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Bildschirmterror im Bahnhof

Innensenator will flächendeckende Videoüberwachung. Der CDU reicht das nicht. Sie fordert ein neues Sicherheitskonzept und mehr Personal auf den Bahnhöfen. Linkspartei warnt vor Hysterie

von PLUTONIA PLARRE

Nach dem Funden der Bombenkoffer in der Kölner Regionalbahn greift auch in Berlin die Angst um sich: Schon ein einsamer Rucksack hat gestern auf dem U-Bahnhof Onkels Toms Hütte in Zehlendorf für Aufregung gesorgt. Der Zugverkehr auf der Linie 3 wurde zwischen 8.18 und 8.55 Uhr unterbrochen. Die Röntgenuntersuchung durch Sprengstoffexperten des Landeskriminalamtes ergab, dass sich in dem verdächtigen Objekt Turnschuhe befanden.

„Der Terror hat uns erreicht“, warnte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und sprach sich nach der Festnahme des mutmaßlichen Kofferbombers in Kiel für eine flächendeckende Videoüberwachung auf den Berliner Bahnhöfen aus. Die Berliner Verkehrsbetriebe hatten bereits angekündigt, die Videoüberwachung auf das gesamte U-Bahn-Netz auszudehnen (die taz berichtete.) Die Aufnahmen von allen Bahnhöfen sollen 24 Stunden gespeichert und auf Anfrage an die Polizei weitergeleitet werden. Die Grünen und die Linkspartei warnen vor einer voreiligen Ausweitung. Videoüberwachung sei kein Allheilmittel, „Weder konnten die furchtbaren Anschläge in London verhindert werden, noch wirkte Videoüberwachung in Köln abschreckend“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Marion Seelig.

Der CDU geht das alles nicht weit genug. Sie verlangt den Einsatz von zusätzlichen Sicherheitskräften. Der Senat habe mit seinen „Kürzungsorgien“ die Deutsche Bahn unter Druck gesetzt und „weitgehend personalfreie Bahnhöfe“ geschaffen, so der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Alexander Kaczmarek. Auch der Betriebsrat der S-Bahn fordert den Senat auf, das Sicherheitskonzept für die Bahnhöfe angesichts der aktuellen Terrorbedrohung nochmals zu überprüfen. 56 von insgesamt 165 Bahnsteigen seien nicht mehr mit Personal besetzt. 2008 würden es nur noch 21 Bahnhöfe sein. „Wir brauchen auch mehr Streifen in den Zügen, die stadtauswärts fahren“, sagt der Betriebsratsvorsitzende der S-Bahn, Heiner Wegner.

Auch wenn der Alarm wegen des Rucksacks in Zehlendorf anderes vermuten lässt: Die Polizei hat in den letzten Wochen nur einen leichten Anstieg der Anzeigen wegen herrenloser Taschen und Koffer verzeichnet. Dass ein ernstzunehmender Verdacht besteht und die Sprengstoffexperten ausrücken müssen, „geschieht vielleicht ein- bis zweimal pro Woche“, sagt ein Polizeisprecher. Die Bevölkerung reagiere sensibler, aber nicht hysterisch.

An den objektiven Sicherheitsvorkehrungen sei seit den Anschlägen in London, Madrid und den USA nicht viel verändert worden, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. „Unsere Anlagen sind immer gut überwacht worden.“ Die Wirkung bei Fahrgästen und Bahnpersonal sei vielmehr mentaler Art. Früher habe man eine Fundsache nach einer Adresse durchforstet. „Heute käme niemand mehr auf die Idee, so ein Gepäckstück freiwillig anzufassen. Die Leute gehen gleich zur Notrufsäule.“

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