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HOCHSCHULEN Die erste sächsische Absolventenstudie zeigt: Ostdeutsche Länder haben ein Problem, weil zu viel Qualifizierte abwandern

Die Abwanderung ist ein Risiko für die technologische Leistungsfähigkeit im Osten

DRESDEN taz | Wie stark Sachsen unter einem Braindrain leidet, offenbarte jüngst eine Absolventenstudie der Technischen Universität Dresden über die Abwanderung von Akademikern: Nur 57 Prozent arbeiten direkt nach dem Studium in Sachsen, obwohl 69 Prozent der Studierenden aus dem Bundesland selbst stammen. Ausschließlich in Sachsen um eine Arbeitsstelle beworben hatte sich sogar nur knapp ein Drittel. Das Ergebnis lässt sich auch auf die anderen ostdeutschen Flächenstaaten übertragen.

Allerdings sind die Studierenden mit ihren Hochschulen und ihren Studienbedingungen sehr zufrieden. Zudem sind ein Jahr nach Studienabschluss nur 4 Prozent der Akademiker arbeitslos, wobei nur ein Viertel der Studierenden das Studium in der Regelstudienzeit schafft.

Eine im Mai publizierte Untersuchung der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) in Hannover kam zu ähnlichen Ergebnissen. Danach stellt die Abwanderung der AbsolventInnen ein „hohes Risiko für die technologische Leistungsfähigkeit Ostdeutschlands“ dar.

Schon jeden fünften ostdeutschen Abiturienten zieht es zum Studium in die Regionen Süd oder Nord. In Gegenrichtung wechseln nur insgesamt 9 Prozent in den Osten. Ostdeutschland verliert so jährlich 4 Prozent der potenziellen Studienanfänger, etwa 2.400. Dennoch erreichte die Zahl der Studenten entgegen den Prognosen derzeit zum Teil Rekordwerte wie in Sachsen mit 109.000.

Bei den Absolventen ist der Aderlass in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern besonders stark. Insbesondere Sachsen gilt nach wie vor als die Ingenieurschmiede Deutschlands. Nur 60 Prozent der Absolventen waren aber nach fünf Jahren noch in der Region ihres Studienabschlusses beschäftigt. „Die Hochschulen in Ostdeutschland tragen damit in überdurchschnittlichem Maße zur Versorgung der westdeutschen Standorte mit den benötigten MINT-Fachkräften bei“, konstatiert das HIS. „MINT“ steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

„Auch wer weggeht, ist ein Türöffner“, kommentierte Sachsens Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer (parteilos) diesen Teil der Absolventenstudie. Als erfreulichen Aspekt wertete sie, dass deutlich mehr junge Frauen als Männer in Sachsen bleiben oder sich dort bewerben. Gegen protektionistische Schlussfolgerungen wandte sich Studienautor Andrä Wolter. „Hochschulen sind keine territorialstaatlichen Einrichtungen“, sagte er bei der Vorstellung.

Ursachen der Absolventenwanderung sind neben dem Arbeitsplatzangebot auch mentale Bindungen und die Attraktivität des Arbeitsorts. Gründe liefert auch eine Befragung des Leipziger LEIF-Instituts. Danach würde die Hälfte der unter 25-jährigen Ostdeutschen auswandern, wenn sie könnte. Im ostdeutschen Durchschnitt sagt das jeder Dritte – vor allem aus Frust über seine wirtschaftliche Situation. MICHAEL BARTSCH