Ist der deutsche Winter am Ende?
Ja

UNBEHAGEN An diesem Samstag beginnt der meteorologische Frühling. Der vergangene Winter war der viertwärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen

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Uwe Kirsche, 54, ist Sprecher des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach

Wer die drei Wintermonate hierzulande verbracht hat, mag spontan Ja sagen. Zumindest gefühlt war es wenig winterlich. Auch in der Statistik fehlte es dem vergangenen Winter an Schnee, Frost und Kälte. Verglichen mit der über die Jahrzehnte gemittelten Durchschnittstemperatur von 0,2 Grad Celsius war er circa 3 Grad zu warm. Trotzdem: Der deutsche Winter ist nicht am Ende, aber auch nicht mehr das, was er mal war. Uns macht der Klimawandel zu schaffen. Ein Blick ins Klimaarchiv zeigt: In Deutschland sind die Winter in den vergangenen 130 Jahren im Mittel um 1 Grad wärmer geworden. Dieser Trend wird sich langfristig fortsetzen. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass künftig mehr Winter dem diesjährigen gleichen. Allerdings – und das kennzeichnet das Klima unserer geografischen Lage – bewahrt uns der Trend nicht vor einzelnen extrem kalten und schneereichen Wintern. Sie werden aber immer seltener.

Horst Hinze, 53, taz-Leser aus Isenbüttel, hat den Streit per E-Mail kommentiert

Den Winter mögen? Das ist modernes Luxusdenken par excellence! Nicht umsonst dichteten die Menschen früher Zeilen wie: „Die Rose liegt vom Frost geknickt und jubelnd hüllet der Winter in raschem Flug sein Leichentuch um Floras blühende Kinder.“ (Franz Grillparzer) Oder: „Alles still! Die Dorfeshütten sind wie Gräber anzusehn, die, von Schnee bedeckt, inmitten eines weiten Friedhofs stehn.“ (Theodor Fontane) Schnee und Eis können nur Menschen mögen, die nicht jeden Morgen früher aufstehen müssen, um die „weiße Pracht“ mühsam wegzuschippen und sich dann mit dem schlitternden Auto zur Arbeit quälen. Eine heilsame Maßnahme für Winterliebhaber? Beim nächsten scharfen Frost einfach mal eine Woche lang die Heizung abdrehen – dann hat es sich mit dem ach so tollen Winter ruckzuck erledigt! Von mir aus könnte nach dem September auch der März kommen – niemand braucht den Winter!

Bianca Dold, 29, Lkw-Fahrerin, hat ein Speditionsunternehmen in Karlsruhe

Als Kind konnte ich Iglus bauen, heute nicht mal mehr einen Schneemann. Ich bin im Schwarzwald aufgewachsen und konnte dort jedes Jahr Ski fahren gehen. Heute ist der Skilift fast immer geschlossen. Solche Winter wie zu meiner Kindheit wird es wahrscheinlich nicht mehr geben. Als Lkw-Fahrerin bin ich heute fast jeden Tag auf der Straße unterwegs und es hat natürlich Vorteile, wenn es nicht schneit und die Straßen nicht glatt sind. Das Be- und Entladen meines Lkw ist zum Beispiel einfacher. Solange die Straßen aber frei sind, sind wir Fahrer und Fahrerinnen glücklich, und auch bei Schnee und Eisglätte macht der Beruf Spaß. Ich wünsche aber allen, die auf der Straße sind, eine gute Bereifung – meist kommt der Winter ja dann doch ganz unverhofft.

Hedwig Lachmann, 1865–1918, Dichterin, erlebte noch echte Winter

Es treiben große Flocken dicht und schräg. Der Wald hält still, die Zweige hängen träg. Der Wind, der um die Wipfel wehte, schweigt. Die Kronen haben langsam sich geneigt. Um eine hohe Tanne rieselt kalt Der Schnee: Mein Haupt wie Eis! Bin ich schon alt? Durch hundert Jahre ist es nicht so weit. Ich steh schon immer in der Ewigkeit.

