Rassismus auf der Straße

STADTBILD Im Wedding tragen über ein Dutzend Straßen die Namen afrikanischer Staaten. Was wie eine Ehrung aussieht, ist eine Huldigung deutscher Kolonialzeit – und skrupelloser Besiedler. Ein Rundgang durchs Viertel

Den Namensgeber der Petersallee haben die Nazis als größten deutschen „Kolonialpionier“ gefeiert

VON GESA STEEGER

Kameruner Straße, Sansibarstraße, Togostraße: Wer das erste Mal das Afrikanische Viertel im Wedding durchstreift, kann schnell vom Fernweh überrumpelt werden. Mnyaka Sururu Mboro lächelt. Auch er habe sich über die Hommage an seine afrikanische Heimat gefreut, als er sich Ende der 1970er Jahre das erste Mal in den Kiez verirrte, erzählt der 63-Jährige. Aber das sei lange vorbei: „Gehe ich heute durch diese Straßen, läuft es mir manchmal kalt den Rücken runter.“

Leicht gebeugt, die Lesebrille auf die Nasenspitze geschoben, steht Mboro vor dem kleinen Ladenbüro des Vereins Berlin Postkolonial in der Kameruner Straße und sortiert seine Folien. Der gebürtige Tansanier ist Vorstandmitglied der Initiative, die sich für die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit einsetzt. Mit seinen Kollegen bietet er Führungen durch das Afrikanische Viertel an. „An diesem Ort zeigt sich, welche Probleme die weiße Mehrheit in diesem Land noch immer mit der ganzen Wahrheit über den deutschen Kolonialismus hat.“

Seine erste Folie zeigt eine Straßenkarte des Viertels, gespickt mit Namen afrikanischer Staaten: Ghana-, Senegal-, Guineastraße. Länder, die zwischen 1884 und 1919 von Deutschland kontrolliert oder beansprucht worden waren, erklärt Mboro. Um den Kolonialgedanken im Stadtraum zu verankern, habe Berlin Ende des 19. Jahrhunderts im Wedding das erste Kolonialviertel Deutschlands angelegt.

Vorbei an afrikanischen Restaurants und kleinen Geschäften geht es in Richtung Lüderitzstraße. Es gebe im Kiez eine recht große schwarze Community, erzählt Mboro, während er an schmucklosen Nachkriegsbauten vorbeischlendert. Das liege aber weniger am Namen des Viertels, sondern vor allem an den moderaten Mieten.

In der Lüderitzstraße zieht er die zweite Folie aus dem Stapel. Nicht nur die Kolonien wurden in den Straßennamen des Viertels verewigt, erzählt er. Auch die Kolonialherren seien hier für ihre Erfolge geehrt worden. Der Bremer Kaufmann Franz Adolph Eduard Lüderitz sei im Verständnis vieler Deutscher noch immer einer der Begründer der deutschen Kolonialmacht. Dass Lüderitz den Stamm der Herero um ihr Land betrog, als er im heutigen Namibia das „Lüderitzland“ gründete und 80 Prozent der Herero während der deutschen Kolonialzeit umkamen, sei dagegen weitgehend unbekannt. Mnyaka Sururu Mboro, sonst ein ruhiger Typ, ist aufgebracht.

Noch skandalöser sei allerdings die Petersallee. Carl Peters, von den Nationalsozialisten als größter deutscher „Kolonialpionier“ gefeiert, war wegen Freiheitsberaubung, Auspeitschung und Hinrichtung eines afrikanischen Bediensteten aus dem Kolonialdienst des Deutschen Reiches entlassen worden.

Mboros Großmutter, die die deutsche Kolonialzeit miterlebte, habe ihm als Kind grausame Geschichten über diesen Mann erzählt, erinnert er sich: „Sie erzählte uns, dass der Mann im Mond kein anderer als mkono wa damu, die Bluthand Carl Peters ist, der dort zur Strafe für seine grausamen Verbrechen für immer am Galgen hängt.“ Durch den Straßennamen entstehe der Eindruck, Deutschland pflege sein rassistisches Erbe.

Sein Verein Berlin Postkolonial tritt seit Jahren für die Änderung der Straßennamen ein. Bisher vergeblich. „Das Einzige, was wir erreichen konnten, war die Einrichtung des postkolonialen Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel im Jahr 2011“, erzählt Mboro. Die Bezirks-SPD setzte sich zwar im gleichen Jahr für Straßenumbenennungen ein, scheiterte aber an einer Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt der Straßennamen starkmachte.

Mnyaka Sururu Mboro schüttelt den Kopf. „Wenn Menschen wie Lüderitz und Peters hier weitergeehrt werden, wie soll sich in dem Verständnis der Menschen etwas ändern?“ Um Rassismus in der Gegenwart zu bekämpfen, müsse man auch über die Vergangenheit sprechen.

Die letzte Station der Führung ist die Dauerkolonie Togo. Kleingärtner stehen hier in ihren Mikrogärten, beschneiden Apfelbäume oder mähen den Rasen. Deutschlandflaggen flattern im Wind. „Die Anlage wurde 1939 von den Nazis als Hommage an alte Kolonialzeiten gegründet“, erklärt Mnyaka Sururu Mboro. Die Bitte von Berlin Postkolonial an die Vereinsleitung, den Namenszusatz Dauerkolonie wegzulassen, sei bisher aber auf taube Ohren gestoßen.

Grundsätzlich habe er nichts dagegen, dass die Kolonie Togo heiße, nur: „Wenn die sich schon so nennen, dann sollten sie mal ein paar Togolesen zum Grillfest einladen.“