: Restart der Jungsmaschine
Nach zehn Jahren Pause endlich wieder ein konzeptuell megalomanes Techno-Unterfangen: Auf der „Krautok“-Party am Osthafen feiern Toktok mit Gästen ab morgen Mittag 24 Stunden am Stück
VON TOBIAS RAPP
Das glaubt einem ja heute niemand mehr: Aber damals sah die Kronenstraße in Mitte aus, als wäre sie in der South Bronx. Zehn Jahre ist das nun her. Wenn man heute von der Friedrichstraße in Richtung Mauerstraße durchradelt, erinnert nichts mehr an früher, außer vielleicht noch die Häuser, die im Prinzip die alten sind, nur eben renoviert und voll mit Lobby-Büros und Steuerberaterkanzleien. Gesamteindrucksmäßig sieht aber alles anders aus: Die Baulücken sind mittlerweile gefüllt, die Häuserblocks sind wieder vollständig.
In den Berliner Nullerjahren von den Berliner Neunzigern zu erzählen, bekommt leicht so einen Opa-erzählt-vom-Krieg-Geschmack. Natürlich völlig ohne Grund: In Läden wie dem „Friseur“, der, bevor er der Gebäudesanierung zum Opfer fiel, damals in der Kronenstraße war und der für eine Weile den Ruf einer Ostberliner Variante des Hamburger Pudelclubs genoss, war es ja gar nicht aufregender als es heute in einem beliebigen Laden zwischen nbi und Panoramabar noch ist. Auch, weil meistens eh gerade niemand da war.
Was nicht heißt, dass es nicht einige Unterschiede gibt. Der wichtigste: Alles war selbstgemachter als heute. Man nehme etwa die „Krautok“-Party, die vor genau zehn Jahren stattfand und aus diesem Anlass morgen im Osthafen mit zahllosen Gästen eine Neuauflage erfährt. Der Titel war eine Fusion aus Toktok und Krautrock – Ersteres der Name eines Technoproduzentenkollektivs, das später zusammen mit der Sängerin Soffy O einigen Chartserfolg mit wunderbarem Elektropop haben sollte. Damals aber waren sie ein Haufen verdrogter Exhausbesetzer. Letzteres bezeichnet jenes Musikgenre, das heute gern herangezogen wird, um die historischen Wurzeln der elektronischen Musik in Deutschland zu verorten.
Schaut man von heute drauf, kommt einem diese Kombination fast zwangsläufig vor. Damals stellte sich das aber ganz anders da. Zum Beispiel hatte eigentlich niemand Ahnung von Krautrock. Wie auch. Es war die Zeit, bevor die Platten von Can, Cluster, Faust und wie die Bands alle heißen wiederveröffentlicht wurden. Man lebte im Berliner Osten, es machte also auch wenig Sinn, auf Flohmärkten nach diesen Platten zu suchen: Dort gab es sie nämlich nicht. Und es war die Zeit vor den Online-Börsen, wo man sich diese Musik hätte herunterladen können. Krautrock war also vor allem ein Gerücht, das ungefähr so ging: Da gab es mal diese ganzen durchgedrehten Hippie-Bands, die alle Drogen geschluckt haben wie die Bekloppten und dann endlos auf ihren Instrumenten herumgedaddelt. Manchmal auch auf den ersten Synthesizern.
Aus dieser vagen Ahnung von den realen Geschehnissen in den Siebzigerjahren wurde dann Krautok – denn die Toktok-Auftritte jener Tage liefen ähnlich krautig ab: Da wurden riesige Mengen Aufputschmittel in sich hineingestopft, auf der Bühne stand meist ein ganzes Studio – der Laptop-Auftritt war noch unbekannt –, und dann fing man irgendwie an. Es gab zwar auch vorbereitete Parts, im Großen und Ganzen aber war es improvisiertes, Acid-geprägtes Technogebolze.
War ein solcher Auftritt erst einmal in Fahrt gekommen, konnte es dauern, bis er wieder vorbei war. Was auch mit den Drogen zu tun hatte – das riesige, klobige Mischpult sah meistens aus, als hätte es draufgeschneit. Dass die Party ausgerechnet 24 Stunden lang sein sollte, hatte auch mit einer bestimmten Jungsmaschinen-Dynamik zu tun – wenn schon, denn schon, dachte man sich, wenn gar nichts mehr geht, wird einfach nachgelegt. Solche Dinge nimmt man sich allerdings einfacher vor, als man sie tatsächlich umsetzt: De facto lief während der letzten Stunden dieser schönen Party ein einfacher Loop in einem leeren Raum – und wer noch da war, saß vor der Tür.
Zehn Jahre ist das nun her, Toktok und das Technoduo Robotnik bestritten die Party damals. Für die Neuauflage sind es ein paar mehr Künstler geworden: Freunde und Verwandte haben die Veranstalter eingeladen, Techno-Greise und junges Gemüse. Und verlagert hat sie sich auch – weg vom geografischen Rand der ehemaligen Tresor-E-Werk-Achse hin zum Rand der neuen Berghain-Watergate-Achse.
„Krautok – 24 h live“, von Donnerstag, 12 Uhr mittags, bis Freitag, 12 Uhr mittags. Osthafen, Stralauer Allee 2. Mit: Alexander Kowalski, Anton Waldt, Autotune, Beroshima, Candie Hank, Contemporary Household, Dasha Rush, Dirk Leyers, Eric D. Clark, Fabian Feyerabendt, Housemeister, Robotnik, Snax, Soffy O, Toktok u. a.