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Archiv-Artikel

Das Schwere so leicht

ARCHITEKTUR Weniger Bau, mehr Kunst: Für die Architekturbiennale in Venedig hat Kuratorin Kazuyo Sejima ein Konzept entwickelt, das eine neue Einfachheit des Bauens anmahnt

Löwen und Preise

Rem Koolhaas, der niederländische Architekt und Gründer des Büros OMA, ist für sein Lebenswerk mit dem Hauptpreis der Architektur-Biennale, dem Goldenen Löwen, ausgezeichnet worden. Koolhaas gehört zu den renommiertesten Vertretern der Moderne und einer neuen funktionalen Stadtentwicklung. Der Goldene Löwe für den besten nationalen Beitrag ging an das Königreich Bahrain. Fischerhütten hatten die Kuratoren des Golfstaats unter dem Titel „Wiedergewinnung“ aufgebaut und eine Kritik und Dokumentation des schnellen gesellschaftlichen Wandels in der arabischen Welt vorgestellt. Den am höchsten dotierten europäischen Architekturpreis von 100.000 Euro, den Audi Urban Future Award, erhielt der Berliner Architekt Jürgen Mayer H. für sein Szenario des Zusammenwirkens von Mobilität und Stadtentwicklung im Jahr 2030. Das Zukunftsbild zeigt die Vision, in der das Auto als digitale Schnittstelle zwischen Benutzer und Stadt fungiert, Fußgänger und Radfahrer gleichwertige Verkehrsteilnehmer werden. (taz)

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Ein schmaler Laufsteg führt als Achterbahn hinauf in künstliche Wolkennebel. Anfangs geht es. Dann greift man ins Leere, sehnt sich nach sicherer Umgebung und nicht nach schwindelnd hohen Wolkenkratzern. Wieder unten, auf festem Boden, stößt der Betrachter auf zwei riesige Betonträger, die sich ihm in den Weg stellen. So dick und hoch wie die Berliner Mauer sind sie, balancieren aber wie Seiltänzer horizontal auf einer Stahlfeder. Ja, das Schwere muss leicht werden!

Architektur kann so gar nichts mit Gebautem zu tun haben. Die Projekte „Cloudscapes“ und „Balancing Act“ der Architekten Transsolar & Tetsuo Kondo aus Japan und Anton García Abril & Ensamble Studio (Madrid) bilden mit fast 50 anderen Raum- und Videoinstallationen die Schlüssel für das diesjährige Konzept der Architekturbiennale in Venedig, die am Sonntag begann.

Mit dem Kunstgriff des Abstrakten, der Performance und der Raumskulptur führt die diesjährige Kuratorin, die Japanerin Kazuyo Sejima, Aussteller und Besucher an das ausgegebene Motto „People meet in Architecture“ auf der 12. Mostra Internationale di Architettura heran. In einer Abfolge von 18 Themenräumen in der 300 Meter langen Riesenhalle des Arsenale wird diese „Begegnung mit Architektur“ von Architekten und mehrheitlich Künstlern – darunter Amateur Architecture Studio (Russland), Hans-Ulrich Obrist (Zürich), Janet Cardiff (Kanada) oder Olafur Eliasson (Kopenhagen) – auf sehr kunstvolle Weise, fast documenta-artig inszeniert. Es geht, sagt die Kuratorin, um eine allgemeinere Auseinandersetzung mit den elementaren Fragen in der Architektur: um Raum, Öffentlichkeit, neue Materialien, Qualität, Kommunikation in der Stadt des 21. Jahrhunderts, Gemeinschaft und Freiheit versus Überwachung, Gefühl, unsere Sinne.

Dass dies die Kritik am derzeit Gebauten – den Stadtschlössern, Investorenarchitekturen, Verkehrsstraßen oder chinesischen Megastädten – einschließt, ist evident. Fast scheint es, dass man in Venedig vorsichtiger geworden ist gegenüber dem eigenen aktuellen Tun.

