: Missstände nicht verlängern
ENTWICKLUNG Der Kampf gegen die Armut darf nicht von Wohltätigkeit und Geberinteressen abhängen, sagt Medico-international-Chef Gebauer
■ leitet die NGO medico international. „Beyond Aid“ (Jenseits der Hilfe) war der Titel einer Konferenz in Frankfurt am vergangenen Wochenende, die von medico, der Rosa-Luxemburg- und der Heinrich-Böll-Stiftung sowie dem Institut für Sozialforschung an der Frankfurter Universität veranstaltet wurde.
INTERVIEW CHRISTIAN JAKOB
taz: Herr Gebauer, Ihre Konferenz zur Zukunft der Entwicklungshilfe am Wochenende hieß „Beyond Aid“. Andere Kritiker gehen da weiter: Sie sprechen von „Dead Aid“ und wollen Entwicklungshilfe gleich komplett abschaffen.
Thomas Gebauer: Auch eine perfekt organisierte Gesellschaft kann nicht auf Hilfe verzichten. Beistand wird immer notwendig sein. Die Frage lautet nicht: Hilfe ja oder nein, sondern welche Hilfe, in welchem Kontext und mit welchen Absichten.
Wie sollte die Hilfe denn aussehen?
Sie darf die Missstände, die sie nötig machen, nicht verlängern. Deshalb muss sie losgelöst sein von Geberinteressen, von Wohltätigkeit und freiwilligem Engagement. Wir sehen die Tendenz zur Privatisierung von Hilfe sehr kritisch. Bill Gates etwa ist der zweitgrößte Finanzier der Weltgesundheitsorganisation …
… und steht mit seinem Impfprogramm vielleicht kurz davor, Polio auszurotten.
Aber wenn er dazu morgen keine Lust mehr hat, kann er einfach so damit aufhören. Hilfe muss aber auf rechtliche Grundlagen gestellt werden.
Wollen Sie letztlich nur den Sozialstaat zurückzubringen?
Der Neoliberalismus hat das Risiko für sozialen Ausschluss dramatisch erhöht. Es geht deshalb um gesellschaftliche Verantwortung für soziale Sicherheit. Das muss nicht zwangsläufig der Zentralstaat sein. Vieles kann auf einer dezentralen Ebene laufen. Es gibt in Lateinamerika interessante Ansätze hierfür, etwa das „Commoning“ – die Gemeinschaftlichkeit von Gütern und Entscheidungen. Da wird gesellschaftliche Verantwortung viel stärker von unten konstituiert.
Von unten wird man nicht viel umverteilen können.
Natürlich kommt man nicht an der nationalen Ebene vorbei, wenn es um Umverteilung geht. Bildung und Gesundheit bedürfen solidarischer Finanzierung. Das lässt sich nicht auf kommunaler Ebene klären. Nehmen Sie den Länderfinanzausgleich: Hier wird das Solidarprinzip realisiert. Nach solchen Mustern sind andere globale Finanzierungssysteme vorstellbar, die frei sind von Geberinteressen.
Also doch: mit dem westlichen Umverteilungsstaat die Armut besiegen?
Ich bin weit davon entfernt, zu sagen: Alles, was der Westen gedacht hat, ist von Übel. Die Aufklärung, die Menschenrechte, vieles hat Wurzeln auch in Europa. Aber Menschenwürde und das Solidarprinzip sind keine Prinzipien des Westens. Das gibt es auch in außereuropäischen Gesellschaften. Sie stellen die Grundlage für einen globalen Gesellschaftsvertrag dar, der sich auch aus dem Denken der Gesellschaften Lateinamerikas, Asiens oder Afrikas speisen wird.
Vielleicht gibt es ja Grund zum Optimismus. Nächstes Jahr endet die Milleniums-Entwicklungsdekade der UN. Und in den Debatten über die sogenannte Post 2015-Agenda ist immer öfter von festgeschriebenen Rechten der Armen statt von Indikatoren für Entwicklung die Rede.
In den Debatten sind viele gute Elemente enthalten. Aber in den Regierungsverhandlungen werden sie dann wieder einkassiert.
Welche zum Beispiel?
Das Prinzip des Rechts auf Nichtdiskriminierung etwa dürfte verloren gehen. Länder wie Mexiko beispielsweise sagen, sie haben eine universelle soziale Absicherung. Alle Kranken können sich an öffentliche Einrichtungen wenden. Offen bleibt aber, welche Versorgung sie da bekommen. Der Post-2015-Prozess könnte auf Doppelstandards mit einer bloßen Minimalversorgung für Arme hinauslaufen – oder gar dazu benutzt werden, um Sozialstandards weiter abzusenken.
Im letzten Jahrzehnt sind im Süden de Erde hunderte Millionen Arme in die Mittelschicht aufgestiegen. Spricht das nicht für den eingeschlagenen Pfad?
Viele verdienen etwas mehr, trotzdem gibt es eine massive Verarmung. Denn die Menschen müssen für immer mehr selbst aufkommen.
Warum?
Weil der Staat sich zurückzieht, etwa aus dem Gesundheitssektor. Als Lösung wurden etwa Mikrokredite propagiert, die aber nur Millionen von Menschen in einen prekären Schuldenkreislauf gezogen haben. Ein Großteil der heute aufgenommenen Mikrokredite wird für Lebensmittel und medizinische Versorgung ausgegeben, deren Inanspruchnahme wieder an die individuelle Zahlungsfähigkeit gekoppelt wurde.
Wie wollen Sie diese Kopplung unter den gegebenen Verhältnissen aufheben?
Es wäre aberwitzig zu sagen, solange der Kapitalismus existiert, können wir die Hände in den Schoß legen. Es ist möglich, Veränderungen durchzusetzen. Nehmen Sie die Aids-Bewegung in Südafrika. Deren Aktivisten haben die Einrichtung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria erzwungen. Der ist mit Milliarden Dollar ausgestattet, überwiegend Spendengelder. Die Aktivisten, die auch auf unserer Konferenz waren, halten dies aber nur für einen Teilerfolg. Es geht letztlich auch hier um die Verrechtlichung der Versorgungsansprüche. Gleichzeitig ist natürlich richtig: Solange das Prinzip von Wachstum und Renditezwang anhält, bekommen wir Probleme.
Wachstum gilt in den Schwellen- und Entwicklungsländern als Versprechen zur Überwindung der Armut und ist deshalb überaus positiv besetzt. Kann – und darf – man dort für Konsumzurückhaltung werben?
Das ist das heikelste Thema überhaupt. Der Norden der Welt hat noch immer den größten ökologischen Fußabdruck. Von den Menschen im Süden zu verlangen, nicht zu wollen, was wir haben, ist illusionär. Andere globale Übereinkünfte wird es deshalb nur geben, wenn wir andere Vorstellungen von Leben entfalten. Das ist unsere Aufgabe. Wenn wir es nicht schaffen, auf globaler Ebene Verständigung über ein anderes Entwicklungsmodell zu schaffen, ist die Entwicklungshilfe permanent im Irren.
Setzen Sie nach dem Abgang von Minister Dirk Niebel Hoffnung in die deutsche Entwicklungspolitik?
Unter ihm gab es kaum Dialog. Sein Nachfolger Gerd Müller zeigt sich offener. Ich hoffe, dass es da eine Bereitschaft gibt, die Prinzipien der Entwicklungspolitik zu verändern.