Ich pin, wassich pin

Hässlich, dumpf und dadaistisch: Elzie Crisler Segars Comicfigur „Popeye“ war in den Dreißigern der Antiheld Amerikas. Der Mareverlag hat jetzt eine Auswahl der Strips veröffentlicht. In den USA wird auch die elfbändige Werkausgabe neu aufgelegt

von MARTIN ZEYN

„Wollen Kinder einen New Deal für ihre zweidimensionalen Helden? Muss sich der zarte Altruismus von Micky Maus dem ruppigen Individualismus von Popeye beugen?“ Diese Fragen stellte William deMille 1935 in der Zeitschrift The Forum. Er war beunruhigt angesichts des Erfolgs von „Thimble Theatre Staring Popeye“, dem Zeitungsstrip mit dem einäugigen Matrosen. DeMille sah die amerikanische Jugend in Gefahr und erklärte Popeye zu einem Vorbild für eine „Generation von Faschisten“.

Der Aufsatz ist ein Beleg für die ungeheure Popularität, die Popeye genoss. Zeitweise erschien der Strip in 600 Zeitungen. Hierzulande war die Figur als „Schiffskarl“ in den Fünfzigerjahren zuerst aufgetreten, von 1969 bis 1972 gab es sogar eine eigene Popeye-Heftserie. Der Marebuchverlag legt jetzt eine umfangreiche Auswahl von Segars Zeitungsstrips vor, in den USA erscheint im Herbst nach 16 Jahren endlich ein Reprint der elfbändigen Werkausgabe. Vor allem aber war dieser Held in den Dreißigern völlig neu: Er ließ seine Liebste für Schönere stehen, verlor beim Würfelspiel sein Geld, und schlimmstenfalls schlug er sogar Frauen nieder. „Popeye“ empörte und faszinierte Amerika.

Aber warum? Nicht wegen der Zeichentrickserie, die mit Stereotypen und Spinat als Steroiden-Ersatz arbeitet. Es sind die von Elzie Crisler Segar gezeichneten Comics, die bis heute Bewunderung hervorrufen. Popeye ist ein zutiefst hässlicher Seemann („Du siehst aus wie etwas, worein die Katze macht“) und ein Preisboxer, dessen Sprache jeglicher Grammatik Hohn spricht. Nicht gerade Eigenschaften, die einem populären Helden zugesprochen werden. Rick Marschall hat in der amerikanischen Werkausgabe auf die Nähe zum Vaudeville-Theater hingewiesen; tatsächlich gibt es in den Comics eine rüde Jahrmarktskomik.

Was jedoch den ganz speziellen Witz ausmacht, ist die Nähe Segars zum absurden Theater. In der Geschichte „Popeyes Arche“ wird der Seemann in einen Krieg gezwungen. Als Kriegsschiffe sein neu gegründetes „Spinachovia“ angreifen, zerlegt er diese mit einem Schraubenschlüssel in ihre Einzelteile. Der gegnerische Admiral versucht mit ihm vernünftig zu reden und plädiert für einen normalen Krieg: „Schieß doch zurück, wir haben nichts dagegen.“ Segars Humor, seine Figuren und seine Fähigkeit, Geschichten statt bloß Gags zu erzählen, sind einzigartig. Als Popeye mit gerade gewonnenem Geld eine „One-Way-Bank“ gründet, die Geld ohne Gegenleistung herausgibt, muss er sie schon bald wieder schließen, weil er einem armen, aber hübschen Mädchen genug Geld gibt, um sich einen schicken Pelzmantel zu kaufen.

Nachdem die Stimmen sich häuften, die einen schlechten Einfluss des Strips auf Kinder anmahnten, verlangte der Zeitungsmogul William Randolph Hearst trotz seiner Bewunderung für den Autor, Popeye doch etwas zivilisierter auftreten zu lassen. Segar führte daraufhin „Poopdeck Pappy“ ein: Er ist es, der im Rückblick das Kleinkind Popeye in einer fremden Stadt zum Einkaufen schickt, um dann einfach wegzufahren; und er kommentiert das Foto seines Sohnes, das auf dem Schrank steht, mit den Worten: „Ich habs hingestellt, um die Ratten zu verjagen.“ Renitenz gegen Anweisungen von oben zeichneten offenbar Held wie Schöpfer aus. So kann Popeyes Motto „I yam what I yam“ auch als Persiflage auf die berühmte Dornenbuschpassage aus dem Buch Exodus „Ich werde sein, der ich sein werde“ gelesen werden, womit Gott sich selbst charakterisiert. Ein harmloser Strip war „Thimble Theatre Staring Popeye“ nie.

Einen besonderen Charme haben die Zeichnungen Segars. Die frühen wirken noch etwas ungelenk, ab Mitte der Dreißiger aber erreichen sie eine Dynamik, die so noch nicht zu sehen war. Die Panels sind von den Figuren ausgefüllt, so als ob sie die Begrenzung durchbrechen wollen. In manchen der Boxszenen verwischen die speedlines die Körper, nur noch Bewegung ist zu sehen. Das hatte kein Geringerer als Marcel Duchamp vorgemacht.

Segar zeichnete das „Thimble Theatre“ von 1919 bis zu seinem frühen Tod 1938. Seit der Einführung von Popeye 1927 hatte er damit immensen Erfolg und einen Verdienst von 100.000 Dollar pro Jahr. Die Zeichner, die nach ihm den Strip fortsetzten, erreichten nie sein Niveau.

E. C. Segar: „Popeye“. Marebuchverlag, 2006, 446 Seiten, 29,80 Euro