Verbotenes Grauen

KETTENSÄGENMASSAKER Der Film „The Texas Chainsaw Massacre“ von Tobe Hoopers steht in Deutschland seit 1985 auf dem Index. Um darüber zu diskutieren, durfte das Kino Filmkunst 66 ihn ausnahmsweise zeigen

„Der Film ‚Kettensägenmassaker‘ ist sicher kein Werk der Kunst“

VERBOTSURTEIL VON 1985

VON NINA SCHOLZ

Den Begriff Kettensägenmassaker haben wahrscheinlich selbst die schon einmal gehört, die mit Horrorfilmen gar nichts anfangen können. „The Texas Chainsaw Massacre“ ist eine Legende. Der Film wurde 1974 von Tobe Hooper gedreht, aber auch heute gibt es noch gute Gründe, sich den Film anzuschauen, denn er lieferte die Blaupause für ein Genre, das auf Variationen des immer Gleichen beruht: Er hat das Slashergenre nicht nur mitbegründet, er kreierte auch die motivischen Vorlagen, deren sich später bedient wurde.

In „The Texas Chainsaw Massacre“ landen fünf Hippies mit ihrem Bus in der Provinz und werden von einer Familie degenerierter Kannibalen massakriert. Lediglich Sally Hardesty (Marilyn Burns) kann dem Leatherface (Gunnar Hansen), einem der ikonischsten Killer der Filmgeschichte, entkommen. Seine Maske aus Menschenhaut ist mittlerweile fast so bekannt wie der Filmtitel selbst.

Die Stimmung von Tobe Hoopers Slasher ist auch heute noch bedrohlich, vor allem aber ist es spannend anzuschauen, wie er das erste Mal angelegt hat, was bis heute variiert, kopiert und modifiziert wird: der langsame Aufbau, der Einsatz von Maschinen und Werkzeugen gegen Menschen, das Spiel mit Ekel, Angst und Voyeurismus. Nicht zuletzt hat Hooper das Final Girl in die Filmgeschichte eingeführt: Sie überlebt als Einzige, blutverschmiert, weil sie sich im letzten Kampf als ebenbürtige Gegnerin des Killers herausstellt.

Das einzige Problem: Legal kann man all das in Deutschland nicht überprüfen, weil man den Film hierzulande weder erwerben noch vorführen oder ausleihen darf. Er wurde am 23. Dezember 1985 verboten, und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Am Samstag wurde im Filmkunst 66, einem kleinen Kino in Charlottenburg, jedoch eine Ausnahme gemacht. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union lud zu einer einmaligen Aufführung mit anschließender Expertendiskussion ein, um die Indizierung zu thematisieren.

Auslöser für die Debatte war das Bestreben der Verleihfirma Turbine, die Aufhebung des Verbots zu erreichen und eine ungeschnittene Edition zu veröffentlichen. René Bahns, Jurist an der Humboldt-Universität, erklärte, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften bei ihrer erneuten Sichtung zwar festgestellt habe, dass die Voraussetzungen für eine Folgeindizierung nicht mehr gegeben sind, dies aber keine Konsequenzen für eine Veröffentlichung habe. Um die Beschlüsse aus den 1980ern aufzuheben, müsste das Verfahren neu aufgerollt werden, das heißt: The Texas Chainsaw Massacre müsste erneut veröffentlicht werden, und das Risiko eines erneuten Verbotsverfahrens, das ziemlich teuer werden könnte, will niemand eingehen. So bleibt Tobe Hoopers Slash wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit verboten. Auch das Schlupfloch, ihn als Kunst zu deklarieren, ist nicht gegeben, steht doch im richterlichen Urteil: „Der Film ‚Kettensägenmassaker‘ ist sicher kein Werk der Kunst.“

Medienpublizist Dr. Stefan Höltgen erklärte nach der Filmvorführung im Filmkunst 66, welche Rollen in diesem Fall der Ermessensspielraum und die individuelle Interpretation spielen: In den Sichtungsdokumenten des Instituts der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) würde vor verschiedenen expliziten Szenen gewarnt, die im Film so aber gar nicht vorkommen. Durch geschickte Montagetechnik spielt das Kettensägenmassaker mit der Vorstellungskraft des Zuschauers. Der Film ist also weitaus weniger explizit als die Vorstellungskraft des Amtsrichters, der den Film damals protokolliert hat.

Dadurch, dass das Verbot von The Texas Chainsaw Massacre so lange zurückliegt, wird die Crux solcher Verbote besonders deutlich. Alte Fragen werden neu formuliert: Was ist überhaupt ein gefährlicher Film, und wer ist Fachmann genug, das einzuschätzen? Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen den Szenen im Film, die übrigens auf einer wahren Geschichte beruhen, und realer Gewalt? Die Geschichte des Verbots des Kettensägenmassakers in Deutschland zeigt, wie sehr Einschätzungen Kinder ihrer Zeit und dem jeweiligen Betrachter geschuldet sind. Und sie zeigt, wie absurd solche Verbote sein können.