Es hat solche Momente des sogenannten Unarchitektonischen auf den Architekturbiennalen in Venedig schon immer gegeben. Zum Image der alle zwei Jahre stattfindenden Mammutschau in der Lagunenstadt gehört es, Architektur nicht nur als Modell, feste Form, Haus oder Stadt, sondern ebenso als kunstvolles Raumerlebnis, Environment oder Vision zu präsentieren. Herausgekommen war allerdings meist ein konzeptionsloses Sammelsurium mitten im morbiden Venedig. Hauptsache, es war schrill und big. Durchsichtig war, dass dies meist nur schickes Beiwerk war, mit dem die Großen der Branche die Innovations- und Zukunftsfähigkeit der Architektur unter Beweis zu stellen suchten. Als wirklich schlecht dabei hat sich erwiesen, dass es Massimiliano Fuksas, Kurt W. Forster und zuletzt Aron Betsky als Kuratoren der Jahre 2000 bis 2008 nie gelungen ist, für die künstlerischen Ausflüge von Coop Himmelblau bis Zaha Hadid ein Konzept zu entwickeln. Beliebigkeit und Langeweile machten sich am Lido breit.

Anders jetzt bei Sejima, die hierauf das Brennglas in der Hauptschau im Arsenale richtet. Es war ein kluger Zug der nicht gerade als progressiv geltenden italienischen Biennale-Leitung, sich für die 54 Jahre alte Japanerin entschieden zu haben. Sejima ist zwar ein Weltstar seit ihrer Auszeichnung mit dem Pritzker-Preis und dem großen Wurf für das Learning Center der Universität von Lausanne (2010), das sie wie eine flache helle Welle in den Campus stellte. Aber erstmals in der Geschichte Venedigs erhielt eine Frau den Job, das Arsenale, in dem einst die Schiffstaue der venezianischen Flotte geknüpft wurden, und den Biennale-Pavillon im Giardini zu bespielen. Auch darum ist nur noch wenig von der sonst so männlich geprägten Architekturleistungsschau der Fosters, Rogers, Libeskinds, Tchobans und Nouvels samt ihren megalomanen Hochhausprojekten oder Ground-Zero-Chiffren zu sehen. „Mit der Wahl von Kazuyo Sejima versprach diese Biennale endgültig aus einer von Europa geprägten Perspektive auszubrechen“, merkte zu Recht der Architekturhistoriker Kaye Geipel an. Mit der Japanerin halten neue Perspektiven und Denkweisen Einzug in Venedig. Das spürt man: Tokio ist Venedig näher als Berlin, Mailand, Paris oder Moskau.

Dass es der Japanerin gelungen ist, das Motto treffsicher abzubilden – beziehungsweise von den Teilnehmern umsetzen zu lassen –, ist keine Selbstverständlichkeit. „People meet in Architecture“ kann alles meinen. Architekturstars blieben, bis auf Rem Koolhaas, Renzo Piano und wenige andere, außen vor. Nicht die zweite Reihe, aber doch jüngere Teams wurden eingeladen. Die Bilder-, ja Szenenfolge unterschiedlichster Motive von Architektur- und Raumerfahrung in der Arsenale-Halle barg viele Risken, ist doch immer ein schwaches Glied in der Kette dabei. Wim Wenders 3-D-Werbefilmchen über die Lausanner Universität oder Walter Niedermeyers naive Fotoprospekte über den belebten Stadtplatz im iranischen Isfahan, wo angeblich alles noch so unkommerziell und öffentlich daherkommt, fallen aus der Auswahl heraus.

Im Kern kommt die Hauptschau der Biennale zu einer ebenso simplen wie sympathischen Aussage, welche die Architekten dazu aufruft, sich wieder mehr dem Wesentlichen im Bauen zu öffnen. Denn Architektur, das ist nicht allein Fassade, ein rekonstruiertes Schloss, die Postmoderne, der politische Anspruch, die schiere Größe und Millionenstadtplanung. Nein, Architektur ist auch sozial, gestaltet Orte der Begegnung. Die Zukunftsfragen und damit -architekturen sind schlicht: Wie sehen harmonische Räume und Stadtlandschaften aus? Was definiert diese? Was ist bequem, wo und wie kommunizieren wir besser? Welche Lebensformen verlangen transparente Architekturen? Was muss Mobilität in der Stadt von morgen leisten?

Am besten illustrieren das Thomas Demand, der einen kleinen abgerissenen China-Imbiss wieder aufbaut und als einen Ort der Gemeinsamkeit inszeniert, und der anfangs erwähnte García-Abril, der die Betonschwere überwindet. Ähnliches leisten Smiljan Radics „Rooms“ aus leichten fernöstlichen Holzwänden, die man am liebsten sofort mit Freunden beziehen möchte.

