: „Hier ist Deutschlands Hilfe gefragt“
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, spricht sich für Bundeswehr-Einheiten in einer UN-Friedenstruppe im Libanon aus
taz: Herr Korn, sollte sich die Bundeswehr an der geplanten UN-Friedenstruppe im Libanon beteiligen?
Salomon Korn: Sie soll sich beteiligen, weil es zwischen Deutschland und Israel lange und freundschaftliche diplomatische Beziehungen gibt. Ich denke, wenn eine Situation auftritt wie die gegenwärtige, dann sollten befreundete Nationen – so wie das Freunde eigentlich immer tun – helfen. Hier, denke ich, ist Deutschlands Hilfe gefragt und sollte auch gewährt werden.
Theoretisch besteht die Gefahr, dass ein deutscher Soldat auf einen Juden, einen Israeli in dem Fall, schießt – spricht das nicht gegen den Einsatz von Bundeswehreinheiten in einer UN-Friedenstruppe?
Nicht, wenn man diese Situation von vornherein vermeidet: Die Bundeswehr könnte ja Aufgaben wahrnehmen, die ebendiese Konfrontation umgehen. Ich glaube, das ist möglich. Das könnten zum Beispiel Formen der Logistik sein, der Versorgung, der Nachschubsicherung, der Organisation. Eine Konfrontation zwischen Bundeswehr- und israelischen Soldaten wäre allerdings fatal, denn die würde wahrscheinlich bei den Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen oder deren Nachkommen Traumata auslösen, die man besser nicht auslösen sollte. Das würde Diskussionen in Gang bringen, die alte Wunden aufreißen könnten.
Da zeichnet sich ja ab, dass man wahrscheinlich die Bundeswehreinheiten in Arealen hätte, wo sie mit Israelis nicht in Kontakt kommen können. Aber eigentlich drückt man sich da um die Grundsatzfrage, oder?
Das Problem ist, dass man nach den politischen und historischen Gegebenheiten handeln muss. Für manche Dinge ist die Zeit reif, für andere noch nicht. Solange es Überlebende des nationalsozialistischen Menschheitsverbrechens gibt und solange deren Nachkommen auch noch gezeichnet sind, und zwar sowohl auf jüdischer wie auf nichtjüdischer Seite, auf israelischer wie auf deutscher Seite, so lange sollte darauf Rücksicht genommen werden. Man kann eben nicht aus der Geschichte heraustreten. Ich habe immer gesagt: Das, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geschehen ist, wird mindestens vier Generationen nachwirken.
Die Bundesregierung argumentiert ja in gewisser Weise gerade umgekehrt. Sie erklärt: Gerade wegen der deutschen Vergangenheit sei es im „nationalen Interesse“, dass die Bundeswehr Israel schützt. Was halten Sie von diesem Argument?
Das ist ein zweischneidiges Argument, weil der Einsatz Deutschlands jetzt aus Überzeugung heraus geschehen sollte – und nicht aus reiner Verpflichtung. Insofern muss man aufpassen, dass das jetzt nicht auf eine Bringschuld reduziert wird, sondern es sollte auf jeden Fall auch ein Bedürfnis sein, dass hier einer befreundeten Nation in einer komplizierten historischen und politischen Gemengelage geholfen wird, und zwar außerhalb reiner Verpflichtung, die möglicherweise aus der Geschichte erwächst. Im Faust heißt es: Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.
Befürchten Sie, dass dieser Bundeswehreinsatz auch am Ende die Schlussstrich-Zieher ermutigen könnte – etwa nach dem Motto: Wenn wir Deutsche jetzt schon Juden schützen, sind wir in der so genannten Normalität angekommen, und dann muss an die NS-Zeit nicht mehr erinnert werden.
Dass es diese Versuche immer geben wird, ist nicht zu verhindern. Aber es gibt nun einmal ein Schlussstrich-Paradox: Solange Menschen in diese Richtung argumentieren, ist auf jeden Fall gewährleistet, dass kein Schlussstrich gezogen ist. Ein Schlussstrich wird erst dann gezogen sein, wenn nicht mehr über den Schlussstrich geredet werden wird.
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER