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Archiv-Artikel

Meldungen aus dem Welt-Rohstoffkrieg

Zwölf Nachrichten. Jede hat in der betroffenen Region oder weltweit für Aufsehen gesorgt. Hat Aktienkurse, Rohstoff- und Benzinpreise bestimmt. Hat Politiker auf den Plan gerufen, die neue Lagerstätten erschließen oder energieeffiziente Technologien fördern wollen. Was heute in Alaska, Nahost oder China geschieht, beeinflusst Europa und Amerika gleichermaßen. Längst tobt ein weltweiter Kampf um die Rohstoffe der Energieversorgung. Bis 2030 wird sich der Energieverbrauch der Welt um 50 Prozent erhöhen. Doch bereits jetzt erreicht die Produktion von Erdöl, dem meistgenutzten Energieträger, ihre Grenzen. Das Ende des Ölzeitalters ist in Sicht. Die großen Energieverbraucher USA, Europa und China streben weltweit nach einer Sicherung ihrer Rohstoffversorgung, nicht immer zum Nutzen der jeweiligen Bevölkerung, wie das Beispiel Nigeria zeigt. Der Druck steigt, auch in bislang unberührten Gebieten wie der Arktis nach Öl zu suchen. Die Macht der Lieferanten, zum Beispiel Russlands und Saudi-Arabiens, wächst. Doch auch bislang weniger einflussreiche Staaten wie Brasilien, Australien und Venezuela wissen um ihre zunehmende Bedeutung. Die taz wird sich in den kommenden acht Wochen jeweils am Donnerstag in einer Serie den Hintergründen und Folgen des wachsenden Energiehungers widmen und einige der nebenstehenden Brennpunkte genauer analysieren. Besonderes Augenmerk werden wir dabei im September auf Europa und Deutschland richten. Denn für Anfang Oktober hat die Bundesregierung zum zweiten Energiegipfel geladen. Dort wird es auch um die steigenden Strompreise gehen, die die Gewinne der Konzerne steigen lassen und den Verbraucher ärgern. Wir erklären, warum die politische Kontrolle bislang versagt hat, warum es in Zukunft möglicherweise besser werden könnte und warum das alles den Einwohnern im südbadischen Freiamt egal sein kann. Denn ihre Gemeinde erzeugt mit Wind, Wasser, Sonne und Biogas mehr Strom, als sie braucht.

Texte: Stephan Kosch, Rob Curran, Dominic Johnson

USA:

16. August 2006: Der Energiekonzern BP kündigt erneut die Schließung eines Ölfeldes in Alaska an, nachdem eine Ölpipeline wegen plötzlich ansteigenden Drucks beschädigt wurde. Bereits Anfang August hatte BP eine Ölpipeline in Alaska geschlossen, nachdem 73.000 Liter Öl ausgelaufen waren. Weil BP zunächst die gesamte Förderung auf dem betroffenen Ölfeld Prudhoe Bay einstellen wollte, drohte der Ausfall von 8 Prozent der US-Ölproduktion. Die Folgen: Die Ölpreise weltweit stiegen dramatisch an, Benzin an US-Tankstellen erreicht wieder Rekordpreise. Der Unfall wirft ein Schlaglicht auf die US-Energiewirtschaft, die rund 25 Prozent der weltweiten Ölförderung verbraucht. Das Land ist stärker abhängig von Öl- und Gasimporten den je, die heimische Ölproduktion ist rückläufig. Die Antwort der US-Regierung auf Energieknappheit, Preisanstieg und Versorgungskrisen: Mehr Öl aus heimischen Quellen fördern, mehr heimische Kohle verstromen, die Atomkraft ausbauen und die Produktion von Bioethanol aus Pflanzen verstärken. Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind kaum Thema. Viele Bundesstaaten fahren jedoch einen anderen Kurs: Mehr Klimaschutz, mehr alternative Energien, „grüne“ Energietechnologie. Dennoch wird geschätzt, dass die CO2-Emissionen der USA im Jahre 2030 um 50 Prozent höher sein werden als 1990.

Venezuela

29. Juli 2006: Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez wirbt im Iran für Investitionen bei der Erschließung von Gas- und Ölvorkommen in dem südamerikanischen Land. Venezuela ist der fünftgrößte Ölexporteur der Welt, Iran steht auf Platz vier. Nach seinem Besuch in Teheran drohte Chávez mit dem Stopp von Öllieferungen in die USA, falls die Vereinigten Staaten den Iran angreifen sollten. Im März hatte Chávez einen neuen juristischen Rahmen für die Erdölförderung durchgesetzt: 17 ausländische Firmen willigten ein, zusammen mit dem Staatsbetrieb PDVSA „gemischte Unternehmen“ zu bilden, die die Verträge aus der Privatisierungsära der Neunzigerjahre ablösen. Die neuen Abkommen, bei denen der Staat mindestens die Hälfte der Bruttoeinkommen einstreicht, bedeuten nach Regierungsangaben zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe. Anfang Mai verkündete auch Boliviens Präsident Evo Morales die Verstaatlichung der Ölindustrie seines Landes.