Denn allein, mahnt Radics Objekt am Beginn der Ausstellung programmatisch, sollte man nicht wohnen. „Diese Auswahl kann dazu beitragen, dass Menschen sich wieder mit Architektur identifizieren können, dass Architektur sich den Menschen zuwendet und sich diese darin mehr selbst erkennen“, schreibt Sejima im Katalog. Das Resultat der Reflexion durch Architektur und der Begegnung mit ihr ist weder der bessere Mensch noch die bessere Gesellschaft von Le Corbusier, sondern ein besseres Alltagsleben, die Gemeinschaft, der Treffpunkt. Wie banal, könnte man meinen.

Mit Sejima verspricht diese Biennale aus einer von Europa geprägten Perspektive auszubrechen

Natürlich kann der Paradigmenwechsel, den Sejima der Biennale verordnet hat, nicht ganz Venedig erfassen. Das wäre auch eine Architekturbiennale quasi auf den Kopf gestellt. Schon im zweiten Schauhaus, dem Biennale-Pavillon und in den 29 Länder-Pavillons in den Giardini, rücken neben den Installationen von Demand und Rem Koolhaas, der die massiven Eingriffe in Städte durch Abrisse fotografisch thematisiert, wieder die neuen Modelle und Bauten der global agierenden Architektenzunft in den Vordergrund.

Richtige Materialschlachten gibt es da zu sehen: Der österreichische Pavillon zeigt so ziemlich alles, was in den vergangenen 20 Jahren an Gewaltigem in der Alpenrepublik errichtet wurde. Auf großen Transparenten werden hier die neuen Museen, Sportstätten, Banken, Büros oder Theater und viel verarbeiteter Beton präsentiert.

Kaum weniger aufdringlich reiht sich Frankreich in die Schau ein. Nach Mitterrand ist nun Nicolas Sarkozy mit seinen „Grand Projets“ für Paris, Bordeaux oder Nantes an der Reihe. Und willig zeigt die Crème de la Crème der französischen Architektur, was sie dafür so zu bieten hat. Jean Nouvel verpasst Paris neue Stadtentwicklungsgebiete und ein Verkehrssystem für 2030 und Christian de Portzamparc gleich mehrere Hochhauscluster. Schließlich zeigt man mal wieder, dass auch Brasilien bauen kann: Dort darf der 102 Jahre alte Architekt Oscar Niemeyer sein vor 50 Jahre gebautes Brasilia noch einmal vorstellen.

Da ist es sympathisch, dass renommierte Architekturnationen wie die USA, Holland oder auch Deutschland abrüsten. Im amerikanischen Pavillon werden unter dem Titel „Workshops“ Zukunftswerkstätten präsentiert, die sich unter anderem mit dem Küstenschutz in New Orleans und im Golf beschäftigen. Leider ist von der aktuellen Ölkatastrophe nichts zu sehen. Holland kann noch lachen und stellt alle seine leerstehenden Häuser en miniature aus.

Und der deutsche Pavillon, um den vor der Biennale die Abrissbirne kreiste, weil die Nazi-Frontseite wirklich obszön daherkommt, muskelt deutsches Bauen zwar nicht auf, verfängt sich aber trotzdem in deutscher Vergangenheitsbewältigung. Denn das Münchner Büro Walverwandtschaften, das das Haus mit roten Sesseln, Spiegelkabinetten und dicken Vorhängen ausstattete, steigerte das Wuchtige der Architektur. Als auch noch die Kuratorin Cordula Rau einen Katalogbeitrag von Andreas Neumeister kippte, der sich mit der NS-Zeit beschäftigt (s. a. taz vom 26. 8.), schüttelten einige den Kopf. Für „Sehnsucht“, das Thema des Pavillons, illustrieren 180 kleine Architektenskizzen nun den „Roten Salon“. Und wenn man alle gesehen hat, weiß man, wovon deutsche Architekten sehnsüchtig träumen: Von Schinkel, Frauen, Luftballons. Man weiß aber auch, was sie besser niemals bauen sollten.

■ Bis 21. November 2010. Infos: www.labiennale.org