: Wohlwollender Hegemon statt Zuchtmeister
EU In seinem neuen Buch „Wetten auf Europa“ setzt der Investor George Soros ganz auf Deutschland – als gutes Beispiel und europäisches Zugpferd
VON HANNES KOCH
Soros ist für Schulz. Der berühmte Investor rät, dass der Sozialdemokrat Martin Schulz Präsident der nächsten Europäischen Kommission werden möge. Nach der Wahl des Europaparlaments am 25. Mai könnte Schulz, ginge es nach George Soros, dann zum ersten richtigen Regierungschef Europas aufsteigen. So steht es im Buch „Wetten auf Europa“, einer gerade erschienenen Sammlung von Gesprächen zwischen dem US-Fondsmanager und Gregor Peter Schmitz, EU-Korrespondent des Spiegels in Brüssel. Zentraler Bestandteil sind vier lange Interviews, in denen es um den Sinn der Europäischen Union, die Finanzkrise und den Ausweg aus ihr geht.
Lesenswert ist beispielsweise die trickreiche Begründung, die Soros für seinen Personalvorschlag liefert. In den Augen vieler nichtdeutscher Europäer wäre Schulz’ Aufstieg zwar das sichtbarste Zeichen, dass „die EU offiziell eine deutsche Kolonie“ geworden ist. Um den „Frust“ darüber bei Italienern, Franzosen, Spaniern und Griechen jedoch nicht überkochen zu lassen, „müsste Berlin wohl seinen harten Sparkurs etwas abmildern“. Genau das wünscht Soros sich sehr. Seine wesentliche Botschaft lautet: Liebe Deutsche, bitte seid ein bisschen großzügiger und kümmert euch auch im eigenen Interesse etwas mehr darum, dass die Einigung Europas nicht wieder vor die Hunde geht.
Warum aber ist wichtig, was Soros, geboren 1930, aufschreibt? Ein guter Teil seines legendären Rufes basiert darauf, dass er 1992 mit dem Hedgefonds Quantum einen Gewinn von angeblich mehr als einer Milliarde Euro erzielte, indem er gegen das aus seiner Sicht überbewertete britische Pfund spekulierte. Sein Plan ging auf. Großbritannien schied aus dem Europäischen Währungssystem aus, und der Umtauschkurs des Pfundes sank stark. Im Buch fragt er: „Wer ist qualifizierter, das System zu kritisieren und möglicherweise zu verbessern, als jemand, der darin viel Erfolg hatte?“
Obwohl Soros oft brutal – auch gegen Europa – Kasse machte, wird er dennoch als proeuropäische moralische Instanz wahrgenommen. Der gebürtige Ungar mit jüdischen Wurzeln überlebte den Nationalsozialismus, siedelte später in die USA über und förderte die osteuropäische Demokratiebewegung mit viel Geld. Im Westen unterstützte seine Stiftung liberale und sogar linke Gruppen. Weil Soros den Irakkrieg für einen Fehler hielt, positionierte er sich öffentlich gegen den damaligen US-Präsidenten George Bush. Der Investor steckte Milliarden Dollar in die erneuerbaren Energien. Ebenso wenig scheute er sich Geld zu spenden, um eine Kampagne zur Legalisierung des Besitzes von Marihuana zu finanzieren.
Gemeinsame Regierung
Aus eigenem Erleben im Zweiten Weltkrieg weiß Soros, dass das friedliche und kooperative Zusammenleben auf dem Alten Kontinent einen ungeheuren zivilisatorischen Fortschritt darstellt. „Die europäische Einheit ist für ihn in der Menschheitsgeschichte dem Ideal einer offenen Gesellschaft am nächsten gekommen“, schreibt Schmitz. Die zentrifugalen Tendenzen in Euroland nach der Krise, der Aufstieg rechter Parteien und die Renationalisierung machen ihm große Sorgen. Soros plädiert stattdessen für eine engere politische und wirtschaftliche Union der EU-Länder, eine gemeinsame Regierung, die den Namen verdient, und ein europäisches Finanzbudget, das die Kommission handlungsfähig machen soll.
