: Gute Nachbarn, schlechte Nachbarn
ALLTAG UND TERROR Was geschah in Berlin in der Nazizeit? Wie verhielten sich die Berliner? Seit heute ist der dritte und letzte Teil der Ausstellung „Topographie des Terrors“ zu sehen: „Berlin 1933–45, zwischen Propaganda und Terror“
VON FRAUKE BÖGER
„Es ist fast wie ein Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns“, schrieb Joseph Goebbels am 30. Januar 1933 in sein Tagebuch, nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt und am Abend mit einem Fackelzug gefeiert wurde. Wie die Nationalsozialisten Berlin für sich gewannen und was das für die Stadt und ihre Bewohner in den darauffolgenden zwölf Jahren bedeutete, versucht der jetzt eröffnete dritte und letzte Teil der Ausstellung auf dem Gelände der Topographie des Terrors zu zeigen. „Noch immer fehlt eine Gesamtdarstellung über das Berlin der NS-Zeit“, sagt Andreas Nachama, der Direktor der Stiftung. Dies liege zum einen an der disparaten Quellenlage und zum anderen an der jahrzehntelangen Teilung der Stadt und der Zersplitterung wichtiger Aktenbestände.
Das hat auch Claudia Steur, die Kuratorin der Ausstellung, erfahren. „Wenn man anfängt, für so eine Ausstellung zu arbeiten, denkt man, dass es bestimmte Dinge schon geben muss. Aber man stößt da schnell auf Löcher“, sagt sie. Steur hat in den zweieinhalb Jahren der Vorbereitung auf die Ausstellung viel Zeit darauf verwendet, Organigramme der Verfolgung zu erstellen: „Es ist nämlich gar nicht so eindeutig, wer da wen beauftragt hat und wer letztlich zuständig war.“ Die Organigramme sind nun Teil der Ausstellung und des Katalogs. Auch in diesem dritten und letzten Teil der Open-Air-Ausstellung der Topographie des Terrors – der erste war im Mai 2010 eröffnet worden – liegt der Schwerpunkt auf den als Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und den politisch Verfolgten.
Denunzianten und Mutige
Die Ausstellung versucht, repräsentative Dokumente für die einzelnen Phasen der zwölfjährigen NS-Herrschaft zu zeigen und gleichzeitig Einzelschicksale zu beleuchten. Sie blickt dabei nicht nur auf die Verfolgten, sondern auch auf das Verhalten von deren Nachbarn. „Es ging uns darum, Handlungsspielräume von Berlinern zu zeigen, dort, wo Menschen ihre Zuschauerperspektive verlassen haben. Da haben etwa Nachbarn jemanden als Homosexuellen denunziert, weil sie ihn noch nie mit einem Mädchen gesehen hatten“, erzählt Steur. Die Ausstellung zeigt aber auch Fälle, in denen Berliner Verfolgte unterstützten und dies öffentlich kundtaten. „Zum Beispiel haben 1943 30 Familien an die Kriminalpolizei geschrieben, dass sie keinerlei Beschwerden über ihre benachbarte Sinti-Familie hätten. Die sind damit ein ziemliches Risiko eingegangen“, sagt Steur.
Auf 77 Glastafeln im Ausstellungsgraben direkt unterhalb der Mauer teilt sich die Ausstellung in fünf Kapitel. An Terminals kann man unter anderem Hitlers Rede zum Ermächtigungsgesetz hören, Filmsequenzen der Wochenschau ansehen und sich über die von den Nationalsozialisten propagierten Feiertage informieren. Die Ausstellung wird nur von Frühjahr bis Herbst zu sehen sein, im Winter wird sie eingelagert. „In diesem Jahr hoffen wir sie bis November zeigen zu können“, sagt Nachama.
Die Ausstellung tritt zurückhaltend auf. Gebäudereste und die Mauer im Hintergrund sind durch die Glaswände sichtbar. Das Gelände bleibt im Vordergrund. Hier befanden sich die wichtigsten Nazigebäude: das Geheime Staatspolizeiamt mit eigenem Hausgefängnis, die Reichsführung SS, während des Krieges auch das Reichssicherheitshauptamt. Viele Besucher fragten, wo der Führerbunker gewesen sei, sagt Nachama. Die Ausstellung gibt eine Antwort, aber man muss sie suchen.
Erst seit der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987 ist das Gelände unter dem Namen „Topographie des Terrors“ geöffnet. In einem Pavillon war zuerst eine provisorische Ausstellung zu sehen, die über zwei Millionen Besucher anzog. Seit der Neueröffnung im Mai 2010 waren bereits 220.000 Besucher da, am Dienstag wurde der dritte Teil eröffnet.
„Für mich bleibt das wichtigste Kennzeichen der Berliner Zeitgeschichte ihre Zwiespältigkeit, ihre Ambivalenz, viel mehr als die so oft beschworene Vielfalt hauptstädtischer Vergangenheit“, sagte Peter Steinbach, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Vorsitzende des Internationalen Beirats der Topographie des Terrors. Für Steinbach ist Hitler in der Geschichte Berlins zweitrangig: „Berlin – das war vor allem die Stadt von Himmler und Goebbels, bis Hitler dann im Führerbunker den ‚Endkampf‘ um Berlin mit seinem Selbstmord beendete und Berlin zum Mittelpunkt seiner eigenen Götterdämmerung werden ließ.“