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Archiv-Artikel

Vereint gegen den Norden

SEZESSIONISMUS Im ehemals sozialistischen Süden mehren sich die Forderungen nach Abspaltung – für das Regime in Sanaa eine größere Gefahr als al-Qaida

BERLIN taz | Polizei und Militär haben die Sicherheitsvorkehrungen für den Fastenmonat Ramadan verschärft. Die Angst vor Ausschreitungen und Anschlägen ist groß, vor allem im Süden des Landes. Im einstmals sozialistischen Teil des Jemen gehen seit drei Jahren Menschen auf die Straße, um gegen die politische und wirtschaftliche Benachteiligung durch den übermächtigen Norden zu protestieren – mittlerweile fast täglich.

Aus vereinzelten Sitzstreiks von entlassenen früheren Militärs und Beamten der Volksrepublik, die ihre Pensionen forderten, wurde eine Massenbewegung. Aus der Forderung, bei der im Mai 1990 erfolgten Vereinigung geschehenes Unrecht zu beseitigen, wurde der offene Ruf nach Abspaltung. „Der einzige Weg aus der Krise ist die Unabhängigkeit“, heißt es in einem jetzt veröffentlichten Aufruf von vier südjemenitischen Oppositionsgruppen. Die „Bewegung des Südens“, wie sie im Jemen heißt, zählt mittlerweile acht konkurrierende Strömungen: ehemalige Marxisten ebenso wie muslimische Stammeskämpfer.

Das Gefühl der Vernachlässigung beschränke sich nicht auf den Süden, sagt der Politikberater Abdulghani al-Iryani. „Das gibt es auch im Norden. Doch dort existiert keine Erinnerung an ein eigenes unabhängiges Staatswesen.“ Ganz anders im Süden. Bis vor zwanzig Jahren war Aden Hauptstadt, erst im Bürgerkrieg von 1994 setzte sich der von Islam und Stämmen bestimmte Norden endgültig durch.

Eine Abspaltung der sieben südöstlichen Provinzen, die zwei Drittel der Landesfläche ausmachen, wäre für die Machthaber in Sanaa der Todesstoß, warnt Iryani, der bereits vor drei Jahren eine Studie zu dem Konflikt verfasst hat. „Ohne das Geld aus den Ölexporten kann das Regime seine Soldaten und Beamten nicht bezahlen. Und das Öl liegt genau wie die Fischgründe im Süden.“ Deshalb seien die Unruhen im Süden die größte Bedrohung für den Zentralstaat – viel mehr noch als der seit Jahren schwelende Bürgerkrieg mit den schiitischen Rebellen in der Nordprovinz Saada. Auch die Anschläge auf Militärs und Armeeposten, mit denen al-Qaida seit Monaten die Sicherheitskräfte in Atem hält, seien weniger gefährlich als der drohende Zerfall des Staates, sagt Iryani. Die Terroristen profitieren allerdings von der wachsenden Instabilität im Süden, wo sie vermehrt Anschläge ausüben und Unterschlupf finden.

Präsident Ali Abdullah Saleh, der seit 32 Jahren in Sanaa regiert, hat nun zum nationalen Dialog geladen. Zusammen mit den aus der früheren Einheitspartei hervorgegangenen Sozialisten und der von Islam und Stammesführern dominierten Islah-Partei will er endlich den Weg für die auf kommendes Jahr verschobenen Parlamentswahlen ebnen. Auch der Kampf gegen Korruption, Armut und Ungerechtigkeit sowie ein friedlicher Machtwechsel gehörten auf die Agenda, erklärte der sozialistische Fraktionschef Aiderus al-Nagib. Eine Abspaltung fordert er nicht. Auch deshalb fühlen sich die Frustrierten im Süden kaum mehr durch seine Sozialistische Partei vertreten. Die Separatisten jedoch sind zum nationalen Dialog nicht geladen.

„Wenn die Regierung Stabilität will, muss sie mit dem Süden über berechtigte Forderungen reden“, sagt Iryani. Dazu sei Saleh noch nicht bereit. Deshalb fordert der Regierungskritiker jetzt internationalen Druck. Die Regierung müsse dazu gebracht werden, wenigstens einen Teil der Versprechen einzulösen, die sie seit Jahren gebe: entlassenen Sozialisten ihre Pensionen zahlen, enteignetes Land zurückgeben, korrupte Beamte in ihre Schranken weisen. „Das ist der einzige Weg aus der Krise. Wir können nicht darauf warten, dass sich die wirtschaftliche und soziale Lage in diesem Land von alleine bessert und sich der Frust irgendwann wieder legt.“

KLAUS HEYMACH