: Konzentrieren und Tee trinken
EINKEHR Jedes dritte Wochenende im Monat wird im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine Teezeremonie vorgeführt. Es ist ein Ausflug in Welt fern aller Hektik und Effektivität, eine Welt erübter Anstrengungslosigkeit
VON FRANK KEIL
Zur Teezeremonie? Die Museumsbedienstete geht flott voran, zeigt uns, wo sich im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe im zweiten Stock am Ende eines langen Ganges das japanische Teehaus befindet. „Viel Spaß“, sagt sie. „Und hinterher sind Sie erleuchtet!“, kichert sie, geht dann glucksend und offenbar sehr gut gelaunt davon.
Nun – erleuchtet ist man vielleicht nicht. Aber – irgendwie recht ruhig gestimmt. Angeregt entspannt – so in etwa. Und dabei dauert die eigentliche Zeremonie, der wir gleich beiwohnen werden, nur wenig mehr als 20 Minuten.
Von unseren niedrigen Bänken aus sehen wir Zuschauer in den Teeraum eines Teehauses wie auf eine Bühne. Es treten auf die in einem apricotfarbenen Kimono gekleidete Teemeisterin Mineko Sasaki-Stange und in einem dunklen Kimono Albrecht Ude als Gast, der den servierten Tee trinken wird. Er streift seine Sandalen ab und rutscht auf Knien in den Teeraum. Er betrachtet eine in einer Nische angebrachte Kalligrafie, vor der eine Blume steht: eine Osterglocke, kerzengerade und makellos gewachsen. Die Schiebetür zum Vorbereitungsraum wird geöffnet, die Teemeisterin wird nun einzeln jedes Teegerät in den Raum bringen: Wasserkessel, Schöpfkelle, Teedose, Teeschale, Teelöffel und den Teebesen.
Udes Kollege Rolf Scheel übernimmt diesmal die Rolle des Erklärers. Er steht seitlich da in seinem gleichfalls dunklen Kimono, beugt sich jeweils leicht vor, wenn er etwas sagt, so als wolle er um Verständnis bitten, dass er den sehr langsamen und manchmal fast zeitlupenartigen Ablauf der Zeremonie durch seine Worte nun gleich stören werde.
Dass ein Teeraum zwei Eingänge hat, einen für die Gäste vom Format 70 mal 70 Zentimeter, erfahren wir, was symbolisiere, dass im Teeraum, den es zu betreten gilt, jeder gleich sei. „Ob Sie nun arm oder reich sind, von hohem oder niedrigem Stand und ob jung oder alt – das alles spielt überhaupt keine Rolle“, sagt Scheel. Wir schauen nun zu, wie das Teegeschirr nacheinander in den Teeraum gebracht wird. Scheel erklärt: „In der Teeschale befindet sich ein kleines, weißes Leinentuch, darauf liegt ein Teebesen, aus Bambus gefertigt, und oben auf der Teeschale ein Teelöffel, ebenfalls aus einem Bambusstück gefertigt.“
Etwas fällt bald auf: Gastgeberin und Gast reden nur sehr selten miteinander und wenn, dann schauen sie sich nicht an, sondern irgendwie ein wenig aneinander vorbei. Rolf Scheel übersetzt die wenigen japanisch gesprochenen Sätze: „Die Gastgeberin übergibt dem Gast eine kleine Süßigkeit, die aber vorerst nur betrachtet wird. Erst wenn der Tee zubereitet ist, wird die Gastgeberin den Gast auffordern, die Süßigkeit zu probieren.“ Er sagt: „Die Gastgeberin sagte: Ich werde Ihnen einen dünnen Tee zubereiten.“
Das Teegeschirr wird gespült und mit einem gestärkten Tuch dreifach symbolisch gereinigt. Der pulverisierte, grüne Tee wird vorsichtig aufgegossen. Der Gast nimmt die Schale entgegen, er dreht sie, er nimmt einen Schluck, er setzt die Schale ab: „Der Gast bat, die Teezeremonie zu schließen, er habe genug Tee gehabt. Die Gastgeberin akzeptierte das“, übersetzt Scheel.
