Mann braucht Förderung

Das deutsche Feuilleton debattiert die Krise der Männlichkeit. Was folgt daraus für die Politik? Brauchen wir eine Institutionalisierung von Männerinteressen wie in Österreich?

Einer Institutionalisierung von Männerpolitik müssen praktische Schritte folgen

Ein Podiumsgespräch der Friedrich-Ebert-Stiftung in Heidelberg hat die „Geschlechtergerechtigkeit aus Männersicht“ zum Thema. Die Organisatorinnen der Veranstaltung sind Frauen, die es spannend finden, mal die Perspektive zu wechseln. Geladen haben sie deshalb ausschließlich männliche Referenten. Doch der Abend nimmt einen anderen Verlauf als erwartet.

Kaum ist das Publikum dran, meldet sich ein männlicher Zuhörer nach dem anderen und klagt massiv über Diskriminierung qua Geschlecht: Wehrpflicht, geringere Lebenserwartung, schlechtere Krebsvorsorge, höhere Suizidraten, miserable Noten männlicher Schüler. Aus ganz Baden-Württemberg, so stellt sich heraus, sind Mitglieder der „geschlechterpolitischen Initiative MANNdat e. V.“ angereist, um ihre Anliegen vorzutragen. Sie fordern zum Beispiel einen Männergesundheitsbericht, Maßnahmen zur Verbesserung der Lesekompetenz von Jungen und mehr Rechte für Scheidungsväter. Sind das Anzeichen für eine neue Bewegung für „Männerpolitik“?

Nimmt man die mediale Aufmerksamkeit im Feuilleton zum Maßstab, scheint es dafür höchste Zeit: Das Wochenblatt widmete dem verunsicherten starken Geschlecht gleich eine ganze Serie unter dem Titel „Männer in Not“. NZZ Folio beschrieb Männlichkeit als „hochriskante“ Lebensform; Neon fragte, was „der Mann eigentlich will“, und richtete ein Internetforum „für harte Burschen“ ein. Selbstironisches Leitmotiv: „Wie geht ihr mit eurem schwierigen Los um?“ Auch Zitty mühte sich, das allgemeine Wehgeschrei positiv zu wenden. Das Berliner Stadtmagazin entdeckte „die neuen Berliner Jungs“, die „entspannt“ und „relaxt“ mit ihrer Männlichkeit umgehen. Alles halb so schlimm also? Gibt es sie überhaupt, die „Krise der Kerle“?

Die österreichische Regierung ist davon überzeugt. 2001 wurde eine „Männerpolitische Grundsatzabteilung“ im Wiener Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz eingerichtet. Von der Koalition aus Österreichischer Volkspartei ÖVP und den „Freiheitlichen“ Jörg Haiders durchgesetzt, stand das Vorhaben von Anfang an in der Kritik. Die oppositionelle SPÖ lief dagegen Sturm, Frauenverbände fürchteten die Umschichtung von Fördergeldern.

Fünf Jahre später haben sich die Wogen zwar etwas geglättet. Doch in diesem Herbst stehen Wahlen an; eine interessante Idee droht an parteipolitischen Querelen, aber auch an ihrer mangelhaften Umsetzung zu scheitern.

Die „Grundsatzabteilung“ produzierte bisher vor allem Papier: rund ein Dutzend kostenlos erhältliche Dokumentationen, deren Umfang und Ausführlichkeit höchstens noch von den Veröffentlichungen der Brüsseler EU-Bürokratie übertroffen wird. Studien zur „Buben- und Burschenarbeit“ oder zur „positiven Väterlichkeit“ wurden in Auftrag gegeben, ein Männergesundheitsbericht erstellt und die „Erste Europäische Väterkonferenz“ veranstaltet. Der dem Nationalrat vorgelegte „Erste Österreichische Männerbericht“ bündelt diese Aktivitäten jetzt in einem weiteren Wälzer – und macht in seiner konzeptionslosen Aneinanderreihung verschiedenster Initiativen das Dilemma von Männerpolitik deutlich.