Brasilien

13. Juni 2006: Toyota, der zweitgrößte Automobilproduzent, der Welt entdeckt den brasilianischen Markt. Ab dem kommenden Frühjahr wollen die Japaner den dortigen Kunden ethanolbetriebene Autos anbieten. In Brasilien wird Benzin zu 25 Prozent mit Alkohol vermischt. Außerdem gibt es Fahrzeuge, die ausschließlich mit meist aus Zuckerrohr hergestelltem Alkohol betrieben werden. „Bioethanol“ ist ein Boomsektor in Brasilien. Noch 2006 will das Land dadurch von Ölimporten unabhängig werden. Bis 2010 sollen sich die Produktionskapazitäten von derzeit 18.000 Millionen Liter auf 25.000 Millionen Liter erhöhen. Weltweit wird dadurch Brasilien eine immer wichtigere Rolle spielen. Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva ist überzeugt, dass sich sein Land innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahrzehnte zur weltgrößten Energiemacht aufschwingen wird. Umweltschützer warnen allerdings vor massiven ökologischen Schäden durch die Ausweitung des Zuckerrohranbaus und der Ethanolproduktion.

Grönland:

Juli 2006: Grönland versteigert Bohrlizenzen an internationale Ölkonzerne. Dabei geht es um ein Meeresgebiet vor Nordwestgrönland, das fast ganzjährig mit Eis bedeckt ist. Das macht die Ölförderung schwierig und teuer. Doch durch den steigenden Ölpreis wird nun die Erschließung interessant. Zudem wird durch die Klimaerwärmung das Eis dünner. US-Geologen schätzen, dass mehr als ein Viertel aller verbliebenen weltweiten Ölreserven in arktischen Gebieten lagern. Allein im Meeresgebiet vor Nordgrönland sollen sich etwa 110 Milliarden Barrel befinden. Das würde etwa der Hälfte der Ölvorkommen in Saudi-Arabien entsprechen. Umweltschützer halten das Projekt für völlig unverantwortlich.

Nigeria:

15. 8. 2006: Nigerias Regierung kündigt Großoffensive gegen Rebellen in den Ölfördergebieten des Nigerflussdeltas an. Immer öfter geraten dort ausländische Mitarbeiter von Ölkonzernen in die Hände von Geiselnehmern, die damit inhaftierte Rebellenführer freipressen und Druck auf die Regierung ausüben wollen. Die Küste von Nigeria bis Angola ist die am schnellsten wachsende Ölförderregion der Welt; von derzeit 4,9 Millionen Barrel täglich soll die Gesamtförderung der Region bis 2010 auf 8,2 Millionen Barrel steigen, oder von 12 auf 20 Prozent der Weltproduktion. Nigeria ist ein Hauptlieferant der USA, Angola der wichtigste Lieferant Chinas. Die Ausweitung der Ölförderung wird mehr Investitionsgelder nach Afrika bringen als je zuvor in der Geschichte des Kontinents.

Die Europäische Union:

1. Juli 2006: Finnland übernimmt die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Staatspräsidentin Tarja Halonen kündigt an, dass die künftige Energieversorgung in den kommenden Monaten einen Schwerpunkt der EU-Arbeit bilden soll. Jeder sechste Liter des weltweit geförderten Öls wird in der Union verbraucht, die überwiegend in der Nordsee liegenden eigenen Vorkommen sind hingegen nahezu erschöpft. In den kommenden 20 Jahren wird daher die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten von derzeit 50 auf 70 bis 80 Prozent steigen. Die Gegenstrategie der Union: Eine stärkere Nutzung von erneuerbaren Energien und so genannten Biokraftstoffen aus Pflanzen. Zudem soll die Energieeffizienz gesteigert werden. Die 25 EU-Staaten haben eine Einsparung von mindestens neun Prozent ihres Energieverbrauchs bis zum Jahr 2017 beschlossen.

Südafrika:

21./22. Juni 2006: Der südafrikanische Petro-Chemie-Spezialist Sasol unterzeichnet zwei Abkommen mit dem chinesischen Shenua über den Bau von Fabriken zur Ölproduktion aus Kohle. Südafrika gilt als führende Nation bei der Verarbeitung von Kohle und Erdgas zu synthetischem Öl. Zudem ist das Land einer der größten Kohleexporteure der Welt und beliefert unter anderem die EU und Ostasien. Der größte Teil der Förderung wird aber noch immer innerhalb des Landes verbraucht. Laut US-Energieministerium deckt Südafrika seinen Energiebedarf zu 70 Prozent mit Kohle.

Sudan:

14. 8. 2006: Sudans Regierung verkündet die Aufnahme von Exporten aus dem zweiten großen Ölfeld im autonomen Südsudan, Thar Jath: Ab Ende August sollen damit Sudans Ölexporte auf 400.000 Barrel täglich steigen. Hauptabnehmer des sudanesischen Erdöls sind China und Japan; Firmen aus Malaysia, Indien und China dominieren die Ölförderung im Bürgerkriegsland. Mit den Einnahmen kann Sudans Regierung chinesische Waffen kaufen. Im Südsudan erhält die Autonomieregierung der einstigen SPLA-Rebellen die Hälfte der Öleinnahmen. Ölkonzessionen gibt es auch im weiterhin umkämpften Darfur, wo die Rebellen sich auch eine Beteiligung an den Ölgeldern erstreiten wollen.