Doch damit ist die Zeremonie noch lange nicht zu Ende. „Der Gast bat die Gastgeberin, die Teedose und den Teelöffel betrachten zu dürfen – was sie akzeptiert“, übersetzt Scheel. Er erklärt, dass es sich dabei jeweils um Einzelstücke handele, die daher das Interesse des Gastes auf sich zögen. Dabei zieht sich die Gastgeberin in das Vorbereitungszimmer zurück und schließt ausdrücklich die Tür: Der Gast soll unbefangen, weil unbeobachtet, die Dinge betrachten können.
Und auch danach hat es der Gast keinesfalls eilig, den Teeraum zu verlassen, wie auch die Gastgeberin nun nicht geschäftig abräumt: „Alle nicht mehr benötigten Teegeräte werden in umgekehrter Reihenfolge, wie sie hereingebracht wurden, in den Vorbereitungsraum zurückgebracht“, erläutert Scheel.
Und auch der Gast schaut sich noch einmal sehr genau die Kalligrafie an der Wand und die davor stehende Blume an, so wie er es zu Anfang schon getan hat: So wie alles anfangen hat, endet es. Und Rolf Scheel sagt nun zum Abschluss: „Am Eingang wirft der Gast noch einen letzten Blick in den Teeraum, um eine bleibende Erinnerung mit nach Hause zu nehmen.“
Und der Tee, der uns nach Abschluss der Zeremonie in je einer Schale gereicht wird? Schaumig grün schwimmt er in der Schale; vom Aussehen erinnert er ein wenig an pürierte und dann verdünnte Petersilie, ein bisschen an hessische grüne Soße. Und er schmeckt sehr angenehm; durchaus bitter, aber eher würzig; kraftvoll und konzentriert.
Albrecht Ude erklärt, warum pulverisierter, grüner Tee genommen wird: „Japanischer Tee ist nicht fermentiert, er ist nur getrocknet. Würde man ihn nun als Blätter aufgießen, würde man das Wertvollste zurückbehalten.“ Früher sei das Mahlen der Blätter daher Teil der Zeremonie gewesen. Doch heute werde der Tee maschinell gemahlen und in kleinen Plastikbeuteln geliefert, die man am besten im Kühlschrank verwahre, sodass das Teepulver gut ein Jahr lang halte.
Wichtig sei aber nach wie vor, das der Blick aufs Detail bewahrt bleibe: „Der Gast betrachtet die Teedose nicht nur an sich, sondern auch die Art und Weise, wie in ihr der Tee aufgehäuft wurde. Das soll im optimalen Fall einen kleinen Berg ergeben, so dass der Tee, der weggenommen wurde, ein kleines Tal, eine Schlucht gebildet hat. So erkennt der Gast, wie konzentriert die Gastgeberin den Tee angehäufelt hat.“
„Der Tee ist eigentlich nur das Beiwerk“, sagt Scheel. Ude ergänzt lächelnd: „Wegen so einem Schluck würde bei uns natürlich niemand zu Besuch vorbeikommen.“ Und so geht es um die Harmonie der Bewegungen, der Abläufe. Um Achtsamkeit jedem einzelnen Gegenstand gegenüber – wie auch dem Gast. Es geht um Konzentration, es geht um Reinheit, so wie die Teegeräte immer wieder in Anwesenheit des Gastes symbolisch gereinigt würden. „Schlimmer als eine deutsche Hausfrau zu Weihnachten, sag’ ich immer“, sagt Scheel. Und nicht zuletzt geht es darum, wie bei einer Choreografie die Handlungen so fließend wie selbstverständlich zu vollziehen. „Üben, üben, üben“, sagt Scheel. Dabei klingt er gar nicht angestrengt.