Männer sind ebenso wenig wie Frauen eine homogene Gruppe. Geschlechterforscher sprechen auf der einen Seite von „hegemonialer Männlichkeit“ und meinen damit die fortdauernde Dominanz an der Spitze von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Zugleich aber sind schlecht qualifizierte Männer mittlerweile überdurchschnittlich häufig arbeitslos, leiden Väter unter der Trennung von ihren Kindern, birgt der traditionelle männliche Lebensstil ein hohes Gesundheitsrisiko.

Wer die Vielfalt von Männlichkeiten in einer gemeinsamen Politik vertreten will, muss Prioritäten setzen. Die Akzente und Schwerpunkte, die der österreichische Männerbericht gewählt hat, sind fragwürdig: Nach dem Muster des Stuttgarter Vereins „MANNdat“ dokumentiert er Benachteiligung in nahezu allen Lebenslagen. Und die geschlechterpolitischen Leitbilder, auf die sich die angeführten Experten etwa beim Thema „Vaterentbehrung“ beziehen, sind zum Teil äußerst konservativ.

Es wäre dennoch schade, wenn dieser noch unausgegorene Versuch einer institutionalisierten Männerpolitik nach der Wiener Nationalratswahl einfach in der Versenkung verschwände. Die Widersprüche der Männerrolle entwickeln sich auch in Deutschland zu einem wichtigen Thema – das signalisiert die aufgeregte Mediendebatte, die sich vorerst noch im Kulturteil abspielt.

Die einstigen Helden der Industrie auf dem arbeitsmarktpolitischen Abstellgleis; ein Erziehungssystem mit zu wenig männlichen Bezugspersonen; eine Krebsprävention, die als zweitrangig gilt, weil von ihr nicht die biologische Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft abhängt: Das sind keine Erbsenzählereien, sondern Facetten von nicht durchgängig vergoldeten Männlichkeiten – und damit wichtige Themen einer „gegenderten“ Wirtschafts-, Familien-, Gesundheits-, Rechts- oder Bildungspolitik.

Vor fünf Jahren liefen liefen Frauenverbände Sturm gegen die „Männerpolitische Grundsatzabteilung“

In Deutschland finden sich geschlechterpolitische Initiativen aus männlicher Sicht eher im linken Parteienspektrum. So verfolgt die Heinrich-Böll-Stiftung seit ihrer Gründung ein „geschlechterdemokratisches“ Konzept. Auch Gewerkschaften wie Ver.di bemühen sich, die traditionelle Frauenpolitik durch eine genderdialogische Sichtweise zu ergänzen. Rechtspopulisten haben das Thema bisher kaum für sich entdeckt. Die Wahlergebnisse gerade in Ostdeutschland zeigen aber, dass die kriselnden Kerle auch politische Sprengkraft beinhalten: Der klassische NPD-Wähler ist jung, männlich und arbeitslos.

Eine „zukunftsorientierte Männerpolitik“, wie sie der Schweizer Dachverband „maenner.ch“ postuliert, ist in deutschen Verwaltungen bisher nicht einmal in Ansätzen verankert. Die Abwehrreflexe im Umfeld der institutionalisierten Frauenpolitik sind groß. Es gibt Dutzende von Bundes- und Landesministerien, die das Wort „Frauen“ im Titel führen, von Männern ist nirgends die Rede. Dabei könnte Ursula von der Leyen durchaus einem Ressort „für Geschlechter- und Generationenfragen“ vorstehen. Und wie wäre es mit einem „Gender-Tandem“ an der Spitze, einer gemeinsamen Leitung durch eine Frau und einen Mann – womit ganz nebenbei auch noch bewiesen werden könnte, dass Führungspositionen sehr wohl teilbar sind?

Nur weil die politische Richtung der österreichischen Pioniere irritiert, ist der Gedanke einer Männerabteilung oder eines Männerbeauftragten nicht falsch. Der Institutionalisierung von Männerpolitik ergänzend zur Frauenpolitik müssten praktische Schritte folgen: Förderprogramme, die Jungen stärken, mehr Geschlechterforschung aus dezidiert männlicher Perspektive oder auch ein deutscher Männergesundheitsbericht. So papierlastig und einseitig wie in Wien muss es in Berlin ja nicht zugehen. THOMAS GESTERKAMP