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Archiv-Artikel

Anarchist der Töne

Die Gruppe Can revolutionierte Anfang der 70er Jahre die Rockmusik. Ausgangspunkt war ein ehemaliges Kino im rheinischen Weilerswist. Der frühere Can-Bassist Holger Czukay pflegt das musikalische Erbe – im historischen Studio

AUS WEILERSWIST HOLGER PAULER

Weilerswist ist ein ödes Kaff. 30 Kilometer südwestlich von Köln. Kein Ort für die Ewigkeit. Hoffentlich. Die meisten benutzen die Hauptstraße zur Durchreise – so auch einst Napoleon auf dem Weg nach Moskau. Bauernhöfe, Kneipen, Einfamilienhäuser im 60er-Jahre-Stil. Niemand käme auf die Idee, dass Weilerswist vor mehr als 30 Jahren als Unterschlupf für Revolutionäre diente – musikalische Anarchisten, die Deutschland vor allem aber England, Frankreich veränderten und mit Verspätung jetzt auch die USA. Die Band Can, neben Kraftwerk wohl die einflussreichste Band der BRD, richtete hier 1971 in einem ehemaligen Kino ihr Studio ein.

Die kleine Einfahrt ist kaum breit genug für einen Mittelklassewagen. Im Hinterhof warten drei Eingänge. „Hallo“, sagt ein alter Mann. Er grinst. Die wenigen grauen Haare stehen wild ab, der Schnurbart ist nach unten gezwirbelt. Holger Czukay, ehemaliger Bassist und Mastermind von Can lebt hier. Das provisorische Schild am Briefkasten ist vergilbt, „bewusst unleserlich“ gehalten. „Der Briefträger allein soll wissen, was sich dahinter verbirgt.“

Es ist das Studio. 20 Meter lang, zehn Meter breit und sechs Meter hoch. Die Wände sind mit hellen Tüchern und Vorhängen geschmückt. Das Licht ist gedimmt. In der Mitte steht ein mittlerweile unbezahlbares altes Mikro – das musische Zentrum des Studios. Alles andere ist herumgebaut. Sofas, Geräte, Scheinwerfer. „Ich vergleiche das Studio mit einer amerikanischen Bar“, sagt Czukay. „Ich bin der Barkeeper im Zentrum und somit für die Stimmung an der Theke verantwortlich.“

Schon zu Can-Zeiten hat er als Tonkutscher in der Mitte gestanden und der Rest sich um ihn herum versammelt. „Es gibt keine räumliche Trennung, keine Glasscheiben, alles ist in einem Raum.“ Am Ende des Studios steht die Hardware: Computer, Mischpulte, Bildschirme, Bandmaschinen, CD-Player, Keyboards, Bass und Gitarre. „Ich versuche alles mit einzubeziehen. Alte Instrumente und neue Musik.“ Peter Gabriel hat sich die „Studio-Landschaft“ zum Vorbild genommen. Andere Musiker wollen das Studio nutzen. Doch Czukay arbeitet lieber online. Die CD „Linear City“ von 2001 ist ein Produkt der Internet-Kollaboration mit verschiedenen Klangtüftlern. Blur-Sänger Damon Albarn hat auf Czukays Vorschlag die virtuelle Band Gorillaz gegründet.

Dass Czukay das Studio heute noch belebt, ist seiner musikalischen und künstlerischen Partnerin U-She zu verdanken. Das alte Can-Studio wurde vor drei Jahren im Rock‘n‘Popmuseum Gronau im kleinem Maßstab wieder aufgebaut. 1.500 schwere Seegrasmatratzen vom Militär, die an Wänden und Decke zur Schalldämmung dienten, wurden entsorgt. „Es war schon sehr düster“, sagt Czukay. Als der Krempel raus war, schien das Gebäude keine musikalische Zukunft mehr zu haben. Sylvester 2003 habe U-She ihn dann aufgefordert: „Hol‘ dir das Studio zurück.“ Back to the roots.

Damals, 1938, als Holger Czukay in Danzig zur Welt kam, gab es keinen Rock‘N‘Roll. „Erste musikalische Kindheitserinnerung ist die Kirchenmusik, sind die Choräle und Fugen. Bach und Händel.“ Noch Jahre später bei Can habe ihm der vor drei Jahren verstorbene Gitarrist Michael Karoli am Ende der zahlreichen Einspielungen gesagt: „Holger, egal was du spielst, ob Punk oder Can, du endest immer wieder bei der Kirchenmusik.“ Eine weitere Erinnerung: Mozarts kleine Nachtmusik – empfangen über die Goebbelsschnauze. Das Krächzen blieb hängen. Mozart auch.

Anfang 1962 war Holger Czukay in Berlin. Kontrapunkt lernte er in der Musikhochschule, später Kontrabass im Stern‘schen Konservatorium beim Solobassisten der Berliner Philharmoniker. Bei der Vorstellung dort wurde er zu seinen Gründen befragt. „Ich sagte, dass das Mittagessen in der Hochschule eine Mark zehn kosten würde, aber hier vom Senat subventioniert nur fünf Pfennig – mit Nachschlag! Ich wurde aufgenommen.“ Er lacht. Bei dem Bassphilharmoniker hielt er es nicht lange aus. „Eines Tages unterbreitete mir mein Lehrer, dass ich als Bassist von den Geigern nichts zu erwarten hätte, lediglich die Blechbläser und Paukisten würden mich respektieren. Später fand ich heraus, dass es dabei vor allem um die Zusammensetzung der Skatrunden ging.“ Er grinst, lacht, kugelt sich, als hätte er die Geschichte gerade erst erlebt.