135 Vereine soll es weltweit geben, die sich dem Ein- und Ausüben und Vorführen der japanischen Teezeremonie verschrieben haben, von denen es ihrerseits etwa 60 unterschiedliche Arten geben soll. Mineko Sasaki-Stange, Rolf Scheel und Albrecht Ude gehören zur Urasenke-Schule mit Sitz in Kyoto. Dabei geht die Erzählung so: Dessen langjähriger, ehemaliger, nun 90-jähriger Großmeister Hounsai Genshitsu Sen sei während des Krieges Kamikazeflieger gewesen. Doch statt sich mit seinem Flugzeug auf den Gegner zu stürzen, habe er dieses im Norden Japans behutsam in die Kiefern gesetzt – und sein Leben der Teezeremonie verschrieben. „Eine Schale Tee kann den Frieden bringen“, sagt Teemeisterin Sasaki-Stange lächelnd.
Und der Gast? Kann man als Gast auch Meister werden oder wenigstens einem Gast-Ideal nahe kommen? Albrecht Ude führt aus: „Auch die Gäste müssen bei der Teezeremonie etwas können. Am meisten zu tun hat der erste Gast, der mit dem Gastgeber kommuniziert und auch die Gäste koordinieren muss, etwa ob noch jemand eine Schale Tee bekommen möchte. Auch der letzte Gast hat einiges zu tun, er muss mit dem ersten Gast dem Gastgeber die Geräte zurückgeben. Am einfachsten ist es für die mittleren Gäste – die müssen quasi nur mitschwimmen.“
Wobei man Rücksicht auf ungeübte Gäste nehme: „Als Angela Merkel auf Staatsbesuch in Japan eine Teezeremonie bekam, musste sie ja nicht vorher einen Kurs belegen. Sie saß während der Zeremonie auf einem Hocker, ein Assistent brachte ihr Süßigkeiten und die Teeschale.“ Wichtig sei jenseits aller Formen der menschliche Kontakt.
Wobei wir gewissermaßen nur einer Kurzversion einer Teezeremonie zugesehen hätten, denn es gäbe Zeremonien, die sich über bis zu viereinhalb Stunden erstrecken würden. „Da kommt man ins Haus, kleidet sich erst mal um; bekommt einen Schluck Wasser gereicht, im Sommer ist das Wasser kalt, im Winter entsprechend warm.
Dann wird ausgiebig die Feuerstelle betrachtet, hat doch die Holzkohle eine ganz besondere Form und ist in besonderer Weise gelegt. Anschließend werden zehn bis zwölf kleine Speisen serviert und danach erst wird der Tee gereicht: sogenannter Herztee, dickflüssig wie bei uns Soße. Dann wird das Feuer noch einmal angefacht und zum Abschluss gibt es den diesmal dünnen Tee, so wie wir ihn eben serviert haben.“
Will Albrecht Ude mal Meister werden? „Ich habe nicht das Ziel, Meister zu werden, sondern das klare Ziel, mehr über die japanische Kultur zu erfahren“, sagt er. Und setzt hinzu: „Ich lerne hier mehr über materielle japanische Kultur als in jedem Studium. Wenn wir am Üben sind, ist es jedes Mal anstrengend wegen des Kniens, aber es ist eine so hohe Konzentrationsübung, dass es wie ein Kurzurlaub ist.“
Alle anderen Sorgen seien währenddessen vergessen: „Es geht nur darum, die Zeremonie zu vollziehen, und das hat schon etwas sehr, sehr Angenehmes. Deshalb mache ich das gerne.“ Und er verbeugt sich, lächelt nun fast etwas schüchtern, aber auch versonnen, leicht entrückt. Doch dieser Eindruck kann jetzt auch am genossenen Tee liegen.
Die Teezeremonie im Museum für Kunst und Gewerbe findet an jedem dritten Samstag und Sonntag des Monats statt, jeweils um 13, um 14 und um 15 Uhr. Dafür ist ein Zuschlag zum Eintritt von drei Euro fällig. Steintorplatz 1.