: Das Erbe des Revolutionsführers
Der Antisemitismus hat im Iran eine lange Tradition – nicht erst seit Ajatollah Chomeini. Eine genozidale Dimension, wie gegenwärtig oft behauptet wird, besitzt er aber nicht
Seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr hat der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad keine Zweifel an seinem Wunsch aufkommen lassen, dass „Israel von der Landkarte verschwinden“ möge. Die antisemitischen Tiraden des iranischen Präsidenten, die in Form eines militanten Antizionismus daherkommen, sind im Iran kein skurriles Randphänomen, sondern ein fester und wichtiger Bestandteil der Revolutionsideologie, die seit mehr als 25 Jahren von den Propagandaabteilungen des islamistischen Regimes verbreitet wird. Es ist das Programm des iranischen Revolutionsführers Ajatollah Chomeini, der schon während der Islamischen Revolution in den Jahren 1978/79 die Parole ausgab: „Heute befreien wir den Iran; morgen werden wir Palästina befreien.“
Bislang ist es bei solchen Parolen geblieben. Besorgniserregend ist aber die Reichweite, welche die im Iran fabrizierte antisemitische Propaganda, die über bestimmte arabische und türkische Satellitensender verbreitet wird, mittlerweile erreicht. Ein Beispiel dafür liefert die iranische TV-Serienproduktion „Sahras blaue Augen“, deren türkischsprachige Version auch in Deutschland in islamistischen Kreisen vertrieben wird. Ein anderes Beispiel ist der Fernsehsender der libanesischen Hisbollah, al-Manar, der wegen seiner antisemitischen Sendungen von den TV-Aufsichtsbehörden in Frankreich und Holland von den Bildschirmen in Europa verbannt wurde.
Aus welchen Quellen speist sich dieser Antisemitismus? Zunächst einmal muss fest gestellt werden, dass judenfeindliche Haltungen im Iran nichts Neues sind. Frühe Formen eines religiös begründeten Antijudaismus gab es schon ab dem frühen 16. Jahrhundert, als im Iran die militante Zwölfer-Schia auf den Plan trat. Als die Dynastie der Safawiden den schiitischen Islam zur Staatsreligion erklärte, brachen für die alteingesessenen Juden schlimme Zeiten an. Mancherorts kam es zu Vertreibungen und Zwangsbekehrungen, etwa in Isfahan im Jahr 1656. Noch ärger wurde es unter der Kadscharen-Dynastie, die in Persien bis zum Jahr 1925 regierte: Unter ihnen häuften sich die antijüdischen Vorfälle, und in der Stadt Mashhad kam es 1839 sogar zu einem Massenmord, den fanatisierte schiitische Muslime im jüdischen Viertel anzettelten.
Die forcierte Säkularisierung, die der erste Pahlavi-Schah Reza Khan begonnen hatte, brachte paradoxerweise eine weitere, dramatische Verschlechterung für die Juden im Iran. Die Modernisierung sollte eine „iranische Nation“ hervorbringen, in der konfessionelle und tribale Merkmale keine Rolle mehr spielen sollten. Doch bereits in den Dreißigerjahren schlug der neue Nationalismus in Rassismus um. Die Zahl antijüdischer Übergriffe stieg rapide an, und Juden mussten in großer Zahl den Staatsdienst quittieren; in den Grenzregionen kam es sogar zu Massenvertreibungen. Daraufhin setzte die erste Auswanderungswelle iranischer Juden ein. Sie mündete später, nach der israelischen Staatsgründung, in einen Massenexodus, in dem mehr als ein Drittel der alteingesessenen jüdischen Bevölkerung das Land verließ.
