ARNO FRANK ÜBER GERÄUSCHEEIN ABGESANG AUF DEN TYRANNOSAURUS REX UNTER DEN KLEIDUNGSSTÜCKEN : Wo sind all die Kutten hin?
Montag Martin Reichert Landmänner
Dienstag K.-P. Klingelschmitt Älter werden
Mittwoch Natalie Tenberg Habseligkeiten
Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei
Freitag David Denk Fernsehen
Die Kutte ist das rätselhafteste Kleidungsstück aller Zeiten, vergleichbar nur mit der Krawatte oder dem hochhackigen Damenschuh. Die klassische Kutte aus Jeans oder Leder hat weder Ärmel noch Kragen. Sie wärmt nicht, sie ziert nicht, sie hat auch keine Taschen, als wär’s das letzte Hemd. Getragen wird sie eigentlich nur dort, wo Männer sich mit paläolithischer Selbstverständlichkeit noch zu Rudeln zusammenschließen – also beim Fußballguckengehen, beim Motorradfahren und beim Metalhören. Die Kutte, das ist der Tyrannosaurus Rex unter den Anziehsachen: furchterregend robust, aber auch ein wenig einfältig.
Im Stadion und auf der Landstraße freilich ist sie hin und wieder noch anzutreffen. Man muss nur wie ein Ornithologe zur rechten Zeit am rechten Ort schön leise sein, viel Geduld und ein Fernglas mitbringen. Erst neulich überholte ich einen Pulk von Bandidos auf ihren Harleys, die, wie immer, brav hintereinander herknatterten wie eine fröhlich schnatternde Gänseschar auf dem Weg zum nächsten Ententeich. Als Bandidos erkannte ich sie nicht etwa an ihren quatschigen Zweirädern, sondern an den gelbroten „Bandidos“-Kutten.
Die Metal-Version dagegen hat sich offenbar irgendeine fiese subkulturelle Erkältung eingefangen und ist an mangelnder Coolness eingegangen. Die letzte aller dieser Kutten soll bei einem nächtlichen Dosenbier-Besäufnis am Lagerfeuer auf einem pfälzischen Waldspielplatz gesichtet worden und dann im nebligen Unterholz verschwunden sein. Niemand weiß, wohin. Womöglich zur ewigen Ruhe bei den Mottenkugeln im Schrank eines verlassenen Jugendzimmers.
Was seltsam ist, wo doch Jugendkulturen einander ständig unterpflügen, dabei aber angeblich selbst nie ganz verloren gehen können. Dabei gibt es ja durchaus noch echte Metal-Heads, nur tragen die offenbar keine Kutten mehr. Sogar beim einem Konzert von, beispielsweise, Mastodon werfen sich die Leute auf, vor und hinter der Bühne lieber in stumm-vorwurfsvolles Schwarz als in eine verplapperte Kutte. Schließlich war die klassische Kutte immer auch ein beredter Bekenntnispanzer, bis auf den letzten Quadratzentimeter tätowiert mit grellen „Vorsicht! Träger gefährlich!“-Zeichen der üblichen Dienstleister von Slayer, Metallica, Motörhead, Megadeth, Iron Maiden, Kreator bis hin zu, für die schwachen und zärtlichen Momente, AC/DC.
Wo wir gerade dabei sind: Guttenberg trug auch einmal ein AC/DC-T-Shirt. Stand ihm, wie eigentlich alles. Aber eine Kutte? Man muss schon sehr lange nachdenken, um auf einen Politiker zu kommen, der dieses Monstrum glaubwürdig auftragen könnte. Sehr, sehr lange. Und kommt dann auf den etwas einfältigen, aber auch furchterregend robusten: Kurt Beck.
Text: „You dare to tell me what to do / You have a lot of nerve / Watch your mouth or you might get / The dentist you deserve (Motörhead, „Love Can’t Buy You Money“) Musik: Sachtes Säuglingsschnarchen, gleichmäßige Portionen einer gerade angebrochenen Ewigkeit