenhaus zu verkaufen, das einen Neubau plante. Später soll die Liegewiese einem Parkplatz für das Krankenhaus weichen, was durch Unterschriftenlisten und Leserbriefe verhindert wird. Als in den 90er Jahren die wasserrechtliche Betriebsgenehmigung des Bads ablief, strichen Freiwillige die Becken in Eigenregie. Ein Bäcker spendet Brezeln, Anwohner bringen Kaffee vorbei und sogar Gernot Erler, Freiburger und bis 2009 Staatsminister im Auswärtigen Amt, wurde mit Pinsel im Damenbad gesichtet. Zeitenweise kam der Gegenwind sogar von den Frauen selbst: Als Folge der 68er-Bewegung forderten viele Frauen die Abschaffung des Bads, das in ihren Augen eine Diskriminierung darstellte. Es entbrannte eine Diskussion, an deren Ende sich die Gegnerinnen davon überzeugen ließen, dass das Bad keine Diskriminierung, sondern im Gegenteil eine Form der Emanzipation sei.
Für viele Freiburgerinnen ist das Damenbad mehr als nur ein Schwimmbad. Im Sommer errichten sie hier ihr zweites Zuhause. Für einen kleinen, privilegierten Kreis von Stammdamen gehört dazu die Miete einer der begehrten Einzelkabinen. Zu Saisonbeginn richten sich die Damen dort häuslich ein, lassen sich von der Bademeisterin den Spiegel aufhängen, bringen eine Auswahl an Handtüchern mit, stellen ihre Schminkutensilien ins Regal. Erst zu Saisonende tragen die Besitzerinnen ihre Habseligkeiten wieder nach Hause.
Was ist es nun, was die Frauen hierher lockt? Cavallucci hat auf ihre Frage viele verschiedene Antworten bekommen. Sie gehen alle in dieselbe Richtung, ohne das Geheimnis um die Faszination des Damenbads ganz zu lüften. Es herrsche eine besondere Atmosphäre, man fühle sich unbeobachtet, man sei „unter sich“. Manche der älteren Stammdamen wundern sich, warum auch viele junge Mädchen so gern hierherkommen. Die gehörten doch zu den jungen Männern ins gemischte Familienbad, finden sie. Dabei ist die Begeisterung für das Damenbad nicht gegen die Männerwelt gerichtet. Auch Silvia Cavallucci legt sich zusammen mit ihrem Mann gern mal auf die andere Seite der Hecke ins Familienbad. „Aber das Damenbad ist einfach eine eigene Welt“, sagt Cavallucci.
Natürlich lässt diese Welt auch die Männer nicht kalt. Schon 1950 konnte man in der Badischen Zeitung lesen: „Wer aber die hübschen Volants an den Badekostümen der Mädchen bewundern wollte, der wurde unter Freunden auf das Astloch im Bretterzaun hingewiesen, die Trennwand der Geschlechter innerhalb der Schwimmanstalt. Wir alle haben das Panorama genossen und mancher musste gewaltsam von diesem Ausguck losgerissen werden …“ Das Astloch ist verschwunden, die Tür ist die einzige Gelegenheit für Männer, einen Blick ins Bad zu erheischen. Allerdings ist dieser „immer zu kurz, um die Realität mit der Fantasie abzugleichen“, wie Cavallucci schreibt.
Immer wieder kletterten Männer über die Hecke oder betraten einfach durch die Tür das für sie verbotene Terrain, um unter lautem Protest von der Bademeisterin oder empörten Besucherinnen rausgeschmissen zu werden. 1980 klagte ein Jurastudent vor dem Verwaltungsgericht. Er war der Meinung, das Verbot für Herren, das Damenbad zu nutzen, verstoße gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Die Klage wurde abgewiesen, und so baden die Frauen hier auch weiterhin unter sich.