Die unmittelbare Vorgeschichte des heutigen, islamistisch gefärbten Antisemitismus setzt jedoch erst in der Regierungszeit des zweiten Pahlavi-Schah, Mohammed Reza, ein, und sie steht in einem engen Zusammenhang mit dem Palästinakonflikt. Der Schah hatte den jüdischen Staat schon im Juli 1960 offiziell anerkannt und danach eine sehr enge Kooperation mit Israel gesucht: Iran kaufte israelische Waffen, israelisches Kapital floss in die öffentlichen und privaten Wirtschaftssektoren. Zahlreiche israelische Experten stellten ihr Know-how bereit und engagierten sich als Militärberater und Instrukteure für SAVAK, den verhassten Geheimdienst des Schahs.
Genau diese israelisch-iranische Kooperation war es, die erheblich zur Radikalisierung des späteren Ajatollah Chomeini beigetragen hat. Chomeini kritisierte die enge Kooperation mit Israel schon 1963 auf das Schärfste und wurde kurze Zeit später des Landes verwiesen. In seinem irakischen Exil in Najaf erklärte Chomeini den Westen zum neuen Hauptfeind. Von zentraler Bedeutung war hierbei der Kampf gegen Israel, das muslimisches Territorium okkupiert habe.
In Palästina herrschten Juden über Muslime, was allen Geboten des Islam zuwiderlaufe und von Muslimen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln rückgängig gemacht werden müsse, so seine These. Deshalb habe der Kampf gegen die „zionistische Besatzung“ oberste Priorität. Bereits 1971 rief Chomeini den schiitischen Pilgern nach Mekka zu: „Wendet eure Aufmerksamkeit der Befreiung Palästinas aus der Gewalt des Zionismus, dem Feind des Islam und der Menschheit zu.“
Doch damit nicht genug: In seiner Lehre mischte Chomeini aus den religiös begründeten, antijüdischen Feindbildern aus dem Iran und dem modernen Antisemitismus aus Europa seine Synthese eines griffigen, islamistischen Antisemitismus. Dessen wesentliche Grundzüge legte er in seinem Hauptwerk „Der islamische Staat“ dar: Darin werden „die Juden“ als Betrüger und Verschwörer beschrieben, deren Ziel die Weltherrschaft sei.
Eine „eliminatorische“ oder „genozidale“ Dimension, wie sie jüngst von einigen Fürsprechern des gegenwärtigen Kriegs im Libanon mit großer Verve und noch größerer Unkenntnis behauptet wurde, erreichte der islamistische Amtisemitismus im Iran jedoch nie. Es gehört zu den Paradoxien der Islamischen Revolution, dass der Iran zwar einerseits zu den radikalsten Feinden Israels zählt, andererseits aber die größte jüdische Gemeinde aller islamischen Staaten beherbergt. Ohne Frage hatten auch die Juden nach der islamischen Revolution 1979 einen schweren Stand: Wohlhabende und prominente jüdische Familien wurden bedroht und aufgefordert, das Land zu verlassen. Zahlreiche Familien beugten sich diesem Druck und flohen, es gab zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen. Doch um eine vollständige Vertreibung oder gar Vernichtung der iranischen Juden ging es den Machthabern in Teheran nie.
Solange die Juden Irans sich nicht für Israel aussprachen oder gar betätigten, ließ das Regime die jüdischen Gemeinden weitgehend unbehelligt. Die Verfassung der Islamischen Republik Iran zählt sie zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die nach Artikel 14 „gut und gerecht“ zu behandeln sind. Darüber hinaus billigt ihnen die Verfassung auch das Recht der Vertretung im Parlament zu.
Echte Gleichberechtigung genießen sie dennoch nicht: Von allen Staatsämtern, die direkt mit Regierungsgeschäften zu tun haben, sind sie ausgeschlossen. Trotzdem betont der jüdische Abgeordnete Manoucher Eliassi, dass die Juden 99 Prozent Freiheit genössen. „Auf der Straße kann man nicht unterscheiden, wer Jude und wer Muslim ist. Und wir haben die individuelle Freiheit, unsere Hochzeiten, Scheidungen, Geburten und Begräbnisse nach jüdischem Ritus durchzuführen.“
MICHAEL KIEFER