Nachdem er zur Kölner Musikhochschule wechseln wollte und bei der Aufnahmeprüfung „wegen fehlenden Talents“ durchgefallen war, stellte er sich dem Kölner Komponisten Karlheinz Stockhausen vor und beichtete hatte ihm alles. Czukays Stimme wird langsam, tief. Er imitiert seinen Meister im durchdringenden Brustton: „Ihre Geschichte klingt gut, ich nehm‘ Sie“. Fortan war er Teil der Studentengruppe, die die klassische Musik durcheinander wirbelte: Serielle, punktuelle und elektronische Musik. Und das alles im großen Köln, der bedeutendsten Musikmetropole der Welt zu jener Zeit. „Stockhausen war eine wahre Inspiration, letztendlich war es aber eine kleine Anekdote, die mein Leben nachhaltig beeinflusste“, sagt Czukay. 1959, als er noch die Schulbank drückte, bekam Czukay bei einem Konzert im Duisburger Konservatorium mit, dass sein Lehrer von einem Musikkollegen arg kritisch angegangen wurde. „Sie wollen mit Ihren Spielereien doch nur Geld machen, die Musik interessiert Sie ja gar nicht.“ Der alte Picasso-Vorwurf: Male irgendwas und setze deinen Namen darunter, schon ist es Millionen wert. Stockhausen habe darauf geantwortet: „Ich mache das nur aus musikalischen Gründen, Geld habe ich nicht nötig, ich habe eine reiche Frau geheiratet.“ Czukay brauchte für seine Zukunft jetzt nur noch eine Frau mit Geld.

Auf Anraten eines Freundes ging er in die Südschweiz, nach Montreux. Dort seien die reichen Frauen zu Hause: Königinnentöchter, Adelsdamen, die ganze Palette. Nach nur bedingt erfolgreichem Werben um die Gunst der mondänen Damen landete Czukay in der Ostschweiz, in St. Gallen. Im Internat am Rosenberg. Er erzählte dem Institutsleiter seine Vorgeschichte. Stockhausen, Berlin, das klang toll. Nur Zeugnisse konnte er keine vorweisen. Zur Probe sollte er eine Stunde leiten: „Ich bin aber sehr teuer“, sagte er warnend. Egal. Czukay nahm den Schülern – darunter der spätere Can-Gitarrist Michael Karoli – kurz eine Beethoven Symphonie auseinander. Sie waren begeistert. Karoli machte Czukay mit der Beat- und Rockmusik bekannt. Im Club der Stadt tauchten auch die ersten Bands auf, unter ihnen Ashton, Gardner & Dyke. Man traf sich zur Jam-Session in einer Scheune. „Von da an wollte ich Beethoven in die Sprache von heute übersetzen.“

Stockhausen-Absolvent Irmin Schmidt sorgte seinerseits für eine Initialzündung, indem er Czukay einen Brief schrieb mit dem Vorschlag, eine Band gründen zu wollen, bei der es keine musikalischen Grenzen geben sollte. Karoli und der Jazzschlagzeuger Jaki Liebezeit kamen hinzu, den Gesang besorgte zu Beginn Malcom Mooney, später löste Damo Suzuki den heimatfernen Amerikaner ab. Stockhausen wurde forthin verdammt – zumindest musikalisch. „Es herrschte Anarchie, wir mussten alles zerstören, was wir gelernt hatten, um etwas neues aufbauen zu können“, sagt Czukay. Stockhausen hatte es geahnt. Der Meister sagte zu einem seiner Kollegen damals: „Der wird einen ganz anderen Weg einschlagen als wir.“ Die Absolventen, die bei Stockhausen blieben, konnten sich nicht wirklich von ihrem Lehrer und den Konventionen lösen. Sie wurden von den allmächtigen Apparaten der Medienanstalten oder der Musikhochschule geschluckt.

Mit Karl-Heinz Stockhausen hatte sich Czukay schnell wieder wieder versöhnt. Nur als Stockhausen vor einigen Jahren im „Blind Test“ der Zeit Stücke aus der so genannten Krautrock-Ära – darunter Faust, Popul Vuh und eben auch Can – vorgesetzt bekam, sagte er später zu Czukay: „Holger, das kannst Du doch viel besser.“ Über „Phallus Dei“ von Amon Düül II urteilte er: „Für Gottes Penis viel zu kurz.“ Can beeinflusste die Musik dennoch nachhaltig. Die Alben „Tago Mago“, „Monster Movie“ oder „Future Days“ wurden 2006 vom Londoner Mojo Magazine zu den All Time Classics gewählt. Bands und Musiker wie Sonic Youth, Public Image oder The Fall, der Postrock oder die elektronische Musik wären ohne Can kaum denkbar. Genauso wenig wie Can ohne Velvet Underground möglich gewesen wäre. „Die Velvets haben ihre Musik live wie Schweine gespielt“, sagt Czukay. „Sie haben absichtlich schräg, falsch, laut geklungen und das hat uns gut getan“.

Velvet Underground wird er nicht los: Holger Czukay spielt einen Track seiner noch unveröffentlichten CD mit Partnerin U-She ab. Ein langsamer, getragener Drum‘n‘Bass Rhythmus und darüber die tiefe Stimme von U-She. Die Frau mit dem langen, blonden, glatten Haar erinnert an Nico, die Chanteuse der Velvets, die Ex-Partnerin Alain Delons. Nico, die gebürtige Kölnerin, die in Andy Warhols Factory nie wirklich glücklich wurde und 1988 auf Ibiza starb. „U-She‘s Art sich musikalisch zu artikulieren, könnte man durchaus als Nico‘s Wiedergeburt ansehen“, sagt Holger und geht aus dem wiedergeborenen Can-Studio.