Nein

Barbara Hendricks, 61, SPD, ist Bundesumweltministerin in der Großen Koalition

Von einem einzelnen Winter können wir nicht auf Änderungen des weltweiten Klimas schließen. Richtig ist aber: Der Trend der langfristigen globalen Erwärmung ist ungebrochen. Wenn der menschengemachte Klimawandel ungebremst fortschreitet, werden wir künftig in Deutschland – bei allen natürlichen Schwankungen, die es weiter geben wird – mit mehr milden Wintern rechnen müssen. Wichtig ist aber: Noch können wir die globale Erwärmung auf ein einigermaßen beherrschbares Maß begrenzen. Das erfordert von uns jedoch erhebliche Anstrengung und eine schnelle Umkehr der weltweiten Emissionstrends. Ambitionierter Klimaschutz, eine der Hauptaufgaben dieser Koalition, kann aber nicht nur Aufgabe der Politik sein. Um die drohende Entwicklung abzuwenden, ist jeder gefragt, seinen Beitrag zu leisten.

Robert Veltmann, 47, koordiniert als Geschäftsführer der Gebewo die Berliner Kältehilfe

Für manche Menschen endet der Winter noch lange nicht. Wer ohne Wohnung durch die Straßen wandert, empfindet Kälte, die kaum enden mag. Mehr als 12.000 Menschen sind in Berlin wohnungslos, davon leben zirka 1.000 auf der Straße. Ihnen fehlen Nahrung, Kleidung, soziale Geborgenheit und besonders menschliche Wärme. Die Berliner Kältehilfe bietet derzeit knapp 500 Schlafplätze. Orte, an denen man zu essen und trinken bekommt, sich waschen kann, ein sauberes Bett, Sicherheit und Schutz findet. Für manche sogar die beste Zeit im Jahr. Für die Kältehilfe endet der Winter am 1. April. Doch was passiert dann mit den Menschen? Sie haben immer noch keine Wohnung und werden frieren.

Gunnar Gerth-Hansen, 49, Fischer aus Burgstaaken auf der Ostseeinsel Fehmarn

Ich verdiene mein Geld im Winterhalbjahr, weil dann die Fische wegen der Kälte in die tieferen Zonen der Gewässer ziehen, in denen wir sie fangen. Das war seit Generationen so. Doch durch die milden Winter der letzten Jahre wandelt sich dieser Zustand dramatisch und die Netze bleiben oft leer. Es gibt andere Fangmethoden, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Veränderungen stattfinden. Doch auch hier wird der Mensch Alternativen finden, um damit zurecht zu kommen. Das, was Deutsche unter Winter verstehen, ist nicht am Ende. Ich vermute sogar, es wird immer beliebter: Wir sparen eine Menge Heizkosten und mit dem Geld jetten wir in den Skiurlaub und heizen damit die Klimakatastrophe an.

Richard Kögler, 65, ist Kohlenhändler in Berlin. Seine Familie ist seit 1909 im Geschäft

Ich vermisse einen richtigen, schönen Winter – wenn es nachts um die fünf Grad minus hat und es zwischendurch schneit, während am Tage die Temperatur bei null Grad liegt. Ein so milder Winter wie in diesem Jahr ist nicht erfreulich für uns: Es fehlen 30 Prozent des Umsatzes und des Gewinns. Schon in normalen Wintern hat man als Kohlenhändler Probleme: Fünf Monate gibt es viel zu tun, das reicht aber nicht, um über den Sommer zu kommen. Bei einem milden Winter ist es doppelt schlimm: Wenn Sie keine Nebentätigkeit haben, sieht es ganz schlecht aus. Auch deswegen haben viele unserer Kollegen schon aufgehört. Wir haben uns zum Beispiel auch auf Wohnungsauflösungen und Entrümpelungen spezialisiert. Trotzdem: Der deutsche Winter ist nicht am Ende. Ich mache diesen Job seit vierzig Jahren, und Winter wie diesen gab es immer wieder. Wir warten auf den nächsten.