Wie viel Blockwart braucht Berlin?

ORDNUNG Die einen wollen Abfallwächter gegen Hundescheiße, die anderen mobilisieren gegen jegliche Kontrolle auf der Straße. Weil sich die Stadt wandelt, müssen sich ihre Bewohner über Spielregeln im öffentlichen Raum neu verständigen

VON ANTJE LANG-LENDORFF

Ein Hauch von Hundescheiße liegt eigentlich immer in der Berliner Luft. Vielleicht nicht mehr lange: Eine Initiative will jetzt ein Volksbegehren starten. Unter dem Titel „Berlin häufchenfrei“ fordern sie 5.000 Spender für Hundekotbeutel im öffentlichen Raum. 60 „Abfallwächter“ sollen dafür sorgen, dass die Hundebesitzer die Tüten auch benutzen. Schmeißen die ihren Köterdreck weiterhin nicht in den Müll, sollen die Wächter sie bestrafen. Bis Ende April wollen die Initiatoren 20.000 Stimmen zusammenhaben, die für die Einleitung eines Volksbegehrens nötig sind.

Ist das übertriebener Ordnungswahn? Oder wäre weniger Scheiße nicht doch ein Gewinn für alle?

Falschparker gehören fast genauso zum Stadtbild wie Hundekot. Auch denen sagen einige Bürger jetzt den Kampf an: Ende März soll eine von ihnen entwickelte App namens „Straßensheriff“ zum Runterladen bereitstehen. Wer will, kann Falschparker dann per Smartphone auf einer Straßenkarte markieren, den Standort in sozialen Netzwerken verbreiten – und dem Ordnungsamt gleich eine Mail mit dem Hinweis schicken.

Ein gutes Mittel für Radfahrer, um Falschparkern endlich etwas entgegensetzen zu können? Oder Förderung von Denunziantentum – was dem „Straßensheriff“ bereits den hässlichen Beinamen „Petzer-App“ einbrachte?

Linke aus Kreuzberg halten von solchen Initiativen gar nichts. Sie haben ein Plakat entworfen, das sie mal hier und mal dort an die Wände kleistern. „Ordnungsamt fuck off!“ steht darauf. Bunte Bildchen zeigen, was ihrer Meinung nach alles erlaubt sein sollte: Graffiti sprühen, Gras rauchen, Straßenmusik machen, Grillen, Laut sein, Autos von Ordnungsamtsmitarbeitern umschmeißen und so weiter. Gezeichnet: „StayWild Kreuzberg“. Ein anarchischer Kontrapunkt in der Debatte. „Wir wollen die Stadt so gestalten, wie sie uns gefällt. Wir brauchen keine uniformierten Leute, die rumlaufen und Stress machen“, sagt einer der Gruppe.

Unten auf diesem Plakat steht: „Die Stadt sind wir alle.“ Aber genau da fängt das Problem schon an: Auf wen bezieht sich das? Die Initiatoren von „Berlin häufchenfrei“ sind damit sicherlich nicht gemeint.

Die Beispiele zeigen, dass sich die Berliner immer wieder neu darüber verständigen müssen, wie öffentlicher Raum gemeinsam genutzt wird. Einerseits wird die Stadt gerade für ihre vielen Freiheiten, für das Fehlen von sozialer Kontrolle geliebt – leben und leben lassen an der Spree. Andererseits müssen sich die Bewohner auch hier untereinander arrangieren. Wo verläuft die Grenze zwischen angenehmer Regellosigkeit und unangenehmer Rücksichtslosigkeit? Was macht einen funktionierenden Gemeinsinn aus – und wo kippt er um in eine Blockwartmentalität?

Diese Fragen stellen sich umso dringlicher, je mehr Leute zuziehen und sich die Stadt wandelt. Ganze Viertel verändern mit der Gentrifizierung rasant ihr Gesicht. Die Bedürfnisse der Alteingesessenen prallen auf die der Neuzugezogenen. „Eigentlich sind wir konservativ“, sagt der Vertreter von StayWild. „Wir wollen doch nur, dass Kreuzberg so bleibt, wie es mal war!“

Als wir in der Redaktion über öffentliche Ordnung sprechen, geht es schnell hoch her. Ein Kollege echauffiert sich, dass Liberalität allzu oft mit unsozialem Verhalten verwechselt werde. „Spießer!“, ruft ein anderer und fächelt sich Luft zu. Das Ergebnis? Lesen Sie selbst!

Mehr über Spießer und Nichtspießer auf SEITE 44, 45