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Archiv-Artikel

Alfred lässt das Klassentreffen platzen

Auch wenn sie wimmeln vor C64-, MAD-, New-Wave- und Disney-Referenzen: Andreas Diefenbachs Gemälde und Collagen in der Galerie Nagel verhackstücken die Zeichen einer Jugend in den Eighties so, dass zum Glück der Sinn flöten geht. Eine Generationenumarmung à la Illies sieht anders aus

VON KITO NEDO

„Rektoskopie im Land der Geeichten und des Stumpfsinns“. Diese schöne Wortfolge hat der Frankfurter Maler Andreas Diefenbach seiner ersten Berliner Einzelschau verpasst. Eine Rektoskopie ist eine relativ schmerzfreie, dennoch tiefgehende Untersuchung des Enddarms. Unangenehm! Dankswerterweise verzichtet der 1973 in Wiesbaden geborene Diefenbach auf weitere Details in dieser Richtung.

Der Titel und das mit ihm assoziierte Gefühl einer unwillkommenen Inspektion genügen völlig. Statt medizinischer Geräte und unappetitlicher Innereien sieht man bei Nagel ein knappes Dutzend Gemälde und einige Collagen, die offensichtlich mehr mit dem zweiten Teil des Ausstellungstitels zu tun haben, dem „Land der Geeichten und des Stumpfsinns“.

Gleich von zwei Leinwänden grient dem Besucher das ikonische Antlitz von Alfred E. Neumann, dem „Idiot Boy“ aus dem MAD-Magazin entgegen. Einmal als eine Art Flaschengeist, der gerade im Begriff scheint, sich aus einer weißen Nebelwolke zu materialisieren („Eure Theorien machen keinen Sinn für mich“), ein andermal als schwebender Torso mit einem farbschrillen Pullover, umtanzt von spitzen New-Wave-Dreiecken, im Nacken einen Totenkopf („Abstraktor der Quintessenz“). „Die MAD-Hefte haben mich sehr geprägt“, sagt Diefenbach, „die kamen sogar noch vor dem Tempo-Magazin.“

Ist es nicht der bübische Neumann, dann bevölkern vor allem seltsame Zwitterwesen die aktuellen Gemälde des Künstlers, der Anfang der 2000er-Jahre bei Michael Krebber an der Frankfurter Städelschule freie Malerei studierte. Im Bild „Gestatten Hecht, Aszendent Lamm“ scheint ein Hundekopf mit einem Anzug tragenden menschlichen Körper verwachsen, nebenan pfropft Diefenbach ein Straußenhaupt auf einen weiblichen Unterleib auf Stöckelschuhen. All dies ist umwuselt von Karo-Mustern, schmutzigen Farbflächen, schematischen Umrissen, die weiteres Bildpersonal versprechen, letzten Endes aber doch nur unterschwellig das Dechiffrierbegehren der Betrachter kitzeln.

Diese Bilder einzuordnen, fällt schwer. Ganz sicher gehören sie aber nicht zu den eindimensionalen, figurativen Produkten des Malerei-Mainstreams, der in den letzten Jahren sein kitschiges Haupt erhoben hat. Ganz im Gegenteil, hier herrscht eine Mischung aus Verwirrung, Komplexität, Schabernack und Hermetik vor, die schwindelig macht. Diefenbach, der in der Tradition von Kippenberger, Majerus oder Oehlen operiert, ist zugleich Zerstörer und Collageur. Er sammelt Körperteile und visuelle Referenzen genauso wie ulkige Fremdwörter und Redewendungen: Die einen kommen in die Bilder, die anderen in den Titel. Eine schlüssige Geschichte zu erzählen, daran scheint der Künstler nicht interessiert.

Da schälen sich aus zwei schönen, plumpen Vasarely-Adaptionen keine geometrischen Objekte hervor, sondern Tierphysiognomien. Man kann sich stellen wie man will: Tiere sehen dich an („Der neue Mensch 1 und 2“). Auf der vierteiligen Serie „Paradroids“ – der Name eines Computerspiels aus den frühen Achtzigern – schließlich morphen Gesichter von Disneyfiguren ineinander.

MAD-, Disney- und C64-Referenzen – ist Diefenbach ein malender Florian Illies? Er bestreitet das vehement: „Es geht nicht um die malerische Verarbeitung einer Achtzigerjahre-Jugend. Der Titel der Bilder macht klar, worum es geht.“

Was für den Künstler Bedeutung schafft, kann aber beim Betrachter auch im Filmriss enden. Bilder und Titel scheinen auf zwei Schienen zu laufen, die nie parallel geführt werden. Das Bähnchen Signifikanz zumindest fährt auf ihnen nicht. Jeder Titel könnte zu fast jedem Bild passen – jeder flache Witz zu jedem Kunstgebirge aus total verbrauchten Medienzeichen. Und so schaffen es Diefenbachs Gemälde mit ihren verstümmelten Zeichen, keine „Wir“-Erzählung zu schreiben und keine retroselige Generationsgemeinschaft zu beschwören. Die Organisation solcherart Klassentreffen überlässt Diefenbach im Land der Geeichten und des Stumpfsinns gern anderen.

bis 2. 9., Galerie Christian Nagel, Weydingerstr. 2–4, Di.–Sa. 11–19 Uhr