Lass die Sonne rein!

THEATER Das Stadttheater Bremerhaven erinnert an 100 Jahre Krieg. „Feldpost“ gelingt es allerdings nur mühsam, sein großes Thema in den dramaturgischen Griff zu bekommen

Eins haben Erster Weltkrieg und Afghanistan-Einsatz mindestens gemeinsam: dass dabei Menschen für Ziele starben, die nicht zwingend die ihren waren

VON ANDREAS SCHNELL

Zwar kein überraschender Vorbote, aber doch früh im Gedenkjahr kommt die „Feldpost“, die am Samstag vergangener Woche in Bremerhaven Uraufführung feierte: Der Beginn des Ersten Weltkriegs war schließlich erst im Sommer 1914, ein paar Wochen nachdem Ende Juni in Sarajevo Erzherzog Franz Ferdinand von einem serbischen Nationalisten ermordet wurde. Was natürlich nicht der Grund des Krieges war, über den es bekanntlich verschiedene Theorien gibt.

Für die interessiert sich die „Feldpost“ allerdings nicht. Stattdessen haben sich Regisseurin Agathe Chion und Dramaturg Lennart Naujoks individueller Zeugnisse aus dem Krieg angenommen, um so eine Spur ins Heute zu legen: Sie haben Briefe aus dem Feld, Briefe an die Front, Mitteilungen, die Daheimgebliebene untereinander austauschten, gesichtet, nicht nur aus dem Ersten Weltkrieg, auch aus dem Zweiten und aus der jüngsten Vergangenheit. Schließlich sind deutsche Soldaten heute wieder an internationalen Kampfeinsätzen beteiligt, die Krieg zu nennen seit einer Weile auch deutsche Politiker nicht mehr zurückscheuen.

Damit legt diese Stückentwicklung ihren Fokus auch auf eine zeitlosere Seite des Krieges. Denn eins haben Erster Weltkrieg und Afghanistan-Einsatz natürlich mindestens gemeinsam: dass dabei Menschen für höhere Ziele sterben und starben, die bei Gelegenheit zuvor feststellen konnten, dass sich diese Ziele mit den eigenen nicht notwendig decken. Dass sich die privaten Mitteilungen zum Thema aus den letzten hundert Jahren zwar im Ton, weniger aber in den Inhalten unterscheiden, ist eine Erkenntnis, die Chion und Naujoks herausarbeiten, dass ein militanter Hurra-Patriotismus derzeit nicht zum Zeitgeist passt, eine andere.

Dass das nicht unbedingt für einen zwingenden Theaterabend reicht, wäre dann eine dritte Erkenntnis. Um der gebrochenen Chronologie Herr zu werden, haben sich die beiden als Rahmenhandlung eine Radio-Show ausgedacht: „Das Neue Deutsche Radio – die Einsatz-Show“ blättert in etwas mehr als einer Stunde hundert Jahre Krieg auf – vor gedämmten Studiowänden, die sich per einfacher Drehung flugs in schwarzweiße Razzle-Dazzle-Optik verwandeln lassen, eine frühe Form der Tarnbemalung. Den ersten Teil bestreitet Martin Bensen, der als Gast das Ensemble verstärkt und aus Briefen seines Vaters vorliest, der als Soldat in Russland starb, berichtet, wie er sich auf die Suche nach dem Grab des Vaters machte, den er nie wirklich kennenlernte, und dabei auf die Nachkommen des einstigen Gegners traf, die ihm bei der Suche halfen. „Spasibo!“, ruft er ihnen am Ende zu.

Versöhnung – das ist wohl die zentrale Botschaft der „Feldpost“, die gleichwohl ein pessimistisches Fazit zieht: Am Ende nämlich landet das Stück in der Zukunft – wo ein Krieg zwischen dem Menschen und seinen Zellen tobt. Das Erinnern und Mahnen wird hier gleichsam zum Gegengift, unter diesen Voraussetzungen allerdings zu einem nur bedingt wirksamen. Immerhin ließe sich die bereits angedeutete Abwesenheit jeglicher Hurra-Stimmung beim Aufbruch in die militärischen Einsätze der Gegenwart als Folge der vergangenen Kriege lesen.

Davor geht es aber noch durch die großen und die kleineren Kriege der letzten hundert Jahre, strukturiert vom gut gelaunten „Neuen Deutschen Radio“, dessen Ausführende drei junge Leute in Uniform (Artur Spannagel und Amanda da Glória) bzw. extravagantem rotem Abendkleid (Jennifer Sabel) sind, die Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg zu äthiopischem Jazz verlesen, wobei immer wieder die Platte hängt, der Strom ausfällt – wider das Vergessen: Es ist schließlich Krieg.

Dessen Verwüstungen bedürfen unter anderem auch der seelsorgerischen Betreuung Hinterbliebener wie der moralischen Aufbauarbeit an denen, die um das Wohl ihrer Angehörigen da draußen bangen: „Lass die Angst ruhig zu, aber lass auch Sonne in dein Leben“, rät eine Stimme in einem Chatraum einer „Lisa232“, deren Freund in Afghanistan dient.

In diesem letzten Teil findet die alles in allem wenig stringent wirkende Inszenierung endlich einen Sog, gelingt es den Schauspielern, zwischen den Panikattacken eines heimgekehrten Soldaten, Videos aus dem Chatraum und Zitaten aus „Apocalypse Now“ einen Rhythmus zu finden. Das Publikum war am Ende ratlos, für das Regie-Team gab es gar ein verhaltenes Buh.

■ weitere Vorstellungen: Samstag, 8. März; Freitag, 14. März; Stadttheater Bremerhaven, Kleines Haus