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Archiv-Artikel

Die Knigge-Frage

Darf man auf die Straße spucken?

Ich gebe es zu: Ich spucke auf die Straße. Ich mache das, wenn ich rauche. Freunde reagieren jedes Mal völlig entsetzt: „Wie kannst du nur? Und das als Frau!“ Ausspucken, ohne sozial geächtet zu werden, dürfen in Deutschland nur Fußballer und Teilnehmer einer Weinverkostung. Ansonsten gilt: Ausspucken ist primitiv und eklig. Das scheint gesellschaftlicher Konsens zu sein.

Um darauf aufmerksam zu machen, dass Spucken unter bestimmten Umständen Positives bewirken kann, will ich auf drei Bräuche hinweisen: Manche nordindische und pakistanische Händler spucken auf die ersten Einnahmen des Tages, um den bösen Blick abzuwenden. Das Gleiche haben moldawische Großmütter im Sinn, die ihren Enkeln ins Gesicht spucken. In Deutschland gibt es Ähnliches nur im Theater. Dort spucken sich Schauspieler vor Premieren dreimal über die Schultern. Das „Toi, toi, toi“, das eher einem „Pft, pft, pft“ ähnelt, soll auch hier den Teufel bannen.

Doch wenn ich auf die Straße spucke, will ich weniger böse Geister abwehren, als den gesundheitlichen Schaden des Rauchens mindern. Warum Spucken dabei hilft, habe ich in einem Vortrag des indischen Ayurveda-Arztes Dr. Kulkarni gelernt. Zwei Stunden lang sprach er über die richtige Morgentoilette. Duschen kam dabei nur am Rande vor. Essenziell wichtig sei es, nach dem Aufwachen ausgiebig zu rotzen und zu spucken. So lange, bis Nase, Rachen und Mund völlig frei von Schlacke seien. Absolut gesundheitsschädigend für die Verdauung, vielmehr für den gesamten Organismus sei es, morgendliche Spucke runterzuschlucken. Selbst ein Glas Wasser ist nach der ayurvedischen Gesundheitslehre erst nach dem Zähneputzen erlaubt. Damit keine Ablagerungen zurück in den Körper gespült werden.

Am längsten sprach Dr. Kulkarni über ein Hilfsmittel zur Mundhygiene, das im Westen nicht allzu sehr verbreitet ist: den Zungenschaber. Idealerweise bestehe er aus Silber, doch das könne sich natürlich nicht jeder leisten. Der Durchschnittsinder benutzt daher ein gebogenes Metallstück. Nur aus Plastik sollte der Zungenreiniger auf keinen Fall sein, da sich beim Schaben Gift aus dem Plastik lösen würden. Der Zungenbelag enthalte Bakterien und Giftstoffe des kranken Stoffwechsels. Zieht man den Schaber über die ausgestreckte Zunge nach vorn, verdichtet sich der Speichel zu einem Batzen weißen bis gelbgrünlichen Schleims. Der muss auf jeden Fall raus aus dem Mund.

Fazit: Wir Deutschen, die – wenn überhaupt – einen Plastikschaber im Bad stehen haben, in der Regel erst nach dem Frühstück die Zähne putzen und noch dazu den ganzen Tag über unseren Speichel voller Giftstoffe schlucken anstatt diese ausspucken, leben ganz schön gefährlich!

Dr. Kulkarnis Gesundheitstipp: Einfach öfter mal ausspucken. Es muss ja nicht vor die Füße eines Mitmenschen sein. Aber vielleicht hinter den nächsten Baum. Da sieht es ja keiner.

JASMIN SIEBERT

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