Der Nahe Osten:

10. Juli 2006: Das Wall-Street-Journal berichtet über einen Feldversuch des US-Konzerns Chevron zur Ausbeutung der Schwerölvorkommen im Niemandsland zwischen Kuwait und Saudi-Arabien. In der Pilotanlage pumpt der US-Konzern Chevron heißen Dampf in die Erde. Die Hitze verflüssigt das schwere Öl so weit, dass es abgepumpt werden kann. Wenn das technisch anspruchsvolle Projekt Früchte trägt, kann Saudi-Arabien nach Angaben von Ölministers Ali Naimi über viele Milliarden Barrel Öl zusätzlich verfügen. Dabei verfügt die weltgrößte Ölfördernation bereits jetzt über 22 Prozent der verfügbaren Weltölreserven und liegt auch damit international an der Spitze. Auf Platz drei bis sechs folgen Iran, Irak, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Insgesamt liegen mehr als 60 Prozent aller gesicherten Erdölreserven in der politisch instabilen Golfregion. Manche Experten gehen davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis zum Beispiel der Iran Öl als eine Waffe im Konflikt mit den USA benutzen und so eine neue Ölkrise hervorrufen wird.

Russland:

1. August 2006. Ein Moskauer Gericht erklärt den russischen Ölkonzern Yukos für bankrott. Die Entscheidung ebnet den Weg für den staatlichen Konkurrenten Rosneft und die Regierung, die verbleibenden Vermögenswerte aufzuteilen. Die umstrittene Reprivatisierung von Yukos stärkt die Macht des Kremls im weltweiten Rohstoffpoker. Russland bedient bereits heute rund ein Viertel des europäischen Öl- und Gasbedarfs. Knapp ein Drittel der weltweiten Erdgasreserven liegen in Russland, hinzu kommen etwa 6 bis 7 Prozent der Weltölreserven. Auch China ist an Lieferungen aus Russland interessiert. Diese Macht setzt der Kreml ein. Im Januar stoppte Russland die Erdgaslieferungen in die Ukraine und sorgte so auch für Unruhe in Europa. Der Chef des italienischen Ölkonzerns Eni hat bereits Befürchtungen geäußert, dass Russland und Algerien ein Gaskartell ähnlich dem der erdölproduzierenden Staaten (Opec) formieren könnten.

China

20. Juli 2006: China gibt bekannt, dass es in diesem Jahr seine Energiesparziele nicht einhalten wird. Das bevölkerungsreichste Land der Welt wollte 2006 seinen Energieverbrauch eigentlich um vier Prozent senken. Dies sei nicht mehr zu schaffen, weil das Wirtschaftswachstum mit einem Plus von 10,9 Prozent im ersten Halbjahr weit stärker als erwartet ausgefallen sei, sagte der Direktor des nationalen Energieeffizienz-Zentrums, Yu Cong. China verbrauchte im vergangenen Jahr etwa 8,5 Prozent der weltweiten Ölproduktion. Die steigende Nachfrage in China und Indien treibt seit einigen Jahren den Ölpreis nach oben. Die chinesische Regierung will den Energiehunger des Landes aber auf verschiedenen Wegen stillen. Neben dem Energiesparprogramm und dem Ausbau der Atomenergie (siehe Australien) suchen staatliche Öl- und Gasfirmen weltweit nach Lieferanten, nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Angola. 2005 verbrauchte die gesamte asiatisch-pazifische Region rund 29 Prozent der weltweiten Ölproduktion bei einem gleichzeitigen Anteil an der Förderung in Höhe von 9,1 Prozent.

Australien:

6. Juni 2006. Australien will in die Atomstromproduktion einsteigen. Ministerpräsident John Howard beruft ein Expertenteam ein, das Empfehlungen für ein Programm zur Urananreicherung ausarbeiten soll. Australien ist der zweitgrößte Uranexporteur der Welt und hatte im April dieses Jahres mit China einen Grundsatzvertrag über Uranlieferungen unterzeichnet, die ab 2010 den Bedarf chinesischer Kernkraftwerke langfristig decken sollen. Australien selbst betreibt bislang lediglich einen kleinen Forschungsreaktor bei Sydney. Dabei liegen 40 Prozent der weltweiten Uranvorkommen in Australien. Und diese sind in den vergangenen fünf Jahren deutlich wertvoller geworden. In dieser Zeit stieg der Uranpreis um 400 Prozent.

Grafiktext: Die zehn größten Ölexporteure der Welt

Weitere Energieexporteure (Länder, die mehr Primärenergie produzieren als sie selbst verbrauchen)

Die zehn größten Ölimporteure der Welt

Quelle: US-Energieministerium, Juli 2006, www.eia.doe.gov

Grafik: taz/sf