„Die Politik verhält sich geradezu peinlich“

Arabistik-Professor Eckehard Schulz über Schäubles Vorschlag zur Internetüberwachung und Bin Laden an seiner Uni

Herr Prof. Schulz, Politiker wie Innenminister Wolfgang Schäuble verlangen jetzt mehr Überwachung des Internets – am besten durch sprachkundige Experten. Freut Sie das?

Eckehard Schulz: Nein!

Aber das sind doch viele neue Jobs für Ihre Absolventen.

Mir wäre es viel lieber, meine Absolventen könnten sich um die Beseitigung der Ursachen von Terrorismus kümmern, denn das lernen sie bei uns auch, nicht nur Arabisch, Persisch oder Indonesisch.

Könnten denn studierte Internetpolizisten alle umgangssprachlichen und regionalen Abweichungen vom modernen Hocharabisch überhaupt verstehen?

Das Internet funktioniert mehrheitlich über die allen Arabern gemeinsame Hochsprache. Dialekte sind wohl eher bei der Telefonüberwachung gefragt. Wir hatten am Institut mal acht Lektoren für Arabisch für alle Hauptdialekte, sechs sind nach der Wende dem Rotstift zum Opfer gefallen.

Wie umfangreich ist die Internetkommunikation der arabischen Welt?

Die Flut von offenen und versteckten Internetportalen ist so groß, dass ich da einigermaßen skeptisch bin. Es geht da nicht um dutzende, sondern um hunderte Portale, die jeden Tag tausende Seiten produzieren. Man müsste sicher erst mal kalkulieren, was davon überhaupt zu bewältigen ist, sonst sitzt man wieder vor einem Berg von Informationen, ohne dadurch handlungsfähiger zu werden.

Schon nach dem 11. September haben Polizei und Geheimdienste Arabisten eingestellt. Wie viele Ihrer Absolventen sind denn schon dort gelandet?

Sie hätten vor dem 11. 9. auf die Idee kommen sollen. Mit Zahlen kann ich nicht dienen, aber sicher sind es nicht wenige. Anti-Terror-Dateien mögen ja wichtig sein, aber es wird geradezu peinlich, wenn den Entscheidungsträgern in dieser Situation nichts anderes als so etwas einfällt. Man muss sich endlich mehr um die Ursachen für Terrorismus kümmern, sonst kommen wir in eine unendliche Spirale.

Wie bereiten Sie Ihre Studenten auf solche beruflichen Einsatzgebiete vor?

Wir machen erst einmal einen sehr praxisbezogenen Sprachunterricht. Das ist unsere Spezifik hier in Leipzig und dafür sind wir nicht nur in Deutschland bekannt.

Lassen Sie auch mal Bin-Laden-Videos übersetzen?

Ja, natürlich, aber nicht nur Bin Laden, sondern auch andere. Vor allem diskutieren wir dann auch, warum in den Medien oft nicht das steht, was einzelne Vertreter des politischen Islam wirklich gesagt haben.

Wissenschaftler wie Sie arbeiten seit Jahrzehnten daran, den Deutschen den Orient differenziert zu erklären. Sind Sie jetzt Teil einer Bewegung geworden, die Araber als Verbrecher fokussiert?

Nein, das glaube ich nicht, das wir schon Teil dieser Bewegung sind. Wir halten immer noch an dem Gedanken fest, dass es möglich sein muss, dass unterschiedliche Kulturen zumindest koexistieren können und müssen.

INTERVIEW: GEORG LÖWISCH