Dabei speist sich seine Europa-Begeisterung nicht nur aus der Vergangenheit: „Die Europäer müssen begreifen, dass sie mehr zusammenhalten müssen, um in einer globalisierten Welt bestehen zu können.“ Wegen des Wachstums von Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien werde bald vermutlich kein europäischer Staat mehr allein zu den größten Wirtschaftsnationen gehören, so Soros. Diese Rolle könne nur Europa spielen – und damit Einfluss wahren.
Diesen Rat gibt Soros vor allem den Deutschen. Wollten sie ihren Lebensstandard halten und nicht zu einem drittklassigen Ländchen unterhalb der chinesischen Wahrnehmungsgrenze herabsinken, seien sie auf ihre Einbindung in ein funktionierendes Europa angewiesen. Dann müssten sie aber auch ihre bisherige, oft durch ökonomischen Egoismus gegenüber den Krisenländern gekennzeichnete Politik ändern. Statt Sparpolitik empfiehlt Soros die Einführung gemeinsamer europäischer Staatsanleihen, mit deren Hilfe die Krisenländer ihren Aufschwung finanzieren könnten.
Deutsche Löhne erhöhen
Ähnlich wie US-Ökonom James Galbraith oder Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung regt Soros eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung für Euroland an. Außerdem müsse Deutschland Löhne, Sozialleistungen und Investitionen erhöhen, um die anderen Länder nicht mit zu billigen Exportprodukten in Grund und Boden zu konkurrieren. Vom Zuchtmeister, so wünscht der Investor, möge Deutschland „zum wohlwollenden Hegemon“ Europas mutieren.
Glücklicherweise ist Soros’ neues Buch optimistischer als sein vorangegangenes. Das fängt beim aktuellen Titel an: Schließlich heißt es „Wetten auf Europa“, und nicht „Wetten gegen Europa“. Letzterer Eindruck entstand beim Lesen von „Finanzchaos in Europa und den USA“, das 2012 erschien. Damals lautete das Postulat, die europäischen Institutionen inklusive der Zentralbank unternähmen nicht genug gegen die Krise, Europa drohe auseinanderzubrechen.
So weit ist es nicht gekommen. Staaten wie Griechenland und Spanien wurden stabilisiert. Sie blieben Mitglieder der Währungsunion, sie wurden nicht vor die Tür gesetzt, es sind keine Anti-Europa-Revolutionen ausgebrochen. Im Gegenteil: Einiges deutet darauf hin, dass es wieder aufwärts geht. So sinkt in Spanien die Arbeitslosigkeit, Griechenland hat einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet (unter Nichtberücksichtigung der Zinszahlungen), Portugal verließ den Rettungsschirm, die Exporte der Krisenländer nehmen zu. Wenn der Bankenstresstest im Herbst vorbei ist, werden vermutlich auch die Kreditinstitute wieder mehr Geld an die Unternehmen verleihen. Die Konjunktur in Euroland dürfte sich dann weiter erholen. Unter dem Strich: Das viel kritisierte Sanierungsprogramm ist für viele Menschen zwar brutal, aber es scheint erfolgreich zu sein.
Was Soros’ Irrtum betrifft: Zugutehalten muss man ihm, dass seine prognostischen Fähigkeiten Anfang 2012 nicht ausreichten, um Zentralbankchef Mario Draghis Ansage des Ankaufprogramms für Staatsanleihen vorauszusehen, mit der dieser die Eurokrise quasi im Alleingang beendete. Schön zu wissen, dass auch ein legendärer Zocker wie Soros danebenliegen kann.
■ Gregor Peter Schmitz, George Soros: „Wetten auf Europa. Warum Deutschland den Euro retten muss, um sich selbst zu retten“. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014, 192 Seiten, 19,99 Euro